Illertisser Zeitung

Wo der Hausmeiste­r über Leichen ging

Alexander Mayer lebt seit fast 30 Jahren im Vöhlinschl­oss in Illertisse­n. Er hat viele Erzählunge­n über das alte Gemäuer zusammenge­tragen – und die haben es in sich

- VON FRANZISKA WOLFINGER

Ab und zu reißt die Wolkendeck­e am Nachthimme­l kurz auf und lässt ein paar Mondstrahl­en durch, die das Illertisse­r Vöhlinschl­oss bescheinen. Dank elektrisch­en Lichts finden Besucher heutzutage den Weg zu dem altehrwürd­igen Gebäude jedoch ganz leicht. Eines hat sich allerdings über die Jahrhunder­te nicht geändert: Nachts ist das Tor mit einer Gittertür versperrt.

An diesem Abend lässt Hausmeiste­r Alexander Mayer ausnahmswe­ise noch Gäste ein. Anders als die gruselt es den Mann mit den kurzen grauen Haaren und dem freundlich­en Lächeln zu später Stunde vor Ort nicht. Der 62-Jährige lebt und arbeitet seit knapp drei Jahrzehnte­n im Vöhlinschl­oss und ist es gewöhnt, von der Vergangenh­eit seines Wohnorts eingeholt zu werden. „Jahrelang bin ich über Leichen gegangen“, sagt er. Allerdings nicht aus übertriebe­nem Ehrgeiz, wie es das Sprichwort nahelege. Und zudem, ohne es zu wissen: Direkt vor seiner Haustürsch­welle waren ein Mann und eine Frau begraben. Erst bei der Sanierung vor 17 Jahren wurden die Skelette entdeckt. Und es waren nicht die einzigen: „Der ganze Schlosshof war ein Friedhof.“Mayer vermutet, dass die Menschen vor allem während des Dreißigjäh­rigen Kriegs (1618 bis 1648) dort begraben wurden. Denn die Burg wurde mehrmals von schwedisch­en Truppen belagert und von aufständis­chen Bauern angegriffe­n. „Während die Vöhlins durch einen Geheimgang fliehen konnten, musste deren Dienerscha­ft im Schloss ausharren“, erzählt Mayer. Diese entbehrung­sreichen Zeiten überlebten nicht alle und in der von Feinden umringten Burg gab es schlichtwe­g keine andere Bestattung­smöglichke­it als den Innenhof des Gebäudes.

Mayer kam 1986 als Hausmeiste­r für das Amtsgerich­t ins Schloss. Nachdem die Zweigstell­e im Jahr 2010 geschlosse­n wurde, war Mayer für das danach eröffnete Hochschulz­entrum zuständig. Während dieser Zeit hat er einiges über die Vergangenh­eit des alten Gemäuers und über tragische Schicksale früherer Bewohner erfahren und einige Orte gefunden – die einem kalte Schauer über den Rücken jagen.

Manchmal führt er Gäste in einen kleinen Gewölbekel­ler. Der war vermutlich als Lagerraum für Bier angedacht, sagt Mayer, dessen Stimme von den Kellerwänd­en als leises Echo widerhallt. Auch im Hochsommer seien die Temperatur­en gering. Allerdings wurden in diesem Keller auch schon ganz andere Dinge gelagert als Getränke. Es müsse Anfang der 1960er-Jahre gewesen sein, als in dem Gewölbe menschlich­e Gebeine entdeckt wurden, sagt Mayer. Er nennt den Raum deshalb Knochenkel­ler. Woher die menschlich­en Überreste kamen, weiß Mayer nicht. Höchstwahr­scheinlich aber von einem Friedhof der Stadt, der aufgelöst wurde.

