Illertisser Zeitung

Das große Unbehagen in der Strandpens­ion

Andrea Breth macht aus Harold Pinters Stück ein präzises Geduldsspi­el der Theaterkun­st

- Michael Schreiner

So viel Geduld mit dem gewöhnlich­en Leben, in dem es immer Cornflakes und leere Worte zum Frühstück gibt, muss man erst einmal aufbringen. Andrea Breth lullt uns ein in ihrer Inszenieru­ng von Harold Pinters „Geburtstag­sfeier“. Auf der Bühne dehnt sich die Zeit, sie verwelkt gleichsam, der Strandhafe­r wächst in der vergilbten Pension von Meg (Nina Petri) und Petey (Pierre Siegenthal­er), die seit einem Jahr nur einen einzigen Gast beherberge­n: Stanley (Max Simonische­k). Er verbringt seine Tage damit, zu verwahrlos­en.

Es scheint, er habe sich einem Schicksal ergeben, für das es keine Erklärung gibt. Meg himmelt ihn an – er aber ist ein oft launiger Gast. Angeblich ist er ein großer Pianist. Versteckt er sich? Kapselt er sich ein in Ratlosigke­it vor dem Leben drau- Wartet er auf etwas? Als zwei sehr bestimmt auftretend­e Herren in grauen Anzügen sich in der Pension einquartie­ren, Goldberg (Roland Koch) und McCann mit Namen (herrlich hessisch redend: Oliver Stokowski), wird es unheimlich. Sie haben es auf Stanley abgesehen, dem sie „Verrat an der Organisati­on“vorwerfen und den sie in einem Verhör gnadenlos überwältig­en und nach einer gespenstis­chen Geburtstag­sfeier mitnehmen. Am Ende eines erbarmungs­los unaufhalts­amen Geschehens ist Stanley, der rätselhaft­e Künstler und Intellektu­elle, nur noch ein apathische­s Geschöpf.

Harold Pinters aus der Vergessenh­eit geholtes, vieldeutig­es Stück, entstanden Ende der 1950er Jahre, ist nahe an der Absurdität Becketts, spielt aber auch mit populären Genres wie Krimi und kann als Komödie gelesen werden. Das tut Andrea Breth in ihrer Salzburger Inszenieru­ng, einer Co-Produktion mit dem Burgtheate­r Wien, nicht. Sie legt mit langem Atem und chirurgisc­her Präzision frei, was unter der Oberfläche des zivilisier­ten, normierten, „gebändigte­n“Lebens lauert, gärt und revoltiert. Aufgerufen sind die unwägbaren Gegenkräft­e zum Konformitä­tsdruck, den Gesellscha­ft, Religion, Konvention ausüben. Solche Gegenkräft­e speisen sich aus Träumen und Erinnerung­en, Ängsten, Wut, Trieb und Verlangen, Sehnsüchte­n, Selbstzwei­feln.

Wie geduldig Breth und ihr großartige­s Ensemble die tektonisch­en Kräfte unterschwe­llig aufbauen, ist meisterhaf­t, verlangt den Zuschauern im Landesthea­ter Salzburg aber konzentrie­rte Mitarbeit ab. Die Wucht und Expressivi­tät der wenißen? gen, dafür umso heftigeren Ausbrüche potenziere­n das Unbehagen, das in der Pension eingezogen ist. Da drischt Stanley plötzlich wie besessen auf die Kindertrom­mel ein, die ihm Meg geschenkt hat. Goldberg und McCann steigern ihr Verhör in ein infernalis­ches Gebrüll. Wie ihre freundlich­en Gesten blitzartig in Gewalt umschlagen, wie aber auch diese grauen Herren, die für ein „Leben auf Linie“einstehen, Getriebene und Opfer ihrer inneren Widersprüc­he sind – das zeigt diese dreistündi­ge Beschwörun­g subtiler Theaterkun­st.

„Man kann nirgendwo hingehen“, sagt Stanley – denn uns selbst entkommen wir nicht. am 31. Juli und am 2., 3., 5., 7., 10., 12. und 13. August

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Foto: Bernd Uglig/SF Herren in Grau: Roland Koch und Oliver Stokowski.

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