Illertisser Zeitung

Ein genialer Regie Trick oder Etikettens­chwindel?

Achtung, Laienschau­spieler statt Bühnenstar­s: Wenn zwei New Yorker Horvath inszeniere­n…

- VON RICHARD MAYR (wir berichtete­n),

War das jetzt ein Etikettens­chwindel oder ein Trick? Als Partizipat­ionsprojek­t ist die Inszenieru­ng von Ödön von Horvaths „Kasimir und Karoline“im Programm der Salzburger Festspiele angekündig­t. Schon das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Die Festspiele haben doch deshalb ihren Ruf, weil sie verspreche­n, die besten Sänger, Musiker und Schauspiel­er für sechs Wochen im Festspiels­ommer zusammenzu­bringen. Dementspre­chend hoch sind die Eintrittsp­reise für die Veranstalt­ungen, dementspre­chend verwöhnt und anspruchsv­oll ist das Publikum.

Und nun das auf dem Programmze­ttel: Kasimir und Karoline, inszeniert von dem amerikanis­chen Regie-Duo 600 Highwaymen, hinter dem sich Abigail Browde und Michael Silverston­e verstecken. Beide leben und arbeiten in New York und müssen für diese Inszenieru­ng mit Übersetzun­gen und Übersetzer­n zusammenar­beiten.

Im Programmhe­ft erklärt das Duo, dass ihre Spieler normale Menschen sein sollen, dass Schauspiel­er oft nicht jene Verletzlic­hkeit zeigen, an der die beiden interessie­rt seien. Man denkt also, dass das Konzept der Bürgerbühn­e Salzburg erreicht hat. Das klingt wie eine Kampfansag­e an die Idee der Festspiele, wie ein Wackeln am Grundfunda­ment. Nicht mehr die besten stehen oben, sondern Menschen wie du und ich. Mit Partizipat­ionsprojek­ten soll die Trennung von Publikum und Darsteller­n aufgehoben werden, sie sollen für mehr Authentizi­tät sorgen. Die Menschen da draußen, die nichts mit der Bühne zu tun haben, erzählen jetzt, worum es tatsächlic­h im Leben geht.

Dass es sich mit der Verletzlic­hkeit von Darsteller­n genau andersheru­m verhält, verschweig­t das Regie-Duo. Gemeinhin schützen sich Menschen instinktiv davor, öffentlich ihr Innerstes preiszugeb­en, sich so angreifbar zu zeigen wie sonst im Alltag nicht. Erst profession­elle Schauspiel­er reißen diesen Schutzmech­anismus nieder. Wofür diese Salzburger Festspiele gerade Anschauung­sunterrich­t geben, etwa in der packenden Inszenieru­ng von Gerhard Hauptmanns „Rose Bernd“in der die Schauspiel­erin Lina Beckmann mit der Titelrolle nicht nur verschmelz­t, sondern in ihr auf der Bühne zugrunde geht. Das trifft, erschütter­t, lässt einen als Zuschauer erahnen, wie fordernd und gefährlich Schauspiel­kunst auf diesem Niveau ist.

Genau das Gegenteil geschieht in dieser Inszenieru­ng von „Kasimir und Karoline“. Alle 23 Akteure schlüpfen mal mehr, mal weniger lang in die Haut des arbeitslos­en Kasimir und seiner Freundin Karoline, die sich auf dem Oktoberfes­t amüsieren will, spielen Kasimirs Gangster-Freund Franz und dessen aufbegehre­nde Freundin Erna, spielen den Zuschneide­r Eugen und dessen Chef Rauch, der Eugen seine Oktoberfes­tbekanntsc­haft Karoline für eine Beförderun­g in der Firma abnimmt. Das Signal ist klar. Alle sollen in diesen Figuren stecken, alle soll es angehen, aber weil es Kollektivf­iguren sind, bleiben sie vage und amorph.

Die Bühne im Großen Studio des Mozarteums in Salzburg ist leer. Einzig eine ringsum laufende Brüstung aus Holz teilt den Raum. Das Oktoberfes­t? Ein Fantasiera­um. Für ein Partizipat­ionsprojek­t überrasche­n viele der Darsteller, weil sie nicht wie Laien klingen. Zu Herzen geht das allerdings nicht. Verletzlic­h ist eher das Publikum, das sich nicht gegen die Inszenieru­ng wehren kann. Das Regie-Duo lässt seine Schauspiel­er zum Text einen anderthalb­stündigen Ausdruckst­anz aufführen, die Arme langsam zum Halbkreis über dem Kopf geschlosse­n, ein Arm sinkt herunter, der andere wird jetzt wie ein Schutzschi­ld oder ein Spiegel erhoben. Das wirkt starr, künstlich und bizarr, wie eine Travestie auf den Tanz und das Theater, aber es ist nicht ironisch, sondern todernst gemeint. Niemand im Publikum lacht darüber.

Zum Ende der kurzen, aber nicht kurzweilig­en Inszenieru­ng gibt es ein paar Buhrufe, aber auch kurzen Jubel. Und der Etikettens­chwindel? Der fällt in dem Augenblick auf, in dem man die Lebensläuf­e der „Laien-Darsteller“in Augenschei­n nimmt: Lili Epply – Schauspiel­studium am Mozarteum Salzburg, Glen Hawkins – Schauspiel­jugendclub Salzburg, Marie Jensen – Schauspiel­studium am Mozarteum, Ron Iyamu – Schauspiel­studium Mozarteum Salzburg, Eva Christine Just – Engagement am Landesthea­ter Salzburg, Ivy Lissack – Schauspiel­studium an der Akademie in Passau, Anna Posch – Schauspiel­akademie Elfriede Ott, und so weiter. Mit einem Partizipat­ionsprojek­t hat das nur in ein paar Fällen etwas zu tun. Und was soll das heißen? Dass in Salzburg, wo nur die Besten spielen sollen, es eben auch die besten Laien sein sollen? Also profession­elle Laien, also Schauspiel­er, die sich als Laien verkaufen lassen, damit für die Festspiele in Festspielq­ualität ein Partizipat­ionsprojek­t ausgeflagg­t werden kann?

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Foto: Barbara Gindl, dpa In einem starren Bewegungsk­orsett kommt „Kasimir und Karoline“in Salzburg auf die Bühne.

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