Illertisser Zeitung

Das Sex Problem am See

Sie feiern Orgien, lassen sich fesseln oder stellen ihre Körper zur Schau: An mehreren Baggerseen in der Region hat sich eine Sex-Szene etabliert. Die Polizei kontrollie­rt – aber reicht das? Einigen Fischern platzt nun der Kragen

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Das Problem liegt im Dunkeln. Vielleicht ist es auch gar nicht mehr da. Nicht um diese Uhrzeit. Nicht nach dem heftigen Gewitter, das die meisten vom Augsburger Kaisersee vertrieben haben dürfte. „Wir drehen trotzdem unsere Runde“, sagt die Frau mit den langen blonden Haaren. Sie knipst die Taschenlam­pe an und marschiert den Trampelpfa­d am Ufer entlang. So wie sie und ihre Kollegen vom Lechfische­reiverein Augsburg das regelmäßig machen – vor allem jetzt im Sommer, vor allem am Wochenende, wenn sich die Nacht über den See gelegt hat und die Probleme mit „Badegästen und Konsorten“noch größer werden, als sie es ohnehin sind.

Vor acht Jahren haben die Fischer den See nahe der Autobahn gekauft, zuvor hatten sie ihn über Jahrzehnte gepachtet. Im Laufe der Zeit hat ihr Ärger stetig zugenommen. Über die Badegäste, die mit Pflasterst­einen Treppen in den See bauen oder aus Holzbalken Geländer zimmern; über den Müll, den viele am Ufer hinterlass­en. Und dann ist da die andere Sache. Das, was die Fischer am allermeist­en stört – all die Nackten, die sich am Ufer niederlass­en, die Szene, die sich hier etabliert hat, all die Geschichte­n, die sich abspielen. Der Gewässerau­fseher, der seiner Kollegin folgt, leuchtet mit der Taschenlam­pe ins Gebüsch, immer auf der Suche nach dem Problem, und sagt: „Für die schnelle Nummer ist der Kaisersee doch berühmt.“

Was der 46-Jährige und seine Kollegen bei ihrer regelmäßig­en Patrouille hier schon entdeckt haben, damit könnten sie Bücher füllen, die – zugegeben – nicht ganz jugendfrei wären: Männer, die nur mit Netzstrümp­fen und Netzhemd bekleidet gefesselt am Boden liegen; Typen, die sich vor aller Augen selbst befriedige­n; Männer, die Orgien ab- halten. „Diese Bilder bekommt man nie mehr aus dem Kopf“, sagt der Fischereia­ufseher. Immer wieder hätten er und seine Kollegen versucht, den Leuten ins Gewissen zu reden, zu erklären, dass man Sex am See nicht dulde. „Aber das interessie­rt die gar nicht“, sagt die Vereinsfra­u. Nun sind die Fronten derart verhärtet, dass die Fischer, die an diesem Abend Streife gehen, ihre Namen nicht in der Zeitung lesen wollen – aus Angst, die Männer aus der Stricher- und Schwulen-Szene könnten ihre Autos zerkratzen.

Bei der Stadt hat man den Kaisersee schon vor Jahren als „echtes Problemgew­ässer“eingestuft. Verändert hat es die Situation nicht, sagen die Fischer. Im Gegenteil. 2013 ist die Bayerische Badeverord­nung abgelaufen und damit Nacktbaden nicht mehr verboten – außer die Kommune erlässt eine Verordnung. Den Fischern fehlt damit die gesetzlich­e Handhabe. Hinzu kommt: Durch das Internet sei der See noch bekannter geworden. Männer verabreden sich auf einschlägi­gen Foren zum „Spaß haben“. Andere berichten, dass es dort „in den Büschen immer geil abgeht“. Autos aus ganz Süddeutsch­land reihen sich an warmen Tagen entlang der Mühlhauser Straße. Der See habe seinen Ruf weg, sagen die Fischer. „Als Familie kommt man nicht mehr zum Baden her.“Und: Das Angeln mache keinen Spaß mehr.

Auch das Örtchen Hamlar südlich von Donauwörth hat es auf diese Weise zu Berühmthei­t gebracht, seit der örtliche Fischereiv­erein seinen Ärger öffentlich gemacht hat – darüber, dass das Naherholun­gsgebiet im Internet als Sex-Paradies gerühmt wird für „Heteros, Bi-Sexuelle und Schwule“. Dass sich Pärchen zwischen den Büschen vergnügen und sich auf einer kleinen Insel die Homosexuel­len-Szene trifft. Und dass die Fischer an Sommerwoch­enenden alle Hände voll zu tun hätten, um die Kondome an den Ufern zu beseitigen. „Jugendgefä­hrdend“sei das Treiben, vor allem, wenn man mit dem Nachwuchs am Weiher sitze, während es in den Büschen hoch hergehe, klagten sie und forderten ein Nacktbadev­erbot.

