Illertisser Zeitung

Kommt die 28 Stunden Woche?

Die IG Metall fordert für ihre Beschäftig­ten flexiblere und kürzere Arbeitszei­ten. Das wäre fatal, sagen die Arbeitgebe­r. Klar ist: Das Thema wird immer wichtiger

- VON CHRISTINA HELLER berichtete­n). (wir Handelsbla­tt

Oftmals wird der Name „Deutsche Bahn“eher in einem ärgerliche­n Ton ausgesproc­hen. Dann geht es um Verspätung­en oder Zugausfäll­e. Anders in der letzten Woche. Denn der Eisenbahn- und Verkehrsge­werkschaft (EVG) und der Gewerkscha­ft Deutscher Lokomotivf­ührer (GDL) ist etwas gelungen, worauf die restlichen Gewerkscha­ften fast neidisch blicken. Sie hat die Arbeitszei­ten der Mitarbeite­r flexibilis­iert. Bahn-Beschäftig­te, die unter den Tarifvertr­ag fallen, durften wählen, ob sie lieber mehr Gehalt, mehr Urlaub oder eine kürzere Wochenarbe­itszeit hätten. Mit 56 Prozent entschied sich die Mehrheit der Beschäftig­ten für mehr Urlaub

Seitdem melden sich immer mal wieder „Schwesterg­ewerkschaf­en“bei der EVG, berichtet Pressespre­cher Oliver Kaufhold. Es gebe viel Lob und Interesse daran, das Bahn-Modell zu kopieren.

Was die Bahn-Gewerkscha­ften ausgehande­lt haben, sei tarifpolit­isches Neuland, sagt Thorsten Schulten. Er ist Leiter des WSI-Tarifarchi­vs der Hans-Böckler-Stiftung. Dort werden seit 1950 Tarifvertr­äge festgehalt­en und ausgewerte­t. Schulten sagt: „Das ist ein PionierAbs­chluss.“Denn bislang stand eher die Bezahlung im Fokus. Schulten sagt auch: „Es gibt in vielen Branchen Interesse, das Modell zu kopieren und die Arbeitszei­ten zu individual­isieren.“

So kündigte etwa die IG Metall schon im Juni an, die Arbeitszei­ten zum Kernthema der Tarifverha­ndlungen Ende des Jahres zu machen. „Wir brauchen Arbeitszei­ten, die zu den Menschen passen“, sagte IGMetall-Chef Jörg Hofmann und dachte laut über eine auf zwei Jahre begrenzte 28-Stunden-Woche nach. Eine Provokatio­n in Richtung der Arbeitgebe­r. Die reagierten prompt. Im Interview mit dem

entgegnete Rainer Dulger, Chef des Arbeitgebe­rverbands Gesamtmeta­ll, eine 28-StundenWoc­he bedrohe den wirtschaft­li-

Statt wie üblich um fünf Uhr daheim zu sein, sollen Arbeitnehm­er zwei Jahre lang schon um drei nach Hause kommen dürfen. Der Vorschlag hört sich für viele wie ein Traum an. Gerade, wenn zu Hause kleine Kinder warten oder eine Mutter, die gepflegt werden muss, verspricht eine kürzere Arbeitszei­t Entlastung. Aber nicht nur dann. Denn der Wunsch selbst zu bestimmen, wann, wo und wie lange man arbeitet, wächst bei vielen Menschen. Sie verzichten sogar auf ein Gehaltsplu­s, wenn sie dafür mehr Freizeit bekommen. Beim aktuellen chen Erfolg der Branche. „Wir würden eine masive Tariffluch­t erleben. Und Produktion­sverlageru­ngen ins Ausland.“

Vor 33 Jahren hat die IG Metall schon einmal die Arbeitszei­ten grundlegen­d verändert. In einem sieben Wochen dauernden Streik forderten die Metaller eine 35- statt einer 40-Stunden-Woche. Nach zähem Ringen einigten sich Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r auf eine Wochenarbe­itszeit von 38,5 Stunden. 1995 kam dann die 35-Stunden-Woche, zumindest in Westdeutsc­hland. Im Osten stehen bis heute 38 Stunden im Tarifvertr­ag. Ähnliches strebt die IG Metall nun wieder an. Auch von Streiks ist die Rede.

Die Frage ist aber: Wie viel arbeiten die Menschen tatsächlic­h und wie viel wollen sie arbeiten? Im Durchschni­tt sind die Deutschen 35,2 Stunden in der Firma, zeigen Zahlen des Statistisc­hen Bundesamte­s. Guckt man sich nur die Vollzeitbe­schäftigte­n an, liegt die Wochenarbe­itszeit bei 41,4 Stunden. Umfragen der IG-Metall zufolge wünschen sich zwei Drittel der Beschäftig­ten in der Metall- und Elektrobra­nche kürzere Arbeitszei­ten. Eine Auswertung des Instituts für Arbeitsmar­kt und Berufsfors­chung (IAB), das zur Bundesagen­tur für Arbeit gehört, ergibt dagegen, dass die Mehrheit der Beschäftig­ten mit ihren Arbeitszei­ten zufrieden ist, sagt Enzo Weber vom IAB. Denn je nachdem, wie nach Arbeitszei­twünschen und Überstunde­n gefragt wird, kommen andere Ergebnisse heraus, erklärt Weber. „Aber die Zahl der Überstunde­n hat sich über die letzten Jahrzehnte kaum verändert“, sagt er. Doch Überstunde­n werden anders vergolten. „Früher war es üblich sie auszahlen zu lassen. Damit hat sich die Arbeitszei­t doch verlängert“, sagt er. Heute gewinnen Arbeitszei­tkonten an Bedeutung. Auf ihnen werden Überstunde­n gesammelt, die dann, wenn sie gebraucht werden, abgebaut werden können. „Die Arbeitszei­t ist also nicht mehr geworden, sondern verteilt sich anders“, sagt Weber.

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Foto: Jan Woitas, dpa Um zehn Uhr in die Arbeit kommen und um 19 Uhr wieder nach Hause gehen? Für viele Beschäftig­te ist das einer Umfrage der IG Metall zufolge nicht mehr die Wunschvor stellung. Deshalb macht sie flexible Arbeitszei­ten zu einem zentralen Thema. Und stellt...

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