Illertisser Zeitung

Wie Bruder Dschihad den Krieg erlebt

In der syrischen Wüste hält eine Handvoll Mönche die Stellung in einem jahrhunder­tealten Kloster. Der Gründer der kleinen katholisch­en Gemeinscha­ft wurde entführt, die Mönche gerieten zwischen die Fronten. Jetzt redet einer von ihnen Klartext

- VON SIMON KREMER UND ANDREAS FREI

Beim ersten Mal kommt der Krieg von hinten. Er schleicht sich durch das enge Tal zwischen den Felsen, öffnet die Gatter und nimmt etwa einhundert Ziegen mit, dazu noch ein paar Ackergerät­e. Dann überlässt er die Mönche wieder der Stille der Wüste. Beim nächsten Mal bleibt der Krieg für 25 Tage und reibt eine kleine Stadt in der Nähe auf. Und dann entführt er zwei ihrer Brüder.

„Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“, sagt Bruder Dschihad. Der Mönch heißt ausgerechn­et so wie das arabische Wort, das im Islam für die Pflicht der Gläubigen steht, ihre Religion zu verbreiten – nach Vorstellun­g von Fundamenta­listen auch mit Gewalt. Im Westen wird es deshalb mit „Heiliger Krieg“übersetzt. Dschihad ist aber auch ein durchaus gängiger Vorname im arabischen Sprachraum, der so viel bedeutet wie „sich bemühen, sich anstrengen“. Und Bruder Dschihad ist auch kein Moslem, sondern Christ.

Der Mann mit den kurz geschorene­n Haaren sitzt auf der breiten Terrasse seines Klosters und blickt hinunter auf die Ebene, die sich fast vierhunder­t Stufen tiefer in der Wüste ausbreitet. Im Hintergrun­d klappert Mitbruder Budrus in der Gegenden, die vom Islamische­n Staat kontrollie­rt werden. So kostet ein koordinier­ter Bombenangr­iff auf zwei von Christen betriebene Restaurant­s Ende 2015 allein 16 Menschen das Leben. Seitdem gibt es bei Anschlägen auf Kirchen und andere christlich­e Ziele immer wieder Tote. Nach sechs Jahren Krieg dürfte gut die Hälfte der Christen aus dem Land geflohen sein.

Bruder Dschihad sagt, im Gegensatz zu vielen Kirchenobe­ren könne er verstehen, wenn so viele Christen Syrien verlassen. „Vor dem Krieg haben wir das Bild überschätz­t, dass wir alle ein Volk sind“, redet er Klartext. „Der Krieg hat offengeleg­t, dass dieses Idealbild nicht stimmt und dass Christen und Muslime in Syrien eigentlich nur wenig miteinande­r zu tun hatten.“Wegen solcher Aussagen wird die syrischkat­holische Gemeinscha­ft kritisch von anderen Kirchen betrachtet. Wobei: Sind solche Worte womöglich einfach nur ehrlich?

Eine kleine Glocke durchbrich­t die Stille und ruft zum Gebet. Dschihad zieht die Schuhe aus und schlüpft gebückt durch eine niedrige Tür in die Kapelle. Ein Lichtstrah­l fällt durch ein schmales Fenster im Gemäuer, Teppiche liegen auf dem Boden wie in einer Moschee. „Wir merken, dass wir im Gebet viel Zuspruch aus der ganzen Welt bekommen“, erzählt Dschihad.

Einst pilgerten jedes Jahr 30 000 Menschen hierher Und ständig diese Frage: bleiben oder nicht?

 ?? Fotos: Simon Kremer, dpa ?? „Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“: Bruder Dschihad (links) betet in der Kapelle des Klosters Dar Mar Musa al Habaschi in Syrien.
Fotos: Simon Kremer, dpa „Wir haben uns immer gefragt, wann es uns trifft“: Bruder Dschihad (links) betet in der Kapelle des Klosters Dar Mar Musa al Habaschi in Syrien.

Newspapers in German

Newspapers from Germany