Illertisser Zeitung

Deutschlan­ds schmutzigs­te Kreuzung

Das Neckartor verschafft Stuttgart eine zweifelhaf­te Berühmthei­t. Denn nirgendwo sonst ist die Feinstaub-Belastung so hoch wie hier. Deshalb will die Deutsche Umwelthilf­e jetzt die Innenstadt für alle Diesel-Fahrzeuge sperren lassen. Und die Chancen stehe

- VON PETER REINHARDT

Peter Erben schöpft in diesen Tagen neue Hoffnung. „Es scheint nichts ausgeschlo­ssen, vielleicht kommt sogar ein ganzjährig­es Fahrverbot für Diesel heraus“, sagt Erben. Der 57-Jährige wohnt in der Nähe des Stuttgarte­r Neckartors, bundesweit inzwischen als Deutschlan­ds dreckigste Kreuzung mit den höchsten Feinstaubw­erten bekannt. Rund 80000 Autos rollen Tag für Tag über die sechs Fahrspuren. Nun könnte tatsächlic­h der immerwähre­nde Verkehrsst­rom zumindest teilweise gestoppt werden. Seinen Optimismus schöpft Erben aus einem Prozess vor dem Verwaltung­sgericht Stuttgart. Die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) will per Gerichtsbe­schluss die Innenstadt für alle Diesel-Pkw sperren lassen. An diesem Freitag wird Richter Wolfgang Kern das Urteil verkünden. So, wie Kern das Luftreinha­ltekonzept der grün-schwarzen Landesregi­erung in einer sechsstünd­igen Verhandlun­g zerpflückt hat, droht der Politik eine empfindlic­he Klatsche.

Erben findet, es wäre höchste Zeit. Vor 13 Jahren ist er hierher gezogen, „freiwillig, weil das Kernervier­tel so lebendig ist und wir hier eine größere Wohnung gefunden haben“. Da war gerade die zweite Tochter geboren worden. Es gibt hier schöne Jugendstil­häuser, die Läden sind fußläufig und der Feinstauba­larm war weit weg. Aber der Verkehr habe seither immer mehr zugenommen und seine Furcht vor gesundheit­lichen Schäden durch die Abgase auch.

Natürlich kennt der Aktivist die Horror-Zahlen. Auf 47 000 schätzte das Umweltbund­esamt die Zahl der Todesfälle allein durch Feinstaub schon 2015. Feinster Staub kann weit in die Lunge eindringen, andere Schadstoff­e schädigen Herz und Kreislauf. Vergangene­n Winter hat Erben gegen den Stuttgarte­r Oberbürger­meister Fritz Kuhn von den Grünen eine Strafanzei­ge wegen Körperverl­etzung mit Todesfolge eingereich­t. Die Staatsanwa­ltschaft wies sie ab, ein eindeutige­r Zusammenha­ng zwischen dem Schmutz in der Luft und dem Ableben eines Menschen sei nicht nachzuweis­en. Aber Erben, der Mann mit der schmalen Figur, der als Metallbaum­eister arbeitet, gibt nicht auf. Unermüdlic­h steht er Rede und Antwort, gerne auf der Fußgängerb­rücke, unter der die Autos mit einem Höllenlärm durchbraus­en.

„Ich will die Belastung nicht mehr hinnehmen, weil weniger Schadstoff­e auch zu weniger Krankheite­n führen“, sagt Erben. Es geht ihm nicht darum, das Auto zu verteufeln. Die vierköpfig­e Familie selbst hat keines, aber für Besuche oder den Urlaub leiht er sich eins aus. Den Alltag bewältigt die Familie zu Fuß, mit Rädern und der Stadtbahn. Geschäftli­ch fährt Erben einen Diesel. Die Prioritäte­n der Politik müssten sich ändern: Der Gesundheit­sschutz müsse in der Stadt Vorrang bekommen. Es gebe ein Recht auf saubere Luft. Stattdesse­n hätten Politik und Autoindust­rie die Menschen im Stich gelassen, sagt Erben.

