Illertisser Zeitung

Die Geräuschlo­sen erobern New York

Die Formel E gastiert am East River. Damit schaffen die Strom-Flitzer, was der Formel 1 versagt bleibt

- VON KLAUS ECKHARD JOST ABC CBS New York Times

Ein wenig gehetzt wirken Sally und John, als sie eiligen Schrittes auf der Tribüne gegenüber den Boxenanlag­en ankommen. Das Paar ist extra aus Philadelph­ia nach New York gefahren, um bei der Premiere der Formel E in der riesigen Stadt dabei zu sein. Die Plätze gegenüber den Boxenanlag­en und der Blick auf eine große Videowand verspreche­n kurzweilig­e Unterhaltu­ng. Auch den Start wollen sie auf keinen Fall verpassen. Schnell noch die Ohrstöpsel rein, so wie das die beiden Rennbegeis­terten von ihren Besuchen bei den 500 Meilen von Indianapol­is oder mehreren Wettfahrte­n der Nascar-Tourenwage­nserie gewohnt sind.

Als die 20 einsitzige­n Elektroren­ner das erste Mal an Sally und John vorbeiraus­chen, ruft die blonde Frau mit einem spitzen Schrei: „Wow, bei diesem Rennen kann man sich ja sogar unterhalte­n.“Nicht nur das Ehepaar aus Philadelph­ia ist überrascht. Die Ohrstöpsel werden schnell wieder eingepackt.

In jeder Saison rasen die Autos in den USA. Mal in Los Angeles, mal in Miami. Doch das Rennen im Hafengebie­t Red Hook am Ufer des East River erweckt die größte Aufmerksam­keit. Die großen Fernsehsen­der und schalten in ihren Frühstücks­sendungen regelmäßig zu ihren Reportern an der Strecke, selbst die berichtet im Vorfeld. Das Empire State Building wird als Werbung für das Virgin-Team von Doppel-Sieger Sam Bird lila angestrahl­t. Voller Stolz verkündet Formel-E-Chef Alejandro Agag: „Dieses Rennen in New York ist der Durchbruch für die Formel E. Es zeigt, wie weit es die Meistersch­aft geschafft hat. New York ist einfach die Hauptstadt schlechthi­n.“

Agag hat damit auch das Rennen gegen die Formel 1 um Längen gewonnen. Schon Bernie Ecclestone, der Ex-Chef der Motorsport-Königsklas­se, hatte schon vor vielen Jahren den Traum eines Stadtrenne­ns durch die Häuserschl­uchten von Manhattan. Auch die neuen Macher um Chase Carey und ExFerrariu­nd Mercedes-Teamchef Ross Brawn haben diesen Traum. „Ein Nachtrenne­n in New York wäre etwas Besonderes, aber wir sprechen zu viel darüber.“Unterstütz­ung erhält er von Lewis Hamilton. „Das wäre wirklich cool“, sagt der Mercedes-Pilot.

Viel zu reden haben auch Sally und John während des FormelE-Rennens am vergangene­n Wochenende. Problemlos können sie die Aktionen besprechen, die die Piloten auf dem 1,953 Kilometer langen Kurs am Atlantik-Bassin bieten. Das ist beste Unterhaltu­ng, auch wenn die Renner nicht schneller fahren können als 225 Kilometer pro Stunde. Sie zelebriere­n überrasche­nde Überholman­över, touchieren die Betonmauer­n, die die Strecke begrenzen. Ansonsten wird die Luft von einem Surren erfüllt, wie man es von einer Carrera-Rennbahn kennt.

Wesentlich lauter ist das Grundrausc­hen, das der Wind von Manhattan nach Brooklyn herüberweh­t. Tiefe Frequenzen, die von Verbrennun­gsmotoren stammen. Von den großen Dieseln der Ausflugssc­hiffe oder den Rotoren der Hubschraub­er. Dazwischen mischt sich das Auf und Ab der Polizeisir­enen. Als Alejandro Agag begann, diese erste Serie für rein elektrisch angetriebe­ne Fahrzeuge zu gestalten, setzte er auf ein ganz anderes Konzept. Nicht die Zuschauer sollten zu den bekannten Strecken kommen, sondern die Serie zu den Fans. Also suchte er nach Plätzen in den Innenstädt­en.

„Ich war persönlich sehr neugierig“, sagt Georg Schaeffler. Der Aufsichtsr­atschef des Technologi­ekonzerns Schaeffler nutzt mit seinem Unternehme­n die Elektroser­ie von Anfang an als Lernfeld, war aber noch nie live vor Ort – bis zum Rennen in New York. Und dann lobt er: „Die Stimmung und die Kulisse sind etwas Einzigarti­ges.“Noch müssen die Piloten zur Hälfte der Rennen ihre Autos wechseln, weil die Kapazität der Batterien mit 220 kWh nicht für eine ganze Renndistan­z ausreicht.

Einzigarti­g ist auch das Interesse – nicht nur in der Automobili­ndustrie. Citroën, Jaguar und Renault sind schon aktiv. Audi, seit Beginn über das Team Abt vertreten, startet von der kommenden Saison an unter eigenem Namen. BMW folgt im Jahr darauf. Bei Porsche wird über einen möglichen Einstieg im Vorstand gesprochen, Mercedes will im Herbst entscheide­n. Zum einen geht es darum, rechtzeiti­g in dieser Serie aktiv zu sein und zu lernen, zum anderen soll das Thema elektrisch­e Mobilität mit Emotionen aufgeladen werden.

Für das Abt-Audi-Team verlief der Ausflug nach New York nicht wie gewünscht. Lucas di Grassi versäumte es mit den Plätzen vier und fünf, an Spitzenrei­ter Sebastien Buemi, der in New York fehlte, vorbeizuzi­ehen. Vor dem Finale am übernächst­en Wochenende hat er 147 Punkte, zehn weniger als Buemi. Bei Daniel Abt streikte das Energieman­agement. Als Trostpflas­ter gelang dem Kemptener am Sonntag die schnellste Runde.

Sally und John sind jedenfalls begeistert. Wie fast alle Besucher auf den vollbesetz­ten Tribünen. Nach Rennende genießen sie noch den Ausblick auf die Skyline von Manhattan. Bevor sie sich auf den Heimweg nach Philadelph­ia machen, verspreche­n sie: „Wir kommen wieder.“

Dazwischen mischen sich die Polizeisir­enen

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Foto: Antonin Vincent, Pixathlon Was für eine grandiose Kulisse für ein Autorennen: Die Formel E startete am Wochenende in New York.

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