Landrat will beim Nuxit Kante zeigen
Freudenberger betont zwar die gute Nachbarschaft zu Neu-Ulm, doch in den Verhandlungen will er klare Interessen vertreten. Nur einer im Kreistag wirbt für den Ausstieg
Vielleicht war es ja auch der Sommerhitze geschuldet, dass Landrat Thorsten Freudenberger mehrfach beteuerte, die Diskussion müsse „mit kühlem Kopf“geführt werden. Immerhin geht es dabei um nicht weniger als das Streben von Neu-Ulm nach Selbstständigkeit. Freudenberger nutzte am Freitag die Kreistagssitzung, um aus seiner Sicht einige Dinge zu den NuxitPlänen zu sagen. Dabei blieb er zwar im Ton wie immer verbindlich, doch er sagte auch klar, bei den Verhandlungen werde er klare Kante zeigen und die Interessen des Landkreises vertreten.
Er spielte damit auf Äußerungen von Oberbürgermeister Gerold Noerenberg an, die Stadt werde nach einem Ausstieg Kooperationen mit dem Kreis suchen und möglicherweise auch Zweckverbände gründen. Freudenberger sagte zurückhaltend, darüber könne geredet werden, wo es sinnvoll sei. Bei der Verteilung der Verwaltungsaufgabe könne es allerdings „keine halbe Kreisfreiheit geben“. Zudem wiederholte er noch einmal seine Äußerungen von vergangener Woche, wonach das Landratsamt keinesfalls außerhalb der Kreisgrenzen liegen könne, sich also die Frage stellt, was mit der Kupferburg geschehen soll. Auch der Kreissitz dürfe nicht drau- sein, womit das Rennen unter den vier verbleibenden Städten eröffnet ist. Und den „Namen einer Stadt, die nicht dazu gehören will“, sollte das neue Gebilde ebenfalls nicht tragen.
Er persönlich bedauert, wenn die Neu-Ulmer die Kreisfreiheit anpeilen, denn die 45 gemeinsamen Jahre seit der Gebietsreform seien erfolgreich gewesen, Stadt und Kreis hätten massiv voneinander profitiert: „Alles andere ist falsch und erfunden. Wir haben 45 gute Jahre gehabt“, sagte der Landrat. Bei aller „Aufbruchseuphorie“dürften die finanziellen Auswirkungen nicht vergessen werden, es drohe die Gefahr, sich massiv zu verrechnen. Er könne als Ausstiegsgrund nicht akzeptieren, wenn die Debatte um die Illertisser Geburtshilfe ins Feld geführt werde. In seinen Augen ist noch vieles ungeklärt: „Ich sehe mehrere Hundert Fragen, aber nur Antworten im einstelligen Bereich.“Freudenberger fürchtet, der Austritt werde zu einem jahrelangen Prozess führen, der die Verwaltungen belastet und auch lähmt.
Auch der CSU-Fraktionsvorsitzende Franz-Clemens Brechtel erinnerte an die turbulenten Zeiten der Gebietsreform: „Es war ein jahrelanges Drama, bis wieder alles rund lief.“Er zog die Logik eines Nuxit in Zweifel, denn mittlerweile gehe aus Effektivitätsgründen der Trend zu größeren Einheiten, doch im Raum Neu-Ulm sei es gerade anders herum. Das werde womöglich keinem guttun, wenn etwa das jetzt bestehende gute Schulsystem durch einen Ausstieg gefährdet werde. Sarkastisch merkte er an: „Wenn es das Selbstbewusstsein der Stadt NeuUlm erfordert, das Wort ,kreisfrei’ auf dem Ortsschild zu haben, dann ist jede Diskussion überflüssig.“
Jürgen Bischof von den Freien Wählern fürchtet, nach der Trennung könnten statt eines großen Landkreises zwei kleine Einheiten übrig bleiben, „die weniger Gewicht haben und die manches doppelt vorhalten müssen“. Dadurch würden letztlich beide schlechter dastehen. Bischof forderte, vor einer Entscheidung solcher Tragweite müssten die Menschen befragt werden: mit einem Bürgerentscheid in NeuUlm und einem im Landkreis. Das wird so nicht funktionieren, erklärte Freudenberger, denn für einen Bürgerentscheid auf Kreisebene fehle die Rechtsgrundlage, „das ist Sache von Neu-Ulm“.
