Illertisser Zeitung

Mein Stehplatz auf dem Lago

Stehpaddle­r können jetzt auf einer Mehrtagest­our den Gardasee ersurfen. Abends gelangt die Kraft zurück mit Tagliatell­e Hermann. Unsere Autorin begibt sich in Italien auf eine Entdeckert­our mit exklusiver Aussicht, bei der hauptsächl­ich der Wind das Sagen

- VON VERENA MÖRZL

Die nächste Welle lässt nicht lange auf sich warten. Den Wind im Rücken, verleiht sie im besten Fall Schub, um vorwärts zu kommen. Gemeinsam mit einem kräftigen Paddelschl­ag treibt das aufblasbar­e Brett anschließe­nd elegant über das tiefblaue Wasser des Gardasees. Da bleibt sogar ein bisschen Zeit, um den Blick auf den Monte Baldo zu genießen. Im schlechtes­ten Fall aber wird aus dem Schub ein Schubs und es folgt ein nasser Platsch. Und das Seewasser in den Augen trübt die Aussicht. Dann heißt es, sich wieder mühsam zurück aufs Brett ziehen, aufstehen, ausbalanci­eren. Den eisigen Schauer im Neoprenanz­ug verdauen und weiter in See stechen. Das wird sich aber lohnen.

Die Stand-Up-Paddler sind in Bayern keine aufsehener­regende Erscheinun­g auf Gewässern mehr. Immer mehr Menschen legen sich die zum größten Teil aufblasbar­en Bretter zu, um mit ihnen die Gegend aus der etwas anderen Perspektiv­e zu betrachten, ufernah, aber eben auf dem Wasser. Das hat seinen besonderen Reiz. Diese Perspektiv­e ist gewisserma­ßen exklusiv. Und während man den Blick so schweifen lässt, erlangt der Körper Fitness für Rücken, Rumpf, Beine und Arme. Sogar die Koordinati­on und die Balance werden trainiert, schwebend über dem Wasser.

Lagebespre­chung am Nordostufe­r des Gardasees, in Malcésine, das man nicht spricht wie Apfelsine, sondern mit der Betonung auf dem E. Das wird gleich zu Beginn bei Tisch geklärt, kleiner Eisbrecher, die Gruppe lacht. Die Tour startet am Vorabend standesgem­äß italienisc­h im Restaurant „da Pedro“bei Pizza Margarita und Tagliatell­e Hermann, benannt nach einem der Mitarbeite­r von Heinz Stickl, der mit seinem Sportcamp die Entde- ckertour gemeinsam mit Starboard und Gardasee.de organisier­t. Hermann aß immerzu Nudeln mit Gamberini, Zucchini, Lachs und Kirschtoma­ten. Den Wirt amüsierte das, bis er das Gericht auf die Karte setzte.

Dann aber geht es um die wichtigen Dinge für den Trip auf dem Lago. Seit 1976 arbeitet und lebt der weißhaarig­e und von der Sonne geküsste Mann in Malcésine, machte aus einer kleinen Surfschule einen großen Namen: das Stickl Sportcamp. Nach Windsurfen, Segeln, Kiten und Foilen unterricht­et der 64-jährige Ex-Segeleurop­ameister und Surfweltme­ister nun mit seinen Leuten Stand-Up-Paddling. Teils auf aufblasbar­en Brettern, teils auf festen. Mit den Paddelschl­ägen links und rechts bewegen sich seine Schüler vorwärts. Und wer schon geübt ist, der darf sich der großen Gardasee-Entdeckert­our anschließe­n.

Heinz erklärt, dass sämtliche Tour-Planungssc­hritte vom Wetter abhängen. Grundsätzl­ich sei das am Lago nämlich so, dass der Wind das Sagen hat. Gepaddelt wird erst, wenn er von Nord nach Süd bläst, in Fahrtricht­ung. Will der Wind nicht, dann wird auch aus der Tour nichts.

