Wie Bruder Dschihad den Krieg erlebt
In der syrischen Wüste hält eine Handvoll Mönche die Stellung in einem jahrhundertealten Kloster. Der Gründer der kleinen katholischen Gemeinschaft wurde entführt, die Mönche gerieten zwischen die Fronten. Jetzt redet einer von ihnen Klartext
Beim ersten Mal kommt der Krieg von hinten. Er schleicht sich durch das enge Tal zwischen den Felsen, öffnet die Gatter und nimmt etwa einhundert Ziegen mit, dazu noch ein paar Ackergeräte. Dann überlässt er die Mönche wieder der Stille der Wüste. Beim nächsten Mal bleibt der Krieg für 25 Tage und reibt eine kleine Stadt in der Nähe auf. Und dann entführt er zwei ihrer Brüder.
„Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“, sagt Bruder Dschihad. Der Mönch heißt ausgerechnet so wie das arabische Wort, das im Islam für die Pflicht der Gläubigen steht, ihre Religion zu verbreiten – nach Vorstellung von Fundamentalisten auch mit Gewalt. Im Westen wird es deshalb mit „Heiliger Krieg“übersetzt. Dschihad ist aber auch ein durchaus gängiger Vorname im arabischen Sprachraum, der so viel bedeutet wie „sich bemühen, sich anstrengen“. Und Bruder Dschihad ist auch kein Moslem, sondern Christ.
Der Mann mit den kurz geschorenen Haaren sitzt auf der breiten Terrasse seines Klosters und blickt hinunter auf die Ebene, die sich fast vierhundert Stufen tiefer in der Wüste ausbreitet. Im Hintergrund klappert Mitbruder Budrus in der Gegenden, die vom Islamischen Staat kontrolliert werden. So kostet ein koordinierter Bombenangriff auf zwei von Christen betriebene Restaurants Ende 2015 allein 16 Menschen das Leben. Seitdem gibt es bei Anschlägen auf Kirchen und andere christliche Ziele immer wieder Tote. Nach sechs Jahren Krieg dürfte gut die Hälfte der Christen aus dem Land geflohen sein.
Bruder Dschihad sagt, im Gegensatz zu vielen Kirchenoberen könne er verstehen, wenn so viele Christen Syrien verlassen. „Vor dem Krieg haben wir das Bild überschätzt, dass wir alle ein Volk sind“, redet er Klartext. „Der Krieg hat offengelegt, dass dieses Idealbild nicht stimmt und dass Christen und Muslime in Syrien eigentlich nur wenig miteinander zu tun hatten.“Wegen solcher Aussagen wird die syrischkatholische Gemeinschaft kritisch von anderen Kirchen betrachtet. Wobei: Sind solche Worte womöglich einfach nur ehrlich?
Eine kleine Glocke durchbricht die Stille und ruft zum Gebet. Dschihad zieht die Schuhe aus und schlüpft gebückt durch eine niedrige Tür in die Kapelle. Ein Lichtstrahl fällt durch ein schmales Fenster im Gemäuer, Teppiche liegen auf dem Boden wie in einer Moschee. „Wir merken, dass wir im Gebet viel Zuspruch aus der ganzen Welt bekommen“, erzählt Dschihad.
Einst pilgerten jedes Jahr 30 000 Menschen hierher Und ständig diese Frage: bleiben oder nicht?