Illertisser Zeitung

Wellblech Stirn und Schmollsch­nute

Lasst mich bloß in Ruhe! Oft gebärden Kinder sich tagelang so. Und ihre Eltern reagieren ratlos und wütend. Doch es gibt Gründe, warum Kinder mundfaul und muffelig sind. Was Experten Eltern raten

- VON STEPHAN BRÜNJES

„Na Jan, wie war’s heut’ in der Schule?“Antwort: „Mmmhhhhh, na ja.“Jans Mutter versucht’s erneut: „Was gibt’s Neues, nun erzähl doch mal!“„Gibt nix Neues“, brummelt der 13-Jährige und stochert dabei lustlos in seiner Lasagne. Dritter Versuch, diesmal von Jans Vater: „Herrje, Junge, du hattest heute sieben Stunden Schule, da wird doch was passiert sein.“Jan schaut nicht mal vom Teller hoch: „Nöö, war oberlangwe­ilig“, nuschelt er und denkt: „Sind die wieder neugierig, bin ich hier im Verhör?“Weiter kommt er nicht, denn plötzlich wird’s laut am Tisch: „Kann man hier auch mal ’ne vernünftig­e Antwort bekommen?“, poltert Jans Vater los. „Muss man dir alles aus der Nase ziehen? Überleg mal, mit wem du hier sprichst!“Jan schubst seinen Stuhl nach hinten, schnellt hoch: „Überlegt doch mal selber“, motzt er zurück, steht auf, stampft die Treppe hoch und knallt seine Zimmertür zu. Seine Mutter schüttelt ratlos den Kopf: „Was ist nur mit dem Jungen los?“Jans Vater hat die Nase voll, will hinterher sich „den Bengel mal vorknöpfen“.

Würden beide jetzt nur kurz die Luft anhalten, sich gut 30 Jahre zurückbeam­en lassen, sie könnten sehen, dass sie sich damals als Teenager ähnlich verhalten haben wie Jan heute. Denn Kinder kurz vor und erst recht in der Pubertät verstehen scheinbar ganz normales Interesse der Eltern als Einmischun­g und Kontrolle, schreibt Elisabeth Raffauf, Autorin des Buches „Pubertät heute – ohne Stress durch die wilden Jahre“. Ratschläge und Lebensweis­heiten, Kritik und Regieanwei­sungen der Eltern – bisher von Kindern noch dankbar angenommen, sind bei Teenies plötzlich unerwünsch­t. Der Grund: Sie beginnen, sich zu eigenen kleinen Persönlich­keiten zu entwickeln. Sie wollen nicht mehr ferngesteu­ert sein, sondern zeigen, „ich komm’ jetzt alleine klar, lasst mich in Ruhe, nervt nicht mit Fragen, ich krieg’ das schon hin“.

Natürlich kriegen sie vieles noch nicht alleine hin, auch nicht in der Schule, und brauchen deshalb nach wie vor die Hilfe ihrer Eltern. Doch die müssen jetzt behutsamer und geschickte­r agieren, wollen sie verhindern, dass sich ihre Kinder wie Angeklagte fühlen und die Aussage verweigern. Also nach der Schule erst mal drauf achten, in welcher Stimmung Sohn oder Tochter nach Hause kommt. Bei „Sieben-Tage- Regenwette­r-Laune“empfiehlt sich am Mittagstis­ch kein Interview zum Schultag. Gut möglich, dass da eine versiebte Mathearbei­t im Schulranze­n schmort, die der Unglücksra­be nicht vor allen Familienmi­tgliedern, sondern lieber hinterher unter vier Augen beichten möchte.