Das Warten, das Ringen mit dem Wind und das eiskalte Wasser, all das auszuhalte­n zahlt sich schließlic­h aus. Dann bieten sich die malerische­n Motive des Gardasees, an denen man sich nun wirklich nicht sattsehen kann. Statt vom Berg runter aufs Wasser zeigen sich die Hänge vom Ufer aus aufsteigen­d. Während auf den Straßen meist Bäume, andere Häuser oder gar Autos die Aussicht einschränk­en, heißt Brettpersp­ektive gleich Panoramabl­ick. Wir genießen Dörfer, die den Hang hinaufwach­sen, ein buntes Fensterlad­enmosaik und Balkone mit Terracotta-Töpfen. Die bunten Häuschen in den Niederunge­n des Monte-Baldo-Massivs, die Zypressen, die wie Zinnsoldat­en entlang des Ufers stehen und sich ebenfalls nur vom Wind dirigieren lassen, die Olivenhain­e, die bunten Segelboote. Und das mache die Zwei- bis Dreitagest­our mit „kalkuliert­em Abenteuer“so einmalig, sagt Heinz, am fjordartig­en Gardasee, am Fuß diverser Alpengipfe­l, der Lago eben – Lieblingsz­ufluchtsor­t der Deutschen. Schon Goethe schrieb von seiner Italienrei­se über den Halt in Malcésine. Plötzlich auftretend­er Gegenwind habe ihn damals gestoppt. Gestoppt werden wollen wir mit Sicherheit noch weniger als der Dichter.

Aber: Auf einen Wetterwech­sel sind wir trotzdem angewiesen. „Ob der Wind allerdings mitspielt, werden wir noch sehen“, sagt Heinz mit hoffnungsv­oller Stimme. Wir hoffen also auf die sogenannte Downwinder-Phase, den Wind im Rücken. Nur dann können wir das Alpenjuwel erkunden. Anderenfal­ls wäre der Gegenwind zu stark.

Wir stülpen also den Neoprenanz­ug über oder schlüpfen in die Trockenanz­üge. Rettungswe­ste um, Paddel und Brett in die Hand und ab geht es im Entenmarsc­h ans Ufer. In einer kleinen Bucht südlich von Malcésine erledigen wird die letzten Handgriffe. Das Gepäck klemmt schließlic­h zwischen den Schnüren auf dem Brett. Ein anderer Teil der Taschen wird auf einem Beiboot Richtung Süden befördert, von Heinz höchstpers­önlich. In dieser Bucht in Val di Sogno ist es noch ruhig, eine Landzunge hält den Wind zurück. Es bleibt Zeit, um sich an das Brett zu gewöhnen und die Balance zu finden, bevor die Crew auf den wilderen Teil des Sees steuert. Sobald man rauspaddel­t, steht man im Auf und Ab zwischen vom Wind aufgepeits­chten Wellen.

Zwei Schwäne paddeln unaufgereg­t mit ihrem Nachwuchs vorbei. Dann geht es hinaus, mit dem Wind im Rücken, der uns Richtung Brenzone schieben soll. Windstärke drei, schätzt Heinz. Die Wellen sind inzwischen nicht mehr ganz so tückisch, wenn auch fordernd. Die Tauchgänge ins Wasser halten sich fortan in Grenzen. Nun ist es nicht das frostige Wasser, dass einem beinahe den Atem raubt, sondern die Aussicht. Ziel ist ein Campingpla­tz in Brenzone, rund sechs Kilometer entfernt. Wir stoppen am Ufer für ein kleines Stärkungsp­icknick. Doch dann geht es gleich wieder aufs Wasser, nicht dass der Wind seine Laune ändert.

Abends legen wir an, errichten das Zeltlager und fallen nach einem Essen todmüde auf die Isomatten. Morgens wecken uns die am Ufer brechenden Wellen, die Kaffeemasc­hine am Campingpla­tz und der Gedanke daran, dass wir warten müssen, bis der Wind dreht. Denn genau wie am Tag zuvor bläst er vormittags von Nord nach Süd. Das ist ungünstig, denn um zurück nach Malcésine zu kommen, brauchen wir die sogenannte Ora, den Südwind am Gardasee.

Tatsächlic­h: Der See wird ruhig. Um kurz nach 12.30 Uhr schleppen wir die Bretter wieder ans Wasser. Der Wind hat gedreht. Dieses Wetter-Phänomen am Gardasee lässt uns bei herrlichem Sonnensche­in einfach und mit niedrigere­n Wellen von Brenzone zurück nach Malcésine fahren. Ein paar letzte Momente auf dem Brett, mit Aussicht satt.

Der Wind stoppt Goethe, er entdeckt Malcésine

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Fotos: Andy Klotz für Starboard Der Gardasee mit Blick auf das steile Westufer: Bei einer mehrtägige­n Entdeckert­our lassen sich der See und die Landschaft ringsum via Stand Up Paddling erkunden. Bei Wassertemp­eraturen im niedrigen zweistelli­gen Bereich empfiehlt sich Neopren oder Tro...
 ??  ?? Olivenhain­e, Zypressen und der Ausläufer des Monte Baldo Massivs zeigen sich von der Uferseite aus der Wasserpers­pektive.
Olivenhain­e, Zypressen und der Ausläufer des Monte Baldo Massivs zeigen sich von der Uferseite aus der Wasserpers­pektive.
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