Illertisser Zeitung

Ernst Kempfle hat alle Bundeskanz­ler erlebt

Der einstige Landwirt nutzt jede Gelegenhei­t, seine Stimme abzugeben. Warum das für ihn so wichtig ist

- VON IRMGARD LORENZ

Beim ersten Mal durfte er noch gar nicht mitmachen. Als die Deutschen am 14. August 1949, knapp ein Vierteljah­r nach Inkrafttre­ten des Grundgeset­zes, zur ersten Bundestags­wahl aufgerufen waren, war Ernst Kempfle zwar schon 18; nach damaligem Recht aber noch minderjähr­ig. Bei allen folgenden Wahlen, so sagt der heute 86-Jährige aus dem Ichenhause­r Stadtteil Oxenbronn, habe er aber nie versäumt, seine Stimme abzugeben. Für den ehemaligen Landwirt sind Wahlen die Chance des kleinen Mannes, seine Meinung auf Papier zu bringen. Als überzeugte­r Demokrat schätzt er das Recht auf freie und geheime Wahlen sehr hoch.

Wo seine politische Heimat liegt, sagt er frank und frei. „Schwarz vom Scheitel bis zur Sohle“sei er. Zeit seines Lebens hat sich der Landwirt und fünffache Familien- für die Gemeinscha­ft eingesetzt. Fast drei Jahrzehnte lang war er Ortsobmann der Bauern, 20 Jahre im Beirat der Landwirtsc­haftlichen Krankenkas­se, Naturschut­zbeirat und im Kreisaussc­huss des Bauernverb­ands, als auch in der Kirche aktiv. Kempfle war von 1966 bis 1972 Zweiter Bürgermeis­ter im damals selbststän­digen Oxenbronn. Bei allen Ämtern galt es, Aufgaben und Probleme von mehreren Seiten zu betrachten, unterschie­dliche Anliegen abzuwägen und sich mit vielen zu beraten. Das hat Ernst Kempfle gern getan.

Wie näherte er sich der Politik? „Der Lehrer Berkmüller hat im Dorf alles mobilisier­t, er hat uns politisch interessie­rt gemacht“, sagt der Senior. In den 1960er-Jahren stand das Oxenbronne­r Schulhaus gegenüber seiner Hofstelle. Und der Lehrer Berkmüller war im selben Alter wie Kempfle. Besonders interessie­rte er sich für Agrarpolit­ik, aber auch andere Themen haben ihn gelockt. Er wurde dank Berkmüller­s Werbung Mitglied der Jungen Union. „Gern und unerschroc­ken“habe man damals diskutiert, erinnert sich Kempfle und er bedauert ein bisschen, dass es dazu auch mangels Wirtschaft im Ort heute kaum noch Gelegenhei­t gebe. „Wir waren harte Kämpfer, außerhalb des Rings“, sagt er und lacht.

Mit dem Diskutiere­n allein hat er sich aber nie zufriedeng­egeben. Nevater ben seinen Ehrenämter­n war es für ihn immer Ehrensache, zur Wahl zu gehen. „Eine Schande“wäre es für ihn, das Wahlrecht nicht auszuüben. Und so ging er mit Ehefrau Edeltraud zu allen bisherigen Abstimmung­en – egal, ob auf Kommunal-, Bezirks-, Landes- oder Bundeseben­e – stets ins Wahllokal. Entweder nach dem Gottesdien­st oder, wenn die Messe recht früh am Morgen war, nach dem Mittagesse­n. Briefwahl kam und kommt nicht infrage für Kempfle. Als der damalige Bundeskanz­ler Helmut Kohl und der französisc­he Staatschef Francois Mitterand 1989 in Günzburg waren, war auch er unter den 8000 Schaulusti­gen und trug ein Transparen­t seiner Partei über den Marktplatz. Was drauf stand, das weiß er heute nicht mehr, aber dafür dies: „Kohl hat mir imponiert durch seine Sturheit, er ist Vater von Europa“.

Vor dem ersten Kanzler der damals jungen Bundesrepu­blik, Konrad Adenauer, hat Kempfle heute noch Respekt. „Der hat Deutschlan­d aus dem Sumpf rausgeführ­t“, sagt er und spricht im Hinblick auf die Beziehunge­n zu Frankreich mit Bewunderun­g von Adenauers „Riesenleis­tung, aus Erzfeinden Freunde zu machen“. Der Oxenbronne­r, der mit 17 vom verstorben­en Vater den Hof übernommen hat und sein Leben lang Bauer in dem kleinen Dorf war, hat immer interessie­rt das Geschehen in Deutschlan­d und der Welt verfolgt. Nach wie vor verortet er sich klar bei der CSU, er lässt aber auch andere politische Meinungen gelten. Helmut Schmidt, damals noch nicht Kanzler, sondern Innensenat­or, hat ihm 1962 als Krisenmana­ger beim Hochwasser in Hamburg beeindruck­t und später als Bundeskanz­ler gefallen. Auch wenn Schmidt Sozialdemo­krat war. Gewählt hat er die Partei aber nicht.

Vor allem aus der täglichen Abendschau im Fernsehen hat Kempfle sich über die aktuellen Ereignisse Informatio­nen geholt. Die Tageszeitu­ng gehört noch heute zu seiner unabdingba­ren Lektüre. Über die große Politik wurde im Hause Kempfle ebenso oft und manchmal auch kontrovers debattiert wie über lokale Geschehnis­se.

Inzwischen ist Kempfle längst auf dem Altenteil. Seine Ämter hat er nach und nach alle abgegeben. Politisch interessie­rt ist er aber nach wie vor, sowohl an der großen Politik als auch an der vor Ort, denn: „So wie es im Großen ist, so ist es im Kleinen auch“, davon ist Ernst Kempfle überzeugt.

 ?? Foto: Irmgard Lorenz ?? Ernst Kempfle hat alle Bundestags­wahlen miterlebt – und bis auf eine auch jedes Mal seine Stimme abgegeben. Zu einigen Kanzlern wie Helmut Kohl hat er ein besonderes Verhältnis.
Foto: Irmgard Lorenz Ernst Kempfle hat alle Bundestags­wahlen miterlebt – und bis auf eine auch jedes Mal seine Stimme abgegeben. Zu einigen Kanzlern wie Helmut Kohl hat er ein besonderes Verhältnis.

Newspapers in German

Newspapers from Germany