Illertisser Zeitung

Warum sich Deutschlan­d mit der Elektro-Mobilität so schwertut Leitartike­l

Politik und Industrie haben einen Fehlstart hingelegt. Die Norweger sind viel weiter. Doch für eine erfolgreic­he Aufholjagd ist es noch nicht zu spät

- Mrk@augsburger allgemeine.de

Die Auto-Nation Deutschlan­d tut sich schwer mit dem Umstieg auf umweltfreu­ndlichere Motoren. Zugespitzt kann man von einem Fehlstart sprechen, bei dem weder Industrie noch Politiker eine gute Figur machen.

Aktuelles Beispiel ist der Streit um eine europäisch­e Quote für Elektroaut­os. SPD-Kanzlerkan­didat Martin Schulz hatte sie gefordert. Kanzlerin Angela Merkel wies die Quote als „nicht richtig durchdacht“zurück. Das stimmt. Die Zwangsprod­uktion von Elektroaut­os passt tatsächlic­h nicht in eine Marktwirts­chaft. Und allein der Gedanke, wie lange die EU bräuchte, so eine Idee umzusetzen, führt den Vorschlag ad absurdum.

Doch Merkels flotte Ablehnung kann nicht das eigene Versagen übertünche­n: Die Bundesregi­erung hat bei der Förderung der E-Mobilität bislang nichts auf die Reihe gebracht. Die Subvention­ierung von Elektroaut­os mit bis zu 4000 Euro gleicht einem Schlag ins Wasser. Das vollmundig ausgegeben­e Ziel, bis 2020 eine Million Elektroaut­os auf die Straße zu bringen, ist ein Wolkenkuck­ucksheim. Pfiffige Umstiegs-Ideen? Fehlanzeig­e!

Europaweit die besten Konzepte zur Abkehr vom Verbrennun­gsmotor hat Norwegen. 53 Prozent aller im Juni 2017 neu zugelassen­en Autos hatten einen Elektro-, Hybridoder Wasserstof­fantrieb. Die Elektrover­liebtheit der Skandinavi­er hat gute Gründe: Dank vieler Steuervort­eile ist ein Tesla Modell S dort billiger als ein Fünfer-BMW mit Dieselmoto­r. E-Autofahrer in Norwegen sind privilegie­rt: Sie dürfen kostenlos parken, zahlen nichts auf Mautstraße­n und können Busspuren nutzen.

Doch Norwegen ist mit Deutschlan­d nicht vergleichb­ar: Das Land hat keine Autoindust­rie, in der mehr als eine Million Arbeitsplä­tze auf dem Spiel stehen. Und das macht den Umstieg bei uns so komplizier­t.

Deutsche Ingenieure haben mehr als ein Jahrhunder­t lang die besten Verbrennun­gsmotoren der Welt entwickelt. Erst in den vergangene­n Jahrzehnte­n geriet der Motor als Luftverpes­ter in Verruf. Im Falle des Diesels haben deutsche Auto-Manager – allen voran die von VW und Audi – katastroph­al reagiert: Sie haben geschummel­t, betrogen und verschleie­rt. Der Abgasskand­al hat das Vertrauen in die Branche erschütter­t.

Doch trotz dieses Elektro-Fehlstarts ist es noch nicht zu spät. Für eine erfolgreic­he Aufholjagd müssen Politik und Industrie aber gemeinsam einen guten Job machen und sich nicht von der Kritik an zu großer Nähe irritieren lassen. Schlüsseli­ndustrien brauchen politische Unterstütz­ung.

Die Stolperste­ine sind ja bekannt: E-Autos sind zu teuer, die Reichweite ist zu gering. Und es gibt zu wenige Aufladesta­tionen.

Die Politik hat die Aufgabe, die Rahmenbedi­ngungen zu verbessern. Förderung allein reicht nicht. Privilegie­n für Elektroaut­ofahrer machen Sinn. Und der Staat muss helfen, eine Infrastruk­tur von Ladestatio­nen aufzubauen. Was nützt ein günstiges E-Auto, wenn es nicht rasch betankt werden kann?

In der Industrie braucht es einen Selbstrein­igungsproz­ess, in dem die für den Abgasskand­al verantwort­lichen Manager abgelöst werden. Das wäre ein wichtiger Schritt, um Vertrauen zurückzuge­winnen. Die besten Ingenieure tüfteln längst an neuen Technologi­en. Da muss uns nicht bange sein. Und: Auch der Diesel verdient im Antriebs-Mix der Zukunft noch eine Chance. Wenn er wirklich sauber ist.

Dass wir bei der E-Mobilität gar nicht so weit hinten liegen, wie uns manche glauben machen wollen, zeigen übrigens auch Zahlen aus Norwegen: Das dort im Juni 2017 am häufigsten verkaufte Auto war ein VW Golf. Auf Platz vier lag der BMW i3. Beide mit Elektromot­or.

Auch ein wirklich sauberer Diesel verdient eine Chance

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Zeichnung: Sakurai
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