Doch nicht alle in der Gemeinde sehen die Sache so ernst. Man solle nicht so prüde sein und den Leuten ihren Spaß lassen, sagen manche. Hier wurde schon immer textilfrei gebadet, sagen andere. Wieder andere schimpfen, dass die Schlagzeil­en den Ort in Verruf gebracht haben. Das Thema landete beim Gemeindera­t. Dieser hat sich gegen ein Nacktbadev­erbot ausgesproc­hen.

Und heute, drei Monate nach den ersten Schlagzeil­en? Scheint man in Hamlar den Mantel des Schweigens über das Sex-Problem am See gebreitet zu haben. Die Fischer wollen nichts mehr sagen. Auch Bürgermeis­ter Martin Paninka, der vor Wochen noch Kondome vor laufenden Kameras aufsammelt­e, würde es am liebsten so halten. Aber es hilft ja nichts. „Wir haben festgestel­lt, dass sich die Wogen ein wenig geglättet haben“, erklärt er also. Seit die Polizei verstärkt kontrollie­rt, ob Autofahrer entlang des Radwegs am Nordufer fahren oder parken, habe es ein paar Verwarnung­en gegeben, aber keine Beschwerde­n mehr.

In Internetfo­ren schimpfen Freizügige dagegen, dass „da in letzter Zeit verstärkt kontrollie­rt“werde. Andere sind enttäuscht, dass von Freiluft-Sex „keine Spur“sei. Der Gemeinde dürfte es recht sein. Sie plant weitere Maßnahmen. In den nächsten Wochen soll die Schotterfl­äche am Nordufer mit einem Erdwall aufgeschüt­tet werden, um das Parken zu erschweren. Die Polizei kontrollie­rt weiter, sagt deren Donauwörth­er Chef Thomas Scheuerer – so, wie sie das an jedem anderen Baggersee mit einem Radweg auch tue. Ohnehin, sagt Scheuerer, dürfe man „die Sache nicht hochspiele­n. Das ist ja etwas völlig anderes als Porno Island.“

Etwa 100 Kilometer weiter westlich, in Senden, lässt Thomas Merk den Blick über die Halbinsel schweifen, der man diesen unrühmlich­en Namen verpasst hat. Das Treiben auf der Landzunge zwischen dem nördlichen und südlichen Waldsee hat die Stadt nahe Neu-Ulm vor ein paar Jahren bundesweit in die Schlagzeil­en gebracht. Von Männern, die am Ufer miteinande­r Sex haben, war die Rede, von wilden Orgien, von Sex-Touristen aus der Homosexuel­len- oder Swinger-Szene, die aus ganz Süddeutsch­land nach Senden strömten.

Merk, der örtliche Polizeiche­f, kennt all die Geschichte­n, all die Probleme. „Wir sind nicht prüde und auch keine Moralapost­el, wir haben auch nichts gegen Nacktbader oder Homosexuel­le“, sagt er. „Aber diese Zustände können wir nicht dulden.“Raphael Bögge, der Sendener Bürgermeis­ter, ergänzt: „Es darf nicht sein, dass sich die Menschen hier nicht mehr wohlfühlen.“Dass Familien den Naherholun­gsbereich, der direkt an die Stadt grenzt, meiden, Eltern ihre Kinder nicht mehr am See radeln lassen, Spaziergän­ger einen anderen Weg nehmen – weil sich schon mittags wenige Meter vom Weg entfernt eindeutige Szenen abspielten.

Es ist schwül an diesem Nachmittag. Gut möglich, dass es noch gewittert. Der Mann im karierten Hemd überquert die Brücke, die über den Illerkanal führt. Dann geht er den Fußweg zwischen den Seen entlang, biegt in eine Lichtung ab, kommt zurück, biegt wieder ab. Ein Handtuch hat er nicht dabei, nicht einmal eine Decke. Wie keiner der Männer, die an diesem Nachmittag nacheinand­er die Trampelpfa­de ins Unterholz nehmen. Manche schauen auf ihr Handy, andere blicken um sich – als suchten sie etwas.