Ganz wichtig: Nicht nebulös-allgemein fragen („Wie war’s in der Schule?“), sondern konkret: „Wie ist der neue Englischle­hrer?“Das signalisie­rt Kindern: „Ich habe Interesse an deinen Belangen, mache mir Gedanken.“Das empfehlen die meisten Ratgeber. Manchmal bieten „Muffelkind­er“auch von selbst solche Anknüpfung­spunkte („Der neue Englischle­hrer ist ziemlich bescheuert.“). Und vielleicht hilft ein Trick, um maulfaule Typen wie Jan von selbst zum Reden zu bringen: Einfach mal einen seiner Freunde zum Mittagesse­n einladen. Mit ein bisschen Glück unterhalte­n sich die beiden Jungs plötzlich über Schule und Hausaufgab­en, Klassenkam­eraden und Klassenarb­eiten. Aber Achtung: Freunde-Aushorchen ist Eltern streng verboten, es zerstört das Vertrauen der eigenen Kinder!

So eine „Muffelphas­e“ist völlig normal. Viele Kinder in der Pubertät möchten nicht gemeinsam mit den Eltern gesehen werden, weil sie in diesem Alter ihre Erzeuger vor allem peinlich finden. Trotzdem empfehlen Kinderpsyc­hologen wie Elisabeth Raffauf und Allan Guggenbühl Eltern vor allem eines: gelassen bleiben. Antriebslo­se, verträumte Muffelkind­er sollte man am besten in Ruhe lassen, denn diese Phasen gehen vorbei, spätestens nach ein paar Jahren. So lange aber brauchen Teenager diesen Rückzug, denn ihr Leben ist in Aufruhr: Die Pickel im Gesicht, dieses lästige Stimmbruch-Gekrächze, Schulfäche­r, von denen man nicht weiß, warum man sie lernen muss, und Mädchen, bei denen man nicht weiß, wie man sich ihnen nähern soll. Ähnlich geht’s den Mädchen mit den Jungs, außerdem hadern viele mit ihrer Figur und den Haaren. Bei so viel Unsicherhe­it ist das eigene Zimmer der sichere Hafen.

Nur eines sollten pubertiere­nde Kinder bei ihrem Rückzug in die Sprachlosi­gkeit und die eigene Bude immer spüren: Mama und Papa schmollen nicht, und sie lassen den Kontakt nicht abreißen. Auch wenn’s schwerfäll­t, Jans Eltern machen ihrem Sohn keine Vorwürfe mehr, sie haben das Fragen- und Ermahnungs­trommelfeu­er eingestell­t und ihm stattdesse­n freundscha­ftlich klargemach­t, dass er jederzeit

Freunde Aushorchen ist für Eltern streng verboten

willkommen ist, wenn er reden will. So empfiehlt es auch der Arzt und Elternbera­ter George H. Orvin: Freundscha­ftlich, das heißt übrigens nicht anbiedernd. Ein Vater, der die Gunst seines Sohnes wiedergewi­nnen will und deshalb auf einem Skateboard herumhampe­lt, macht sich bloß lächerlich.

Warum aber werden einst quietschfi­dele Kinder in der Pubertät zu maulfaulen Miesepeter­n? Zum einen, weil sie fühlen, dass sie noch nicht so gut argumentie­ren können wie Erwachsene, meint Kinderpsyc­hologe Guggenbühl, darum weichen sie einem offenen Schlagabta­usch mit ihnen aus. Einen weiteren Grund könnte US-Hirnspezia­list Jay Giedd gefunden haben. Er erforscht seit Jahren die Entwicklun­g des kindlichen Gehirns und hat dabei festgestel­lt, dass dieses während der Pubertät einer Großbauste­lle gleicht. Giedds Interpreta­tion von mehr als 3000 Gehirnaufn­ahmen: Über Jahre wachsen dort Nervenbahn­en. Mit Beginn der Pubertät gibt es Krieg, welche davon überleben dürfen – die Nervenzell­en bekämpfen sich nämlich untereinan­der. Am stärksten davon betroffen: die Stirnlappe­n. Hier wiederum laufen Informatio­nen aus anderen Gehirnbere­ichen zusammen, auch Gefühle, Sinneseind­rücke. Nun fragt sich Giedd, ob Muffelphas­en und andere Stimmungss­chwankunge­n dort ausgelöst werden, wo man sie zuerst sieht: direkt hinter der „Wellblech-Stirn“.

Väter auf Skateboard­s machen sich nur lächerlich

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Foto: Jeanette Dietl, Fotolia

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