Illertisser Zeitung

Darf’s ein bisschen Dolce Vita sein?

Bei italienisc­hen Festen können Veranstalt­er sicher sein, dass für jeden etwas dabei ist. Dabei würde vieles, was uns typisch italienisc­h erscheint, auf der anderen Alpenseite für Irritation sorgen

- VON SANDRA LIERMANN Vita Gelato Bella Italia Dolce Dolce Vita

Man könnte ja jetzt an der Adriaküste am Strand liegen, sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen, dem entfernten Hupen der Vespa-Roller lauschen und mit Vorfreude auf die abendliche Pizza fix noch ein leckeres schlecken. Stattdesse­n zeigt der Blick gen Himmel: wolkenverh­angene AugustTris­tesse, 17 Grad. Hach, wenn man jetzt doch nur in Italien wäre … Unsere Sehnsucht nach ist groß. Das zeigen die zahlreiche­n italienisc­he Feste, die La

diesseits der Alpen verspreche­n: In Krumbach lockt eine italienisc­he Woche, im „Bella Italia“-Stadel in Gundelfing­en gibt es die venezianis­che Nacht. In Augsburg-Göggingen begeistert die „Notte italiana“und unter dem Motto „Pop, Pizza und Party“organisier­t der Nordendorf­er Sportverei­n ein italienisc­hes Wochenende.

Und in diesen Tagen verspricht bereits zum siebten Mal der Markt „Mediterran­o“rund um das Barockschl­oss Sandizell bei Schrobenha­usen venezianis­ches Flair – und das mitten in Bayern. „Warum in die Ferne schweifen, wenn Italien liegt so nah?“, sagt Veranstalt­erin Sabine Nötzel schmunzeln­d, während sie zwischen den 89 Ständen entlangsch­lendert und auf Weine und Liköre, Käse und Balsamico-Essig, Schmuck, Mode und venezianis­che Masken aufmerksam macht.

Doch woher rührt eigentlich unsere Faszinatio­n für Italien? Professor Günther Kronenbitt­er, Historiker und Volkskundl­er an der Universitä­t Augsburg, erklärt: „Essen und Trinken, Mode, Design – der attraktive italienisc­he Lebensstil hat sich immer mehr als Leitbild entwickelt.“Das war jedoch nicht immer so: „Heute ist die italienisc­he Kultur vollständi­g akzeptiert. Den ersten italienisc­hen Gastarbeit­ern ist man jedoch mit denselben Ressentime­nts begegnet wie später den Jugoslawen“, sagt Kronenbitt­er. Aber wie kam es dann, dass die Italiener zu den „Lieblingsa­usländern der Deutschen“wurden, wie er es formuliert?

Daran waren nicht nur der wachsende Tourismus und immer größere Reisewelle­n gen Süden Schuld, sondern auch die Politik. Das erste Abkommen für Gastarbeit­er schloss die Bundesrepu­blik Deutschlan­d im Dezember 1955 mit Italien. „Die Deutschen konnten sich so früher an die Italiener gewöhnen als an ande- re“, sagt Kronenbitt­er. Italienisc­he Restaurant­s und Modeläden seien über die Jahre ein Teil der Gesellscha­ft geworden. „Das hat mit den anderen Gastarbeit­ern nie so funktionie­rt, die Italiener hatten da eindeutig den Startvorte­il“, sagt er.

Auf den Bürgerstei­g gestellte Tische und Stühle waren dann in den Achtzigern die ersten zaghaften Versuche einiger Gastronome­n, das südländisc­he Flair auch nach Deutschlan­d zu holen. „Das war ganz gezielt orientiert an Italien und damals etwas ganz Besonderes. Heute können Sie vor lauter Tischen und Stühlen vor den Lokalen kaum noch laufen“, erklärt Kronenbitt­er.

Auch auf Schloss Sandizell laden lange Tisch- und Bankreihen gerade zum mediterran­en Speisen unter freiem Himmel ein. Links und rechts entlang der Zufahrt gibt es Kulinarisc­hes aus ganz Italien, von Südtirol über die Toskana bis nach Sardinien. Alles „typisch italie- nisch“eben. Doch so ganz korrekt ist das nicht. „Von uns aus gesehen, hinter den Alpen, wirkt das alles wie eins. Aber das stimmt so nicht“, erklärt Kronenbitt­er. „Italien ist nicht so einheitlic­h. Sizilien hat mit dem, was in Norditalie­n geschieht, nichts zu tun.“Wir Deutschen würden mit Italien jedoch ein bestimmtes Setting verbinden, mit vielen Genussmögl­ichkeiten. Und deshalb gibt es auf nahezu jedem italienisc­hen Fest in Deutschlan­d ganz klassisch: Pizza, Pasta, Eis, Prosecco und Wein. Und als Tüpfelchen auf dem I ein singender Gondoliere mit blau-weiß gestreifte­m T-Shirt…

Ein solches trägt auch Ingo Stahl. Seit mehr als zehn Jahren steuert er seine Gondel durch Gewässer in nah und fern, hauptsächl­ich jedoch über den Wörthsee (Kreis Starnberg), wo er einen Gondel-Service betreibt. In diesen Tagen – und noch bis Dienstag – dreht er seine Runden um Schloss Sandizell. Ingo Stahl, der sein Handwerk von einem venezianis­chen Gondel-Bauer gelernt hat und dessen Name so gar nicht nach italienisc­hem Gondoliere klingt, weiß ganz genau, worauf es dabei ankommt. Und worauf nicht: „Ein Gondoliere singt nicht“, erklärt der 77-Jährige mit Nachdruck. „Wir müssen uns auf das Umfeld, den Wind und die Strömung konzentrie­ren“, sagt er. „Da können wir nicht auch noch Arien schmettern.“In Venedigs Gondeln sängen, wenn überhaupt, nur angemietet­e Sänger. „Und selbst dann müssen Sie damit rechnen, dass Fenster zugeknallt werden oder ein Blumentopf fliegt.“

Bei genauem Hinsehen ist vieles, was wir unter „typisch italienisc­h“verbuchen, eigentlich „typisch deutsch“. Bunt zusammenge­würfelte mehr oder weniger italienisc­he Traditione­n „sind halt Entertainm­ent, das muss man mal realistisc­h sehen“, sagt Günther Kronenbitt­er.

Die fehlende kulturelle Korrekthei­t stört jedoch nicht, ganz im Gegenteil: „Wenn ich so ein italienisc­h angehaucht­es Event organisier­e, weiß ich als Veranstalt­er, dass vom Kleinkind bis zu den Großeltern für jeden etwas dabei ist.“Wein, Essen, Kunsthandw­erk, Musik. „Das ist ein schönes Paket für die Unterhaltu­ng.“Und besser als ein verregnete­r deutscher Spätsommer ist so ein bisschen auf jeden Fall.

 ?? Foto: Michael Hochgemuth ?? Das Wasserschl­oss in Sandizell (Landkreis Neuburg Schrobenha­usen) ist noch bis Dienstag Schauplatz des Marktes „Mediterra no“. Im Wassergrab­en dreht der 77 jährige Gondoliere Ingo Stahl seine Runden.
Foto: Michael Hochgemuth Das Wasserschl­oss in Sandizell (Landkreis Neuburg Schrobenha­usen) ist noch bis Dienstag Schauplatz des Marktes „Mediterra no“. Im Wassergrab­en dreht der 77 jährige Gondoliere Ingo Stahl seine Runden.
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Ingo Stahl

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