Überraschend findet Helmut Meisel (Grüne), wie schnell das Thema angepackt werde und dann noch vor der Sommerpause entßen schieden werden solle. Seiner Ansicht nach müsste nun der Landkreis sämtliche Planungen einstellen, die auch Neu-Ulm betreffen, etwa für einen Neubau des Lessing-Gymnasiums. Er stört sich auch an dem Parkhausprojekt, das Neu-Ulm zusammen mit der Kreisspitalstiftung beim Edwin-Scharff-Haus durchziehen wird.
Er meint, wenn der Landrat nach eigener Aussage von den Nuxit-Plänen nicht überrascht gewesen sei, dann hätte er das Vorhaben stoppen müssen. Freudenberger hielt dagegen, dass dieser Bau eine seit Jahren anstehende Notwendigkeit sei. Im Übrigen warne er vor „Trotzreaktionen“.
Als einziger Neu-Ulmer meldete sich SPD-Fraktionschef Ulrich Schäufele zu Wort, der darum bat, Emotionen und die „Schärfe“aus der Debatte zu nehmen. Es müsse doch auch die starke Entwicklung Neu-Ulms berücksichtigt werden. Durch den Ausbau der Bahnlinie in die baden-württembergische Landeshauptstadt werde Neu-Ulm städtischer und zu einem Vorort von Stuttgart.
Das wiederum veranlasste den FW-Fraktionsvorsitzenden Kurt Baiker zu der Bemerkung: „Wenn Stuttgart schon in Neu-Ulm beginnt, dann fängt das Allgäu an der NU3 an.“Die führt bekanntlich von Senden nach Beuren.
Jetzt, wo es tatsächlich ans Eingemachte geht, wird endlich mal über das Thema debattiert, unter anderem im Kreistag. In dieser Woche zeigt sich erstmals, ernst es nicht wenigen Entscheidungsträgern der Großen Kreisstadt NeuUlm ist, aus jenem Kreis auszuscheiden. Mitte nächster Woche soll der Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause darüber befinden. Ist das tatsächlich ein Hauruck-Verfahren, wie die Jusos kritisieren? Eigentlich nur auf den ersten Blick, denn hinter den Kulissen hat die Neu-Ulmer Stadtverwaltung seit Herbst, als die NuxitIdee zum ersten Mal hochkochte, intensiv gearbeitet und abgewogen. Dennoch ist das Ergebnis nicht wirklich befriedigend, denn es bleiben zu viele Unwägbarkeiten, vor allem finanzieller Art. Doch die lassen sich vermutlich wirklich nicht seriös abschätzen. Insofern wird es letztlich doch auf eine Bauchentscheidung der Neu-Ulmer Kommunalpolitiker hinauslaufen. Das ist nicht verwerflich, denn im Alltag wird vieles nach Gefühl entschieden, und natürlich auch in der Politik: Jede Abschätzung erfolgt durch Erfahrungen und Gefühle.
Insofern hat Oberbürgermeister Gerold Noerenberg nicht recht, wenn er sagt, die Nuxit-Thematik sei zu kompliziert, um sie den Bürgerinnen und Bürgern direkt zur Entscheidung vorzulegen. Nach dieser Argumentation könnten wir die ganze Wählerei überhaupt sein lassen, denn wer hat tatsächlich schon sämtliche Programme der Parteien durchgeackert und deren Aussagen auf Herz und Nieren überprüft, bevor er sich in die Wahlkabine begibt und seine Entscheidung aus hochkomplexen Abwägungen zu einem simplen Kreuz formt, das er bei der für ihn richtigen Partei oder Gruppierung setzt. Das Gefühl wählt immer mit.
Das gilt in diesem Fall für die politischen Entscheidungsträger, denn warum kocht das Thema ausgerechnet in einer Zeit hoch, da sich der Norden und der Süden des Landkreises wegen des Geburtshilfestreits nicht mehr recht grün sind? In den vergangenen Jahren, seit Neu-Ulm die 50 000er-Grenze überschritten hatte, wurde jedenfalls nicht laut über einen Abschied nachgedacht.
Also: Eine solche historische Entscheidung wie der Nuxit sollte den Bürgern vorgelegt werden. Auch denen im Landkreis? Eher nicht, denn die Europäer haben ja auch nicht über den Brexit abgestimmt. Es sind doch die Neu-Ulmer, die sich (eventuell) verabschieden wollen. Und aus dem Illertisser Rathaus ist dazu schon jetzt ein leises „Servus!“zu hören ...
Zwei Einheiten mit weniger Gewicht