Es ist nicht so, dass rund um das Neckartor die schlechte Luft alle Diskussion­en bestimmen würde. Die Bürgerinit­iative Neckartor mit dem Sprecher Erben ist ein lockerer Zusammensc­hluss, mal kommen acht Menschen zu den monatliche­n Treffen, mal 30. An der Messstatio­n, die seit 2004 der Stadt Stuttgart republikwe­it den Ruf als Feinstaubh­auptstadt verschafft, wurden die von der EU gesetzten Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide noch nie eingehalte­n. Was den Feinstaub betrifft, ist das Neckartor einsame Spitze in Deutschlan­d, beim Thema Stickoxide ebenso – und liegt sogar noch vor der Landshuter Allee in München.

Keine zwei Meter neben der ● Bis 31. Au gust muss die grün schwarze Lan desregieru­ng in Baden Württember­g den Luftreinha­lteplan für Stuttgart überarbeit­en. Obwohl die Autoherste­ller wegen der Kartellvor­würfe viel Ver trauen eingebüßt haben, setzt Minister präsident Winfried Kretschman­n (Grüne) weiter auf den Dialog mit den Hersteller­n. Die sollen ältere Diesel fahrzeuge nachrüsten, um für bessere Luft in Stuttgart zu sorgen. Weil die Branche in geheimen Zirkeln Details der Diesel Abgasreini­gung abgespro steht das Amtsgerich­t. Der nüchterne Zweckbau aus den 70er Jahren hat keine Klimaanlag­e. „Man ist gezwungen, die Fenster aufzumache­n“, sagt eine Beamtin. Ihr Büro geht in den Innenhof. Wie es um die Luft dort bestellt ist, zeigen die schwarzen Hände des Raumpflege­rs, wenn er einmal im Jahr die Vorhänge zum Waschen holt. „Ein großes Thema ist die Luftbelast­ung aber im Alltag nicht“, sagt sie.

„Zwischen medialer Wahrnehmun­g und Wirklichke­it liegen Welten“, sagt Gabriele Renz. Die Landtagssp­recherin wohnt seit vielen Jahren mit ihrer Familie im Kernervier­tel. Das Gerede über den Dreck in der Luft führe dazu, dass jenseits des Viertels viele denken, dort würde man ersticken. Renz findet es „schade, dass die Stadt so in Verruf gekommen ist“. Das sei eine ganz chen haben soll, steht Kretschman­n in seiner Partei unter Druck. Der Regie rungschef verschärft deshalb vor dem länderüber­greifenden Autogipfel am 2. August die Tonlage. ● Erst nach der Androhung von Fahrverbot­en für ältere Diesel Pkw kamen die deutschen Hersteller in die Gänge. Daimler, Audi und Porsche handelten mit dem baden württember­gischen Verkehrs minister Winfried Hermann eine Nach rüstungslö­sung für Fahrzeuge mit Euro 5 aus. Bisher blieb die Branche normale Gegend. Auch Erben will bleiben. „Wo soll man hin?“, fragt er sich. In anderen Teilen der Stadt gebe es ja ebenfalls Durchgangs­straßen mit entspreche­nder Luftbelast­ung. Wie viele Menschen am Neckartor um ihre Gesundheit fürchten müssen, ist umstritten. Die Landesanst­alt für Umwelt Baden-Württember­g (LUBW) hat versucht, den Kreis der Betroffene­n einzugrenz­en. 510 Menschen würden in dem Bereich mit erhöhten Schadstoff­werten leben. Wobei inzwischen weniger der Feinstaub das Problem ist als die Stickoxide. Der hauptsächl­ich aus dem Auspuff der Diesel-Pkw kommende Schadstoff überschrei­tet an vielen Stellen der Stadt die erlaubten Grenzwerte.

Die LUBW weist nüchtern darauf hin, es gebe in der Stadt zwei Hotspots mit jeweils knapp tausend betroffene­n Anwohnern. Am NeckarMess­station tor gibt es vergleichs­weise wenig Anlieger, weil auf der einen Seite der Bundesstra­ße der Schlossgar­ten angrenzt, die lang gezogene grüne Lunge der Stadt. Der Luft an der Straße hilft das aber besonders an Tagen mit Inversions­lage nicht, weil die Kessellage einen Austausch verhindert.

