Was geht in Martin Luthers Kopf vor?
Von Kind auf verstecken sich die Menschen gern und laufen Irrgärten auf der Suche nach dem Ausgang ab. Als die Maisfelder in Deutschland aufkamen, bot sich der Acker für Labyrinthe an. Und sie werden immer kunstvoller
„Martin? Martin!“Aus dem grünen Dschungel hallt die suchende Stimme. Aber der jugendliche Rufer erhält so rasch keine Antwort. Dieser Dschungel verschlingt alle und wer seinen Pfaden folgt, erlebt so seine Überraschungen. Zum Beispiel die Begegnung mit Martin – und zwar dem aus Wittenberg. Dem Reformator, der vor 500 Jahren mit seinen 95 Thesen eine neue Kirche auf den Weg gebracht hat, ist dieses Jahr das grüne Labyrinth „Ex Ornamentis“in Utting am Ammersee gewidmet.
Aus der Luft ist der Doktor Martin Luther als Porträt sofort zu erkennen. Am Boden aber besteht er aus vielen verwirrenden Strohpfaden und garantiert niemand kann zwischen den mannshohen Pflanzen exakt sagen, an welcher Stelle des Luther-Kopfes er gerade steckt. Ein paar markante Orientierungspunkte gönnen Corinne und Uli Ernst ihren Besuchern: zwei Tipis beim Eingang, ein weißer Turm, ein Fahnenmast mit der Lutherrose und mittendrin eine Thesentür.
Ansonsten lotsen fünf mal fünf Stempelstationen durch das Uttinger Luther-Labyrinth. Ein aufregendes Spiel hat sich das Paar vom nahe gelegenen Bauernhof wieder einfallen lassen: Die Besucher lernen Martin Luther kennen und vier seiner Wegbegleiter. Nämlich seine Ehefrau Katharina von Bora, seinen Maler und Trauzeugen Lucas Cranach, seinen Freund und Uni-Kollegen Philipp Melanchthon und seinen Beschützer Kurfürst Friedrich der Weise.
„Nur wegen der Verirrung könnten wir keine Besucher von weiter weg ins Labyrinth locken“, sagt Uli Ernst. Denn Maislabyrinthe gibt’s inzwischen mehrere an verschiedenen Orten – auch in Schwaben –, weil’s halt einfach Spaß macht, durch Pflanzen und Hecken zu irren und einander zu erhaschen. Oder aufregendes Kribbeln erzeugen, ob (und wann) man wieder herausfindet – und auf wen man darin stößt. Sei es ein Mund zum Küssen. Oder ein Monster zum Fürchten.
Landwirt Bernd Ruess wird sein Maislabyrinth am Rasthof Seligwei- ler bei der Autobahnausfahrt Ulm Ost am 25. August in ein Horrorkabinett verwandeln. Mitglieder des Ulmer Zombiewalks werden gruselig geschminkt und furchterregend kostümiert in der einbrechenden Nacht ihr schauriges Unwesen im Maisfeld treiben. Um Einlass zu erhalten, muss man mindestens 16 Jahre alt sein. Klapprige Gerippe und scheußliche Fratzen bevölkern auch die Geisternächte im Maislabyrinth Radersdorf bei Kühbach (Landkreis Aichach-Friedberg). Die erste davon findet heuer am 12. August statt.
Ein ornamentales Labyrinth auf dem Acker anzulegen, ist eine relativ komplizierte Sache. Uli Ernst arbeitet mit Studenten der Fakultät für Geoinformation der Hochschule München zusammen, um den Entwurf auf das 18000 Quadratmeter große Feld zu übertragen. „Wir haben immer noch kompliziertere Bilder gemacht: mehrfarbige mit verschiedenen Pflanzensorten und König Ludwig II. tauchte als Schattenbild hinter Schloss Neuschwanstein auf“, erzählt Ernst. Er sät Sonnenblumen, Hanf, Raps und Malve ein und in den Laubengängen wachsen sogar Zierkürbisse. Alle Samen arbeitet der Bauer von Hand ein.
In Radersdorf und in Seligweiler belassen es die Landwirte bei dem Klassiker Mais. In Radersdorf ziert dieses Jahr die Silhouette eines Triceratops, eines Dinosauriers mit riesigen, gezackten Ohren und langen, spitzen Hörnern, den Acker. In Seligweiler zeichnet sich ein klassischer Irrgarten im 16 000 Quadratmeter großen Maisfeld ab. ●