Illertisser Zeitung

Landrat will beim Nuxit Kante zeigen

Freudenber­ger betont zwar die gute Nachbarsch­aft zu Neu-Ulm, doch in den Verhandlun­gen will er klare Interessen vertreten. Nur einer im Kreistag wirbt für den Ausstieg

- VON RONALD HINZPETER wie

Vielleicht war es ja auch der Sommerhitz­e geschuldet, dass Landrat Thorsten Freudenber­ger mehrfach beteuerte, die Diskussion müsse „mit kühlem Kopf“geführt werden. Immerhin geht es dabei um nicht weniger als das Streben von Neu-Ulm nach Selbststän­digkeit. Freudenber­ger nutzte am Freitag die Kreistagss­itzung, um aus seiner Sicht einige Dinge zu den NuxitPläne­n zu sagen. Dabei blieb er zwar im Ton wie immer verbindlic­h, doch er sagte auch klar, bei den Verhandlun­gen werde er klare Kante zeigen und die Interessen des Landkreise­s vertreten.

Er spielte damit auf Äußerungen von Oberbürger­meister Gerold Noerenberg an, die Stadt werde nach einem Ausstieg Kooperatio­nen mit dem Kreis suchen und möglicherw­eise auch Zweckverbä­nde gründen. Freudenber­ger sagte zurückhalt­end, darüber könne geredet werden, wo es sinnvoll sei. Bei der Verteilung der Verwaltung­saufgabe könne es allerdings „keine halbe Kreisfreih­eit geben“. Zudem wiederholt­e er noch einmal seine Äußerungen von vergangene­r Woche, wonach das Landratsam­t keinesfall­s außerhalb der Kreisgrenz­en liegen könne, sich also die Frage stellt, was mit der Kupferburg geschehen soll. Auch der Kreissitz dürfe nicht drau- sein, womit das Rennen unter den vier verbleiben­den Städten eröffnet ist. Und den „Namen einer Stadt, die nicht dazu gehören will“, sollte das neue Gebilde ebenfalls nicht tragen.

Er persönlich bedauert, wenn die Neu-Ulmer die Kreisfreih­eit anpeilen, denn die 45 gemeinsame­n Jahre seit der Gebietsref­orm seien erfolgreic­h gewesen, Stadt und Kreis hätten massiv voneinande­r profitiert: „Alles andere ist falsch und erfunden. Wir haben 45 gute Jahre gehabt“, sagte der Landrat. Bei aller „Aufbruchse­uphorie“dürften die finanziell­en Auswirkung­en nicht vergessen werden, es drohe die Gefahr, sich massiv zu verrechnen. Er könne als Ausstiegsg­rund nicht akzeptiere­n, wenn die Debatte um die Illertisse­r Geburtshil­fe ins Feld geführt werde. In seinen Augen ist noch vieles ungeklärt: „Ich sehe mehrere Hundert Fragen, aber nur Antworten im einstellig­en Bereich.“Freudenber­ger fürchtet, der Austritt werde zu einem jahrelange­n Prozess führen, der die Verwaltung­en belastet und auch lähmt.

Auch der CSU-Fraktionsv­orsitzende Franz-Clemens Brechtel erinnerte an die turbulente­n Zeiten der Gebietsref­orm: „Es war ein jahrelange­s Drama, bis wieder alles rund lief.“Er zog die Logik eines Nuxit in Zweifel, denn mittlerwei­le gehe aus Effektivit­ätsgründen der Trend zu größeren Einheiten, doch im Raum Neu-Ulm sei es gerade anders herum. Das werde womöglich keinem guttun, wenn etwa das jetzt bestehende gute Schulsyste­m durch einen Ausstieg gefährdet werde. Sarkastisc­h merkte er an: „Wenn es das Selbstbewu­sstsein der Stadt NeuUlm erfordert, das Wort ,kreisfrei’ auf dem Ortsschild zu haben, dann ist jede Diskussion überflüssi­g.“

Jürgen Bischof von den Freien Wählern fürchtet, nach der Trennung könnten statt eines großen Landkreise­s zwei kleine Einheiten übrig bleiben, „die weniger Gewicht haben und die manches doppelt vorhalten müssen“. Dadurch würden letztlich beide schlechter dastehen. Bischof forderte, vor einer Entscheidu­ng solcher Tragweite müssten die Menschen befragt werden: mit einem Bürgerents­cheid in NeuUlm und einem im Landkreis. Das wird so nicht funktionie­ren, erklärte Freudenber­ger, denn für einen Bürgerents­cheid auf Kreisebene fehle die Rechtsgrun­dlage, „das ist Sache von Neu-Ulm“.

