Sie genießen das Leben auf dem Land
Ihr Weg führte Familie Rossa aus Polen zunächst nach Hamburg und später nach Babenhausen. Die Vorzüge ihrer neuen Heimat lernten sie schnell lieben
Mit einem Umzug über Staatsgrenzen hinweg beginnt oft ein völlig neues Leben: Die Gründe, die Heimat zu verlassen, sind vielfältig, der Schritt ist meist gut überlegt. Doch es fällt schwer, das Gewohnte hinter sich zu lassen und in eine ungewisse Zukunft zu gehen. In unserer neuen Serie „Angekommen“stellen wir Menschen vor, die es trotzdem gewagt haben - und die in der Region eine neue Heimat gefunden haben. Hier geht es um ihre Geschichten, ihre Schicksale und Leidenswege.
Das Papier ist schon leicht vergilbt. Aber die Schrift ist noch gut lesbar. Denn das auf das Jahr 1909 datierte Stammbuch der Familie Zielezinski wurde sorgfältig aufbewahrt. „Mein Großvater Stephan hat es von seinem Vater Franz erhalten und in den Zeiten des Kommunismus viele Jahre versteckt“, sagt Lena Rossa. Erst kurz vor seinem Tod habe er das Doku- ment an Rossas Vater Stanislav weitergegeben. „So haben wir erfahren, dass die Wurzeln unserer Familie in Deutschland liegen.“Aus Neugier sei sie als junges Mädchen allein nach Hamburg gezogen – und bis heute in Deutschland geblieben.
„In den Jahren 1933/34 befand sich die polnisch-deutsche Grenze nur etwa vier Kilometer von meiner Heimatstadt Leszno entfernt“, zeigt Rossa anhand einer alten Landkarte. „Durch Nachforschungen hat mein Vater Stanislav herausbekommen, dass sein Vater Stephan eigentlich aus Essen stammt und während des Zweiten Weltkriegs mit der Armee nach Polen gekommen ist.“Dort habe er eine Ukrainerin geheiratet und eine Familie gegründet. Vor seinen Kindern habe der Großvater seine deutsche Herkunft aber bis kurz vor seinem Tod streng geheim gehalten.
Nachdem ihr Vater Stanislav von den Wurzeln seiner Familie erfahren hatte, habe er für sich und seine drei Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt und erhalten, sagt die 39-Jährige: „Aus Neugier und wohl auch ein wenig Abenteuerlust habe ich nach abgeschlossener Fri- seurlehre mit gerade mal 20 Jahren ganz allein meine Heimat verlassen, um als Au-pair-Mädchen in Hamburg zu arbeiten.“In dem für sie fremden Land habe sich Rossa zuerst ziemlich allein und einsam gefühlt und die deutsche Sprache nicht sprechen wollen, erinnert sie sich. Dann sei sie doch sechs Jahre in der Großstadt geblieben. Als sie auf einem kurzen Heimaturlaub ihren ehemaligen Klassenkameraden Mariusz Rossa traf, habe es zwischen ihnen gleich gefunkt. „Er hat seinen Beruf als Polizist aufgegeben und ist im Jahr 2004 zu mir nach Hamburg gezogen.“Dort hat das Paar später geheiratet. Mit Tochter Nicolette war die Familie einige Jahre später komplett.
„Auch meinen Vater hat es zu den Wurzeln seiner Vorfahren nach Deutschland gezogen“, erzählt Lena Rossa. Über eine Zeitarbeitsfirma sei er zunächst nach Senden gekommen, ehe er später eine Festanstellung bei einer Firma in Babenhausen bekam. Um in der Nähe des Vaters zu leben, hat sie mit ihrer Familie den Sprung aus Hamburg ins Unterallgäu gewagt.
„Obwohl es hart war, die Vorteile einer Großstadt und die gewohnte Umgebung sowie die Freunde zu verlassen, haben wir uns hier von Anfang an wohl gefühlt“, sagt Mariusz Rossa. Er liebt die Ruhe im ländlichen Raum sowie die Weite und Schönheit der Natur. Wann immer es seine Zeit erlaubt, packt der leidenschaftliche Radfahrer sein Mountainbike ins Auto und fährt in die nahen Berge. „Die Alpen sind einfach faszinierend“, schwärmt er. Seine Frau schätzt es, dass sie fast alles, was die Familie zum Leben braucht, zu Fuß oder mit dem Fahrrad besorgen könne. „Hier gibt es außerdem so viele schöne Orte, zum Beispiel den Espachplatz, den Fuggerweiher oder den Rothdach-Badesee“, sagt sie.
Nachdem sie zuerst ihre Freundinnen in Hamburg sehr vermisste, hat die neunjährige Nicolette in Babenhausen rasch neue gefunden. In den Ferien besucht sie manchmal ihre ehemaligen Kameradinnen in Hamburg oder ihre Verwandtschaft in Polen. Natürlich bekommt Familie Rossa, zu der mittlerweile auch Opa Stanislav Zielezinski gehört, oft Besuch aus der alten Heimat. Dann zeigen alle vier stolz, wie schön es in ihrem neuen Zuhause ist.