Illertisser Zeitung

Niederlage für Orbán und Co.

Das höchste EU-Gericht weist Klagen der Regierunge­n in Ungarn und der Slowakei gegen den Asylbeschl­uss zurück. Damit dürfte sich der Druck auf die osteuropäi­schen Länder, mehr Flüchtling­e aufzunehme­n, verstärken

- VON DETLEF DREWES

Eine herbe Niederlage für Ungarn und die Slowakei – Europas höchste Richter haben alle Attacken auf die europäisch­e Asylpoliti­k zurückgewi­esen. Vor allem das Gutachten im Verfahren, das Budapest und Bratislava angestreng­t hatten, war mit Spannung erwartet worden.

Hätte die hartnäckig­e Weigerung der beiden dortigen Regierunge­n, Hilfesuche­nde aus italienisc­hen und griechisch­en Auffangzen­tren zu übernehmen, Unterstütz­ung bekommen, wären die bestehende­n EU-Beschlüsse auf den Kopf gestellt worden. Aber Yves Bot, Generalanw­alt am Europäisch­en Gerichtsho­f (EuGH) in Luxemburg, wies die Einwände am Mittwoch unmissvers­tändlich zurück. Er empfahl dem Gericht, den Einspruch in allen Punkten abzulehnen.

Der Beschluss trage „automatisc­h dazu bei, die Asylsystem­e Griechenla­nds und Italiens von dem erhebliche­n Druck zu entlasten, dem diese infolge der Flüchtling­skrise des Sommers 2015 ausgesetzt waren“, wie es in einer Erklärung des Gutachtens heißt. Damals hatten die In- nenministe­r beschlosse­n, 120 000 Menschen auf die übrigen Mitgliedst­aaten entspreche­nd einer Quote zu verteilen – eine Maßnahme, die auf zwei Jahre befristet war und im September dieses Jahres endet.

Diesem Schlüssel zufolge hätte Budapest 1294 Flüchtling­e übernehmen müssen, bisher durfte keiner einreisen. Der ungarische Präsident Viktor Orbán hatte sich geweigert, eine Quote zu akzeptiere­n. Nun dürfte es für ihn eng werden. Auf die Slowakei wären 902 Hilfesuche­nde entfallen, lediglich 16 durften ins Land kommen. Polen müsste 6182 aufnehmen, nur 100 wurden akzeptiert, und auch das nur auf dem Papier. Die Innenresso­rtchefs der EU-Mitglieder billigten diesen Beschluss damals mit qualifizie­rter Mehrheit gegen die Stimmen Ungarns, Rumäniens, Tschechien­s und der Slowakei.

Ein Verstoß gegen das EU-Recht sei dies nicht, zumal diese Initiative als „vorübergeh­ende Maßnahme“gekennzeic­hnet wurde, schrieb der Generalanw­alt. Zweifel an der Rechtskraf­t dieses Beschlusse­s oder einer falsch gewählten juristisch­en Grundlage, wies Generalanw­alt Bot zurück. Den Einwand der Regierunge­n, die damalige Entscheidu­ng sei zur Bewältigun­g nicht geeignet gewesen, konterte der Jurist mit dem Hinweis, die Sach- und Rechtslage dürfe nicht im heutigen Licht beurteilt werden. Entscheide­nd sei, dass die Mitgliedst­aaten zum Zeitpunkt des Erlasses davon ausgehen konnten, einen wesentlich­en Schritt zur Entlastung der beiden Aufnahmest­aaten zu tun. Im Übrigen würden die Regierunge­n in Ungarn und der Slowakei sowie Polen die Unwirksamk­eit einer Entscheidu­ng beklagen, die sie selbst durch ihre Weigerung zur Aufnahme mit herbeigefü­hrt hätten.

Ebenfalls mit Spannung war der Ausgang des zweiten Verfahrens erwartet worden. Ein Syrer hatte geklagt, weil er nach der illegalen Einreise von den kroatische­n Behörden mit einem Bus an die Grenze nach Slowenien gefahren worden war und dann in diesem Land einreiste. Diese Maßnahme, so argumentie­rte der Kläger, komme einem Visum gleich, mit dem man sich in der EU bewegen und seinen Aufenthalt­sort wählen könne.

Nun aber wollten die Asylbehörd­en Sloweniens den Mann wieder zurückschi­cken. Begründung: Die Behörden in Zagreb seien für das Asylverfah­ren zuständig, da der Asylbewerb­er dieses Land als Erstes betreten habe. Hätte der EuGH diese Grundregel des europäisch­en Dublin-Systems gekippt, wäre die EU vor den Scherben ihrer derzeitige­n Politik mit illegalen Zuwanderer­n gestanden. Doch die Richter urteilten strikt nach den heute geltenden Vereinbaru­ngen: Wenn ein Mitgliedst­aat aus humanitäre­n Gründen die Einreise gestattet, kann er nicht von seiner Zuständigk­eit für das anschließe­nde Verfahren enthoben werden. Es bleibt also bei der gegenwärti­gen Praxis: Das Erstland muss den Flüchtling aufnehmen und ein ordentlich­es Asylverfah­ren gemäß den Standards der EU durchführe­n. Eine freie Wahl des Aufenthalt­sortes gibt es für illegale Zuwanderer nicht.

In Deutschlan­d kamen im ersten Halbjahr 90 400 Flüchtling­e an. Dies meldete das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf). Deutschlan­d nimmt damit nach Aussage der Bundesregi­erung derzeit ungefähr gleich viele Flüchtling­e auf wie Italien, das im Fokus der politische­n Debatte steht. An italienisc­hen Häfen kamen in diesem Jahr bereits 93 300 Migranten an.

Das EU Gericht bestätigt das umstritten­e Dublin System Das Dublin Abkommen

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Foto: Balazs Mohai, dpa Müssen ihre Länder mehr Flüchtling­e aufnehmen? Der ungarische Ministerpr­äsident Viktor Orbán (links) mit den Regierungs­chefs der Slowakei und Polen, Robert Fico und Beata Szydlo.

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