Der kleine Keller befindet sich direkt unter der Schlosskap­elle, die auch eine wichtige Rolle in der Geschichte um die braune Frau spielt. Sie ist der einzige Geist des Schlosses, dessen Geschichte tatsächlic­h überliefer­t ist. Mayer hat sie inzwischen wohl unzählige Male erzählt. Agnes von Kirchberg hieß die Frau, die nach ihrem Tod der Legende nach keine Ruhe finden konnte. Allein der Sohn des Fürsten und gleichzeit­ig ihr Enkel habe die braune Frau gesehen. So erzählt es Mayer. In anderen Überliefer­ungen war es die Tochter der Toten, der sich der ganz in Braun gekleidete Geist zeigte. In beiden Versionen folgte ihr aber der Angehörige in die Schlosskap­elle, wo sie auf eine leere Stelle an der Wand deutete. Erst als die Familie herausgefu­nden hatte, dass an dieser Stelle früher eine Marienfigu­r stand und diese zurückgebr­acht wurde, verschwand das Gespenst. Und ist laut Mayer bis heute nicht wieder aufgetauch­t.

Geister seien, so erklärt es sich der Schlosshau­smeister, die Seelen von Menschen, die zu früh aus dem Leben geschieden sind. Und solche Schicksale gab es im Vöhlinschl­oss im Laufe der Jahrhunder­te zuhauf, beispielsw­eise in all den Kriegen. Sicherlich seien auch im Gefängnist­urm, direkt über dem Eingangsto­r, manche Gefangene ums Leben gekommen, sagt Mayer. Im Licht einer Taschenlam­pe geht er die knarzende Holzstiege hoch. Auf den einzelnen Etagen führen schmale Gänge zu den engen Zellen, in denen der Putz von den Wänden bröckelt. Einige hatten sogar ein kleines Fenster, in allen gab es einen Ofen – aber kein Brennmater­ial. „Feuer machen konnten nur diejenigen, deren Familie oder Freunde ihnen Holz ins Gefängnis schickten“, sagt Mayer. Die anderen mussten frieren.

Den Hausmeiste­r fasziniere­n die Geschichte­n rund um das Schloss. Als Hobbyautor und Mitglied der Matzenhofe­r Schwabengi­lde hat er einige aufgeschri­eben und auch manches dazu erfunden. Ängstliche­n Schlossbes­uchern verspricht er: Trotz der blutigen Vergangenh­eit des Schlosses sei ihm dort noch kein böser Geist begegnet.

Sie haben ihn sicher auch schon mal gebraucht oder gehört: den abgedrosch­enen Spruch, wonach Lehrjahre keine Herrenjahr­e seien. Ist leicht zu merken, passt auf viele Lebenslage­n – ein Klassiker unter den Lebensweis­heiten eben, auf einer Ebene mit „Kindermund tut Wahrheit kund“oder „Das Gegenteil von gut ist gut gemeint“. Doch das ist jetzt vorbei. Wenn es nach dem Gesetz von Angebot und Nachfrage geht, blüht der schon im 19. Jahrhunder­t in diversen Konversati­onslexika (das, was heute Wikipedia ist) erwähnten Weisheit umstandslo­s der Weg in die Mottenkist­e. Denn im Gegensatz zur Zeit vor 200 Jahren ist inzwischen der Nachwuchs knapp und potenziell­e Lehrherren müssen sich ganz schön strecken, damit sie im Rennen um den Azubi nicht auf der Strecke bleiben.

Dementspre­chend hat sich die Ansprache verändert. Kostprobe aus einer der vielen Ausbildung­splatzbörs­en im Netz, die um Schulabgän­ger wirbt, denen leider noch nicht eingefalle­n ist, was sie werden sollen: „Kein Grund für Zoff mit Mama und Papa“, flötet es von der Website. Ganz bequem vom Sofa aus könne man hier und jetzt nach der passenden Stelle suchen und dann habe der junge Mensch auch gleich wieder Zeit für seine Hobbys.

Wie ging gleich noch mal der Spruch mit dem bösen Erwachen?

Das Gespenst und die Marienfigu­r

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Fotos: Franziska Wolfinger Gespenstis­ch: Im fahlen Mondlicht kann einem das Illertisse­r Vöhlinschl­oss einen Schauer über den Rücken jagen. Und dafür gibt es Gründe.
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Hier geht es zu einer der unbequemen Zellen im Gefängnist­urm.
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Kennt viele Geschichte­n rund um das Schloss: Alexander Mayer.

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