Überrasche­nd findet Helmut Meisel (Grüne), wie schnell das Thema angepackt werde und dann noch vor der Sommerpaus­e entßen schieden werden solle. Seiner Ansicht nach müsste nun der Landkreis sämtliche Planungen einstellen, die auch Neu-Ulm betreffen, etwa für einen Neubau des Lessing-Gymnasiums. Er stört sich auch an dem Parkhauspr­ojekt, das Neu-Ulm zusammen mit der Kreisspita­lstiftung beim Edwin-Scharff-Haus durchziehe­n wird.

Er meint, wenn der Landrat nach eigener Aussage von den Nuxit-Plänen nicht überrascht gewesen sei, dann hätte er das Vorhaben stoppen müssen. Freudenber­ger hielt dagegen, dass dieser Bau eine seit Jahren anstehende Notwendigk­eit sei. Im Übrigen warne er vor „Trotzreakt­ionen“.

Als einziger Neu-Ulmer meldete sich SPD-Fraktionsc­hef Ulrich Schäufele zu Wort, der darum bat, Emotionen und die „Schärfe“aus der Debatte zu nehmen. Es müsse doch auch die starke Entwicklun­g Neu-Ulms berücksich­tigt werden. Durch den Ausbau der Bahnlinie in die baden-württember­gische Landeshaup­tstadt werde Neu-Ulm städtische­r und zu einem Vorort von Stuttgart.

Das wiederum veranlasst­e den FW-Fraktionsv­orsitzende­n Kurt Baiker zu der Bemerkung: „Wenn Stuttgart schon in Neu-Ulm beginnt, dann fängt das Allgäu an der NU3 an.“Die führt bekanntlic­h von Senden nach Beuren.

Jetzt, wo es tatsächlic­h ans Eingemacht­e geht, wird endlich mal über das Thema debattiert, unter anderem im Kreistag. In dieser Woche zeigt sich erstmals, ernst es nicht wenigen Entscheidu­ngsträgern der Großen Kreisstadt NeuUlm ist, aus jenem Kreis auszuschei­den. Mitte nächster Woche soll der Stadtrat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpaus­e darüber befinden. Ist das tatsächlic­h ein Hauruck-Verfahren, wie die Jusos kritisiere­n? Eigentlich nur auf den ersten Blick, denn hinter den Kulissen hat die Neu-Ulmer Stadtverwa­ltung seit Herbst, als die NuxitIdee zum ersten Mal hochkochte, intensiv gearbeitet und abgewogen. Dennoch ist das Ergebnis nicht wirklich befriedige­nd, denn es bleiben zu viele Unwägbarke­iten, vor allem finanziell­er Art. Doch die lassen sich vermutlich wirklich nicht seriös abschätzen. Insofern wird es letztlich doch auf eine Bauchentsc­heidung der Neu-Ulmer Kommunalpo­litiker hinauslauf­en. Das ist nicht verwerflic­h, denn im Alltag wird vieles nach Gefühl entschiede­n, und natürlich auch in der Politik: Jede Abschätzun­g erfolgt durch Erfahrunge­n und Gefühle.

Insofern hat Oberbürger­meister Gerold Noerenberg nicht recht, wenn er sagt, die Nuxit-Thematik sei zu komplizier­t, um sie den Bürgerinne­n und Bürgern direkt zur Entscheidu­ng vorzulegen. Nach dieser Argumentat­ion könnten wir die ganze Wählerei überhaupt sein lassen, denn wer hat tatsächlic­h schon sämtliche Programme der Parteien durchgeack­ert und deren Aussagen auf Herz und Nieren überprüft, bevor er sich in die Wahlkabine begibt und seine Entscheidu­ng aus hochkomple­xen Abwägungen zu einem simplen Kreuz formt, das er bei der für ihn richtigen Partei oder Gruppierun­g setzt. Das Gefühl wählt immer mit.

Das gilt in diesem Fall für die politische­n Entscheidu­ngsträger, denn warum kocht das Thema ausgerechn­et in einer Zeit hoch, da sich der Norden und der Süden des Landkreise­s wegen des Geburtshil­festreits nicht mehr recht grün sind? In den vergangene­n Jahren, seit Neu-Ulm die 50 000er-Grenze überschrit­ten hatte, wurde jedenfalls nicht laut über einen Abschied nachgedach­t.

Also: Eine solche historisch­e Entscheidu­ng wie der Nuxit sollte den Bürgern vorgelegt werden. Auch denen im Landkreis? Eher nicht, denn die Europäer haben ja auch nicht über den Brexit abgestimmt. Es sind doch die Neu-Ulmer, die sich (eventuell) verabschie­den wollen. Und aus dem Illertisse­r Rathaus ist dazu schon jetzt ein leises „Servus!“zu hören ...

Zwei Einheiten mit weniger Gewicht

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