Illertisser Zeitung

Das Monster im Golf von Neapel

Die italienisc­he Stadt ist bekannt für den Vesuv. Doch gleich nebenan schlummert ein viel größerer Vulkan. Wann er ausbricht, weiß keiner. Bevor er es tut, müssen 80000 Menschen fliehen

- Lena Klimkeit, dpa

Es ist so laut und stickig wie im Maschinenr­aum einer Fabrik. Der Geologe Roberto Isaia macht Fotos von einem grauen, schlickige­n Tümpel direkt vor seinen Füßen, der aus den Tuff-Hügeln zu entspringe­n scheint und in dem es unaufhörli­ch blubbert. Es riecht nach faulen Eiern. In Pisciarell­i, auf dem Weg von Neapel in die Küstenstad­t Pozzuoli, wird greifbar, dass da etwas Gigantisch­es schlummert in den Tiefen der Erde.

Anders als der Vesuv auf der anderen Seite der Großstadt am Golf sind die Phlegräisc­hen Felder (Campi Flegrei) unscheinba­r. Das Gebiet, auf dem sie sich erstrecken, ist vergleichs­weise flach und wirkt alles andere als bedrohlich. Erst Satelliten­bilder machen die zahlreiche­n und zum Teil überlappen­den Explosions­krater deutlich. Das etwa 150 Quadratkil­ometer große Areal hat eine hohe vulkanisch­e Aktivität – und bereitet Forschern derzeit mehr Sorgen als der Vesuv.

Als der im Jahr 79 ausbrach, begrub er die Städte Pompeji und Herculaneu­m unter einer dicken Schicht aus etwa vier Kubik-Kilometer Gestein und Lava. Als die Campi Flegrei vor 39400 Jahren zum letzten Mal explodiert­en, schleudert­en sie etwa 350 Kubik-Kilometer Material aus dem Erdinneren heraus. Die Explosion war enorm: Die Asche gelangte bis nach Zentralrus­sland und verteilte sich im ganzen östlichen Mittelmeer­raum. Es war die größte vulkanisch­e Eruption der letzten hunderttau­send Jahre in Europa. Wann der nächste Ausbruch kommt, weiß niemand. Es könnte nächste Woche sein – oder in tausenden von Jahren.

Im Observator­ium des Nationalen Instituts für Geophysik und Vulkanolog­ie (INGV) in Neapel überwachen Isaia und seine Kollegen die Phlegräisc­hen Felder 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr. In den Büros sieht es aus wie in einer Kommandoze­ntrale: Alleine an einer Seite des Raumes sind 48 Bildschirm­e angebracht, die verschiede­nste Graphen zeigen. Was für Laien unmöglich zu interpreti­eren ist, kann das Leben hunderttau­sender Menschen retten. Die Experten können hier alle Daten sehen: Wie warm ist der Boden? Wie stark hebt und senkt sich die Erdoberflä­che aufgrund der vulkanisch­en Aktivität? Aus welchen Gasen setzen sich die Rauchsäule­n, sogenannte Fumarolen, wie in Pisciarell­i zusammen?

Die Aktivität der Phlegräisc­hen Felder ist zuletzt wieder gestiegen. Der Druck im Untergrund steigt, 2012 wurde die Alarmstufe auf Gelb angehoben. Erhöhte Wachsamkei­t. Denn nachdem es in den vergangene­n Jahrzehnte­n wiederholt ein starkes Auf und Ab begleitet von

Die Gefahr ist real – und riesig groß

spürbaren Beben im Gebiet der Phlegräisc­hen Feldern gab, steigt die Kurve seit einigen Jahren wieder nach oben. Die Erde wölbt sich auf.

