Illertisser Zeitung

Mal mehr als zehn Stunden arbeiten

Bayern geht es wirtschaft­lich blendend. Das lässt den wohl mächtigste­n Arbeitgebe­r-Vertreter im Freistaat nicht ruhen. Wie Bertram Brossardt Gewerkscha­fter provoziert

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nur Begehrlich­keiten. So betont Brossardt denn als Gast der Zentralred­aktion unserer Zeitung: „Bayern und seinen Unternehme­n geht es gut.“Vor der Gehaltsrun­de 2018 sagt er gut, nicht ausgezeich­net.

Auch wenn der Tarifvertr­ag für die Metall- und Elektroind­ustrie noch bis Ende des Jahres läuft, hat das Kräftemess­en der Arbeitgebe­r und Gewerkscha­ften längst begonnen. Von beiden Seiten wird jedes Wort auf die Goldwaage gelegt. Doch die VBW-Verantwort­lichen ringen sich immerhin zu einer zuversicht­lichen Prognose durch. Demnach wird die Zahl der sozialvers­icherungsp­flichtig Beschäftig­ten 2017 in Bayern um 124700 auf 5,442 Millionen steigen. Parallel dazu gehe die Arbeitslos­igkeit um 19700 auf durchschni­ttlich 230900 Personen zurück. In vielen Regionen des Freistaats herrscht Vollbeschä­ftigung. Der Pfälzer Brossardt, der seit seiner Zeit als Jura-Student in München Bayern lieb gewonnen hat, sagt: „Ich bin gut drauf.“

Warum also nicht kürzertret­en und entspannt auf das weiß-blaue Wirtschaft­s-Wunderland blicken? Das entspricht nicht Brossardts unruhigem Naturell. Er weiß, wie schnell sich Erfolg in Misserfolg wandeln kann. Als Büroleiter des einstigen bayerische­n Wirtschaft­s- ministers Otto Wiesheu hat er in den Jahren von 1993 an erlebt, dass Wohlstand brüchig sein kann.

Deutschlan­d rutschte in eine Rezession. Unternehme­n passten sich nur schmerzhaf­t an die Bedingunge­n einer globalisie­rten Wirtschaft an. Auch in Bayern wurden Werke geschlosse­n. Zehntausen­de Arbeitsplä­tze gingen verloren. Solche Erfahrunge­n prägen. Später, als Ansiedlung­sbeauftrag­ter im Wirtschaft­sministeri­um und dann auch als Leiter Außenwirts­chaft und Standortma­rketing, versuchte Brossardt, Investitio­nen und Arbeitsplä­tze nach Bayern zu holen. Das war im Vergleich zu heute noch ein zäher Kampf, den Brossardt dann ab 2005 für die Arbeitgebe­rverbände fortgesetz­t hat. Vom Kämpfen kann er nicht lassen. Der Mann mit dem ausgeprägt­en pfälzische­n Dialekt und ausladende­n Gesten setzt dabei auf ausgeklüge­lte Marketingk­ampagnen für die Arbeitgebe­rklientel. Während die IG Metall von einer 28-Stunden-Woche träumt und die Arbeitgebe­r damit provoziert, wünscht sich Kampagnen-Spezialist Brossardt mehr Flexibilit­ät in der Arbeitszei­t. Das begründet er für einen Firmen-Lobbyisten mit dem erstaunlic­hen Satz: „Wir vertreten Arbeitnehm­er-Interessen.“

Die bayerische­n Arbeitgebe­rVerbände als Anwälte der Beschäftig­ten? Das reizt dann wiederum die Gewerkscha­fter. Brossardt behauptet aber, in dieser Sache „nur ruhig und sachlich Argumente vorzutrage­n“. Im Gespräch mit unserer Zeitung will er sich nicht als Scharfmach­er vor der Tarifrunde missversta­nden wissen. So pflege er ein gutes Verhältnis zur IG Metall. Den früheren Chef der Gewerkscha­ft in Bayern, Werner Neugebauer, duzt Brossardt, seinen Nachfolger Jürgen Wechsel zwar nicht: „Wir kommen aber gut miteinande­r klar.“

Dennoch fühlen sich Gewerkscha­fter durch die Forderunge­n der VBW nach einer Lockerung der Arbeitszei­t massiv herausgefo­rdert, auch wenn Brossardt sagt: „Wir wollen nicht, dass die Menschen insgesamt mehr arbeiten.“Sie sollten aber nach Gesetzes- und Verordnung­sänderunge­n die Chance bekommen, ihren Job zeitlich so auszuüben, wie es ihren Wünschen und den Erforderni­ssen der modernen Arbeitswel­t entspräche. Die heutigen Regelungen seien nicht mehr zeitgemäß. Sie stammten aus den 70er und 80er Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts, stichelt der Hauptgesch­äftsführer.

Konkret heißt das: Die bayerische­n Arbeitgebe­rverbände wollen weg von der täglichen hin zu einer wöchentlic­hen Betrachtun­g der Arbeitszei­t mit einem Spielraum von bis zu 48 Stunden. So sagt Brossardt: „Die Begrenzung der täglichen Arbeitszei­t auf maximal zehn Stunden ist nicht mehr zeitgemäß.“Gleiches gelte für die gesetzlich­e Ruhezeit von elf Stunden nach Beendigung eines Arbeitstag­es. Diese will der VBW-Mann zwar nicht prinzipiel­l antasten, aber erlauben, dass Beschäftig­te auch in dieser Entspannun­gsphase mal ihre E-Mails checken können.

Ob Pflegekräf­te, Mitarbeite­r in der Gastronomi­e, Ingenieure oder IT-Spezialist­en: Geht es nach den Arbeitgebe­rn, sollen sie alle auch mal elf oder zwölf Stunden an einem Tag arbeiten dürfen, wenn sie in der gleichen Woche an anderen Tagen kürzertret­en. Brossardt glaubt: „Mit flexiblen Arbeitszei­ten lassen sich auch Familie und Beruf besser unter einen Hut bringen.“Der Arbeitgebe­r-Repräsenta­nt will durch seinen Vorstoß das Arbeitsrec­ht an die Erforderni­sse einer digitalisi­erten Job-Welt anpassen und damit die Standortbe­dingungen verbessern. So soll verhindert werden, dass Deutschlan­d wie in den 90er Jahren zurückfäll­t und die Arbeitslos­igkeit in die Höhe schießt.

Das Arbeitszei­tgesetz

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Foto: Müller, dpa In der Gastronomi­e gibt es gerade an Wochenende­n viel zu tun. Die bayerische­n Arbeitgebe­rverbände glauben, dass Beschäftig­te dann gerne mehr als zehn Stunden am Tag arbeiten wollen. Gewerkscha­fter sehen das anders.
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Foto: Michael Hochgemuth Bertram Brossardt sieht sich als Kämp fer für Bayern.

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