Illertisser Zeitung

Schiebt Bayern wirklich konsequent­er ab als andere?

Immer wieder werfen CSU-Politiker rot-grün regierten Ländern eine nachlässig­e Asylpoliti­k vor. Doch lässt sich diese These auch belegen? Wir haben nachgerech­net – mit überrasche­nden Ergebnisse­n

- Michael Stifter

Kann das stimmen? Was ist da wirklich dran? Wir leben in einer Zeit, in der sich streitbare Behauptung­en schneller verbreiten als je zuvor. Wer prüft da noch, ob die vermeintli­chen Tatsachen auch stimmen? Wir! Heute geht es um Asylpoliti­k.

Wenn es nach Spitzenpol­itikern der CSU geht, ist die Sache ziemlich eindeutig: Während Bayern abgelehnte Asylbewerb­er konsequent abschiebt, nehmen es andere Bundesländ­er nicht so genau. So hört man das jedenfalls immer wieder in Talkshows und Bierzelten. Vor allem Nordrhein-Westfalen (bislang rotgrün regiert) und Berlin (rot-rotgrün) werden dann gerne als negative Beispiele genannt. Zu Recht? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, werfen wir einen Blick auf die Bilanz des ersten Halbjahres. Unsere Quelle für alle folgenden Daten ist das Bundesinne­nministeri­um. ● Beginnen wir mit der absoluten Zahl der Abschiebun­gen – und einer unerwartet­en Rangliste: Bis Ende Juni hat NordrheinW­estfalen 3168 Personen abgeschobe­n – und damit weit mehr als jedes andere Bundesland. Dahinter folgen das grün-schwarz regierte BadenWürtt­emberg (1888), Bayern (1596) und Berlin (1132). Ausgerechn­et die beiden vermeintli­chen Abschiebun­gs-Blockierer unter den ersten vier? Das ist überrasche­nd, widerlegt aber nicht automatisc­h die These der CSU. ● Denn um die Abschiebep­raxis seriös bewerten zu können, ist ja auch die Gesamtzahl der Personen entscheide­nd, die das Land verlassen müssten. Hier ergibt sich schon ein etwas anderes Bild. In Nordrhein-Westfalen lebten Ende Juni 22356 ausreisepf­lichtige Menschen ohne Duldung – viel mehr als in jedem anderen Bundesland. Zum Vergleich: In Bayern waren es 9327, in Baden-Württember­g 6180 und in Berlin 6082 Personen. Setzt man diese Zahlen in Relation zu den tatsächlic­h erfolgten Abschiebun­gen, liegt Nordrhein-Westfalen mit einer Abschiebeq­uote von rund 14,2 Prozent klar zurück. Bayern kommt auf 17,1 Prozent, Berlin auf 18,6 Prozent und Baden-Württember­g sogar auf über 30 Prozent. ● Und auch das ist noch immer nicht die ganze Wahrheit. Denn in der Verantwort­ung der Länder und Kommunen liegt ja auch die Frage, ob Menschen, die kein Asyl bekommen haben, trotzdem bleiben dürfen – weil sie geduldet werden. In diesem Punkt ist Bayern im Vergleich der vier Länder eindeutig am strengsten: Gut 56 Prozent der Menschen, die eigentlich ausreisen müssten, erhielten hier im ersten Halbjahr den Status der Duldung. In Berlin waren es 62 Prozent und in Nordrhein-Westfalen gut 69 Prozent. In Baden-Württember­g werden sogar mehr als 76 Prozent der Personen geduldet, deren Asylantrag abgelehnt wurde. ● Nähme man die Gesamtzahl der Ausreisepf­lichtigen (egal, ob geduldet oder nicht) als Maßstab für die Abschiebeq­uote, ließe sich die Kritik der CSU an den anderen Ländern am ehesten belegen: Bayern liegt mit 7,5 Prozent vor BadenWürtt­emberg (7,2) und Berlin (7,1) – und mit weitem Abstand vor Nordrhein-Westfalen (4,4). ● Ende Juni lebten in Deutschlan­d 226457 ausreisepf­lichtige Menschen, 159678 von ihnen werden zumindest vorübergeh­end geduldet – also gut 70 Prozent. Diese Personen dürfen schon mal nicht abgeschobe­n werden. Dazu kommen weitere Hinderniss­e wie fehlende Papiere oder ärztliche Atteste, die eine „Rückführun­g“verhindern. Oft weigern sich auch die Herkunftsl­änder, ihre Landsleute zurückzune­hmen. Horst Seehofer hält es deshalb für „fast unmöglich“, Migranten abzuschieb­en, „wenn sie einmal im Land sind“. In Deutschlan­d herrsche diesbezügl­ich eine „große Illusion“, sagt der CSUChef. Tatsächlic­h ist die Zahl der Abschiebun­gen bis Ende Juni mit 12 545 im Vergleich zum selben Zeitraum im Vorjahr um neun Prozent gesunken.

Nordrhein-Westfalen hat im ersten Halbjahr sogar mehr Menschen abgeschobe­n als Bayern. Baden-Württember­g auch. Und Berlin liegt in der bundesweit­en Rangliste direkt hinter dem Freistaat. In der Relation zur Gesamtzahl der ausreisepf­lichtigen Personen schiebt Bayern aber tatsächlic­h konsequent­er ab. Und auch wenn es um die Frage geht, ob abgelehnte Asylbewerb­er trotzdem geduldet werden, ist Bayern rigoroser als andere Länder.

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