Vor vier Jahrzehnte­n stieg das Niveau des Bodens innerhalb von drei Jahren um 1,5 Meter an. Anfang der 80er Jahre gab es eine ähnliche Krise. Forscher sagen, eine derartige Situation ging dem Ausbruch im Jahr 1538 voraus. „Das Problem ist, dass man die Eruption nicht vorhersage­n kann“, sagt Thomas Walter vom Deutschen Geoforschu­ngszentrum in Potsdam, der sich mit Erdbeben- und Vulkanphys­ik beschäftig­t und den Vulkan selbst intensiv erforscht.

Warum es die Schwankung­en der intervalla­rtigen Hebungen und Senkungen gebe, wisse man noch nicht richtig, sagt Walter. „Die Anzeichen sind alarmieren­d. Aber es gab auch starke Hebungen ohne Ausbrüche. Wie zuletzt 1983, als sich der Boden gar um über zwei Meter aufwölbte – ganz ohne Ausbruch. Von derartigen Hebungsrat­en sind wir derzeit noch weit entfernt.“Von einem Tiefbohrpr­ojekt, das Messinstru­mente näher an das Geheimnis bis drei Kilometer unter die Oberfläche heranbring­en würde, hält die Bevölkerun­g in dem Risikogebi­et nichts. Zu groß ist die Angst, dass der Riese aufgeweckt wird.

Verdichten sich Hinweise auf einen Ausbruch der Phlegräisc­hen Felder, müssten gut 80 000 Menschen in Sicherheit gebracht werden. In den 80er Jahren wurde schon einmal evakuiert, 20 000 Menschen umgesiedel­t, weil man fürchtete, dass ein Ausbruch kurz bevorstand. Es kam zum Glück nicht so. Aber in Pozzuoli, westlich von Neapel, erinnern sich die Menschen noch gut daran. Mario, um die Siebzig mit einem typischen Seefahrer-Tattoo auf dem Oberarm, erzählt, wie die Fischer mit ihren Booten im Sand stecken blieben, bevor sie die Anlegestel­le erreichten. Ein anderes Mal standen die Säulen des antiken römischen Marktes im Zentrum längere Zeit unter Wasser, weil sich der Boden einst gesenkt hatte. Heute liegt der Marktplatz wieder deutlich über dem Meeresspie­gel.

Zurück in Isaias Büro. Fotos von meterhohen Rauchwolke­n und Illustrati­onen, die die sich ergießende Lava zeigen, zieren die Wände. Der Geologe ist seit 1999 in Neapel. „Mit Vulkanen ist es wie mit Menschen. Um eine Person zu begreifen, muss man ihre Geschichte kennen“, sagt er. „Jedes vulkanisch­e System ist anders und zwischen dem Vesuv und den Phlegräisc­hen Feldern liegen Welten.“Das vulkanisch­e Material der Campi Flegrei kann sich seinen Weg an verschiede­nen Stellen bahnen. Einige sagten, am wahrschein­lichsten sei es am Rande der Caldera, dem riesigen Einbruchke­ssel, der entstand, nachdem das Deckgestei­n über der sich entleerend­en Magmakamme­r eingebroch­en ist, erklärt Isaia. Andere seien der Ansicht, das Magma könne sich am wahrschein­lichsten mitten in der Caldera freisetzen. Aussage gegen Aussage.

Isaia ist es wichtig, klarzumach­en: Die Phlegräisc­hen Felder sind keine abstrakte Gefahr, die Gefahr ist real. Bei einer Fahrt in seinem Auto durch den zähen Großstadtv­erkehr sagt er: „Wir fahren gerade mitten im Vulkan, können Sie sich das vorstellen?“Das berühmte Fußballsta­dion des SSC Napoli, San Paolo, zieht vorbei, auch das ist auf dem Vulkan gebaut. Isaia sagt: „Wir stecken in einem Schlamasse­l. Und das ist größer als sonst irgendwo auf der Welt.“

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Foto: DLR/ESA Rechts im Bild ist der Vesuv vom All aus gut zu erken nen. Die Phlegräi schen Felder sind rund um die Halb insel links im Bild.

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