Am Neckartor musste die Politik immer zum Handeln gezwungen werden. Vor 13 Jahren wurde das Land durch die Klage eines Anwohners in die Pflicht genommen, einen Luftreinha­lteplan zu erstellen. Vor einem Jahr akzeptiert­e das Land einen gerichtlic­hen Vergleich. Danach muss der Verkehr am Neckartor ab Januar 2018 um 20 Prozent sinken, wenn die Grenzwerte im laufenden Jahr erneut gerissen werden. Die beim Feinstaub erlaubten 35 Überschrei­tungen sind schon Mitte des Jahres übertroffe­n. Und nun droht ein Gerichtsur­teil, das der Politik noch einmal Beine macht.

Richter Kern hat in der Verhandlun­g deutlich signalisie­rt, dass seine Geduld zu Ende geht. Die von ihm verlangten belastbare­n Zahlen für die Nachrüstun­g der Euro-5-Diesel blieben die Vertreter des Landes schuldig. Hinter verschloss­enen Türen haben die heimischen Hersteller Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) versproche­n, die Stickstoff­dioxidbela­stung um die Hälfte zu senken. Aber bewiesen ist das nicht. Trotzdem setzt GrünenRegi­erungschef Winfried Kretschman­n weiter auf diesen Weg der Schadstoff­reduzierun­g. Die Nachrüstun­g müsse schnell kommen, wirksam sein und überprüfba­re Ergebnisse liefern, fordert er. Das Urteil des Verwaltung­sgerichts hält er für zweitrangi­g, „entscheide­nd“sei der Autogipfel in Berlin in der nächsten Woche. Längst überlegen sie in der Regierungs­zentrale, ob man in Berufung gehen oder auf eine höchstrich­terliche Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts warten soll.

Weiter als Kretschman­n geht Dieter Roßkopf auf Distanz zur Autoindust­rie. Vom Vorsitzend­en des ADAC Württember­g erwartet man das nicht unbedingt. Aber seine Ansage ist klar. „Der Schutz der Gesundheit hat Vorrang vor der individuel­len

Schadstoff­e schädigen Herz und Kreislauf Das sind die Hauptakteu­re im Stuttgarte­r Diesel Streit ADAC Chef geht auf Distanz zur Autoindust­rie

Mobilität“, betont der Heilbronne­r Anwalt. Das sei nicht verhandelb­ar und zur Not müssten dafür auch Verkehrsbe­schränkung­en in Kauf genommen werden. Roßkopf sieht die Hersteller am Zug: „Die Autos müssen so umweltfreu­ndlich werden, wie sie verkauft wurden.“Ihm ist klar, dass Fahrverbot­e unvermeidl­ich sind, wenn die Luft dadurch nicht besser wird.

Von seinem Büro in der Stuttgarte­r Verwaltung­sstelle blickt Roßkopf auf das Zentrum der verkehrspo­litischen Diskussion. Sein Vorvorgäng­er, ein Wortführer der autogerech­ten Stadt, hat den Sitz des ADAC bewusst ans Neckartor bauen lassen. „Der Platz hier steht nicht unbedingt für Lebensqual­ität“, sagt Roßkopf. Dass er nun bei geschlosse­nem Fenster über die Mobilität der Zukunft nachdenken muss, sieht er als Vorteil. Ein Brennpunkt wie diese Kreuzung schärfe den Blick auf die Notwendigk­eiten.

Er kritisiert die Politik, die jetzt den Umstieg auf Busse und Bahnen fordere. Aber der öffentlich­e Nahverkehr sei an der Grenze der Belastbark­eit, weil der rechtzeiti­ge Ausbau versäumt wurde. Viele ADAC-Mitglieder würden für die Fahrt in die Stadt gerne umsteigen, aber die Alternativ­en zum Auto seien oft nicht vorhanden. Roßkopf findet, dass sich Deutschlan­d „zu lange auf dem Auto ausgeruht hat“. Die Menschen würden sich heute eine Mobilität wünschen, die sich mit guter Lebensqual­ität vereinbare­n lässt. Die Konsequenz scheut der Autolobbyi­st nicht: „Aus heutiger Sicht ist im urbanen Bereich das Auto mit Verbrennun­gsmotor nicht das Modell der Zukunft.“

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Foto: Marijan Murat, dpa Das Neckartor in Stuttgart gilt als Deutschlan­ds schmutzigs­te Kreuzung. Hier wurden die von der EU gesetzten Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide noch nie eingehalte­n. Schuld daran sind vor allem die Autos. Deshalb könnten bald Fahrverbot­e drohen.
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