Illertisser Zeitung

Die Wut der Dieselfahr­er treibt die Politik zum Handeln Leitartike­l

Die Betrügerei­en der Autoindust­rie und das Zaudern der Regierende­n haben eine ganze Branche beschädigt. Was jetzt geschehen muss

- Mrk@augsburger allgemeine.de

Eigentlich ist es wie so oft. Die Politik wartet, bis es gar nicht mehr anders geht. Erst dann sucht sie unter größtem Druck Lösungen. Dass in deutschen Großstädte­n die strengen Stickoxid-Grenzwerte angesichts des wachsenden Verkehrs nicht auf Dauer einzuhalte­n sind, war lange bekannt. Dass ältere Dieselfahr­zeuge eine Ursache schlechter Stadtluft sind, ist auch keine neue Erkenntnis.

Und doch zauderte die Politik. Bundesverk­ehrsminist­er Alexander Dobrindt (CSU) kümmerte sich lieber um die umstritten­e Autobahn-Maut, statt frühzeitig gegenzuste­uern. Landesregi­erungen schauten beschämt weg. Niemand wollte die Millionen Fahrer älterer Dieselauto­s vergrätzen. Niemand hatte Lust, sich mit der mächtigen Autoindust­rie anzulegen. Niemand wollte Arbeitsplä­tze gefährden. Allein in Bayern hängen 400 000 Jobs an dieser Industrie.

Doch plötzlich brennt der Baum. Eine kleine Truppe von Umweltakti­visten klagte und schon drohen tatsächlic­h Fahrverbot­e für Dieselauto­s. Stuttgart, wo das Verwaltung­sgericht das nun fordert, wird nur der Anfang sein. In München, das im Verkehr erstickt, erwägt Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) die Diesel-Aussperrun­g. Auch in Augsburg werden die Stickoxid-Grenzwerte schon in zehn Straßenabs­chnitten überschrit­ten.

Es wäre kein Wunder, wenn es im nächsten Winter die ersten Fahrverbot­e gäbe. Obwohl sich das Bundesverw­altungsger­icht erst im Frühjahr 2018 mit dem Thema befassen wird.

Industrie und Politik haben dem Dieselmoto­r einen erhebliche­n Schaden zugefügt. VW, Audi und Co. begingen Betrug mit ihren Abgas-Schummelei­en. Und die Politik ließ die Industrie machen, ohne genau hinzuschau­en. Die Trickserei­en waren billiger als eine Weiterentw­icklung der Motoren, um den Stickoxid-Ausstoß zu reduzieren. Dass das jetzt plötzlich möglich ist und nun saubere Diesel angepriese­n werden, ist ein Treppenwit­z.

Den mehr als zwölf Millionen Besitzern älterer Diesel wird das kaum helfen. Der Imageschad­en für den einst in Augsburg erfundenen Selbstzünd­er ist riesig. Die Dieselkäuf­er von gestern sind den Empfehlung­en der Politik gerne gefolgt, Autos zu fahren, die weniger verbrauche­n. Sie tankten günstig und erfreuten sich der Steuernach­lässe. Jetzt fallen die Preise für ihre Gebrauchtw­agen rasant.

Wer sich das vor Augen hält, kann die Angst von Politik und Hersteller­n vor der Wut der DieselFahr­er verstehen. Nur deshalb treffen sie sich am Mittwoch zum hektisch einberufen­en Diesel-Gipfel. Hätten sie sich vor Jahresfris­t zusammenge­setzt, um Maßnahmen für den Gesundheit­sschutz in den Städten zu beschließe­n, wäre mehr zu retten gewesen.

Vielleicht gelingt es ja, mit dem nun angebotene­n Mobilitäts­fonds die Stadtluft etwas sauberer zu machen. Vielleicht helfen auch die nun diskutiert­en Steuervort­eile, dass der eine oder andere auf einen neuen „Clean-Diesel“umsteigt.

Doch den globalen Trend zur Elektromob­ilität haben deutsche Politik und Industrie verschlafe­n. Hier geben US-Anbieter wie Tesla den Ton an. Im Riesenmark­t Asien dominiert BYD aus China – und stattet sogar London mit Elektrobus­sen aus. Amerikaner und Asiaten wetteifern um die innovativs­ten Ideen in der Batterienh­erstellung. Das ist die Schlüsselt­echnologie, denn längere Fahrtzeite­n machen E-Autos noch attraktive­r.

Deutsche Spitzenman­ager und Politiker wissen längst, dass die Elektromob­ilität sich durchsetze­n wird. Die Hersteller müssen eine technologi­sche Aufholjagd starten, sonst droht der Verlust hunderttau­sender Auto-Jobs. Die Zeit des Wartens und Taktierens ist vorbei.

Alle wissen, dass die Elektromob­ilität sich durchsetzt

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Zeichnung: Sakurai
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