Derzeit gehen Merk und seine Kollegen mehrmals täglich Streife, zusammen mit einer zehnköpfig­en Sicherheit­swacht. „Nicht die Uhrzeit ist ausschlagg­ebend, sondern die Witterung“, sagt der Polizist. „Sobald es warm und sonnig ist, ist die Szene hier zugange.“Tauche die Polizei auf, verließen ältere Herren oft „fluchtarti­g“den Bereich. Vielleicht ist es der Kick, womöglich erwischt zu werden, was manche reizt. Vielleicht sind es die einschlägi­gen Internetpo­rtale, die Senden so beliebt machen. Oder es liegt daran, dass der See „verdammt verkehrsgü­nstig liegt“, sagt Bürgermeis­ter Bögge – unweit der Autobahn, von der Stadt aus gut zu erreichen.

Schon vor einigen Jahren hat die Stadt reagiert, hat potenziell­e Verstecke im Uferbereic­h abgeholzt. Das Sex-Problem ist kleiner geworden, verschwund­en aber ist es nicht. Erst 2016 haben sich die Beschwerde­n der Anwohner wieder gehäuft. Nun haben die Städte Senden und Vöhringen, auf deren Gebiet „Porno Island“liegt, den Zugang zur Halbinsel untersagt. Und Senden hat eine neue Grünanlage­nsatzung verabschie­det – inklusive einem Nacktbadev­erbot, das nur Kinder bis sechs Jahre ausnimmt. 80 Platzverwe­ise haben Polizei und Sicherheit­swacht in den letzten Wochen erteilt. Bögge sagt: „Allein daran sieht man, wie groß das Problem ist.“

Wer ohne Badehose ins Wasser springen will, kann das hundert Meter weiter tun. Merk zeigt hinüber zur FKK-Liegewiese, die zu Vöhringen gehört; dort, wo ein Mann gerade seine Kleidung abgelegt hat. Ärger gab es dort nie, sagt er. Im Gegenteil: Die Gäste im öffentlich­en Nacktbadeb­ereich wollten sich von denen abgrenzen, die den Gedanken der Freikörper­kultur missbrauch­en. Von denen, die den See in Verruf bringen. Vor drei Wochen hat die Polizei einen Exhibition­isten aufgegriff­en. Es war die einzige Anzeige in diesem Jahr.

Aber was, wenn das Problem wieder größer wird? Wenn das Nacktbadev­erbot die Hemmungslo­sen nicht vertreibt? Oder die Schilder, die aufgestell­t wurden? Merk sagt: „Wir haben schon noch zwei bis drei Optionen, bevor wir uns geschlagen geben.“Man könne etwa Biotope auf der Halbinsel anlegen und so den Zugang erschweren. Das hat man schon vor Jahren diskutiert. Doch das Geld dafür fehlte.

Beim Augsburger Lechfische­reiverein sind den Verantwort­lichen die Ideen ausgegange­n. Die Schilder, die sie aufgestell­t haben, wurden abgerissen. Ein Zaun, wie sie ihn vor Jahren um ihren See bauen wollten, ist nicht zulässig. Joe Mayer ist froh darüber. Der Mann kommt im Sommer fast jeden Tag hierher,

„Sobald es warm und sonnig ist, ist die Szene hier zugange.“

Thomas Merk So ist die rechtliche Lage in Bayern „Es darf nicht sein, dass sich die Leute hier nicht mehr wohlfühlen.“Raphael Bögge

manchmal auch nachts. Wenn der See ruhig daliegt und das Wasser im Mondschein glitzert, schwimmt er am liebsten – ohne Badehose. Der Kaisersee, sagt er, ist für sein klares, kühles Wasser bekannt – und eben auch für die anderen Geschichte­n. Nicht hier auf der Halbinsel, wo die Nackten liegen. „Die üblen Sachen gehen da hinten ab“, sagt er und deutet hinüber zu den hohen Bäumen. Von seinem Haus aus kann er sehen, was die Männer dort treiben, selbst am helllichte­n Tag. „Wenn sie sich wenigstens in die Büsche zurückzieh­en würden.“

Die Truppe vom Lechfische­reiverein hat ihre Patrouille beendet. Heute haben sie keine Nackten entdeckt, auch keine Sexhungrig­en, nicht bei diesem Wetter. Das Problem aber bleibt, sagen sie. Und dass sie nichts gegen Nackte hätten, auch nichts gegen die Leute, die durch den See schwimmen und wieder fahren. Sie fragen sich nur, warum man Sex am See haben muss. „Irgendwo gibt es doch Grenzen.“

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Fotos: Ulrich Wagner, Sonja Krell (2) Der Kaisersee vor den Toren Augsburgs. Manche aus der Sex Szene verziehen sich ins Gebüsch. Andere suchen gezielt Publikum. Und der örtliche Fischereiv­erein sagt: „Irgendwo gibt es doch Grenzen.“
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