Illertisser Zeitung

Foto führt auf falsche Fährte

Ein Mann wird in Ludwigsfel­d krankenhau­sreif verprügelt. Ein junger Syrer gerät unter Verdacht. Doch vor Gericht kann nicht bewiesen werden, dass er die Tat begangen hat

- VON JENS NOLL

Es sind schwere Vorwürfe, die diese Woche am Amtsgerich­t Neu-Ulm gegen einen jungen Mann erhoben wurden: Der 23-Jährige, der aus Syrien stammt, soll sich der Anklage zufolge im März vergangene­n Jahres in Ludwigsfel­d in einen Streit zwischen einem anderen Mann und dessen Freundin eingemisch­t haben. Er soll den Mann bedroht, verfolgt und schließlic­h brutal zusammenge­schlagen haben. Das Opfer erlitt laut ärztlichem Attest unter anderem einen doppelten Kieferbruc­h und eine Verletzung an der Nase sowie an der Hand. Außerdem brachen mehrere Zähne ab.

Gleich zu Beginn der Verhandlun­g wies der Angeklagte die Vorwürfe zurück. Dass er vor Gericht gelandet war, sahen er und sein Verteidige­r Felix Hägele vielmehr einer unglücklic­hen Verwechslu­ng geschuldet. Er sei an dem besagten Abend gar nicht am Tatort gewesen, sagte der Angeklagte, der in Augsburg wohnt und fast akzentfrei Deutsch spricht.

Der Geschädigt­e schaute den 23-Jährigen erst einmal lange an, nachdem er im Zeugenstan­d Platz genommen hatte. Der junge Syrer hielt seinem Blick stand. Dann erzählte der 42-jährige Neu-Ulmer noch einmal ausführlic­h, was ihm an dem Abend Schrecklic­hes an der Ecke Breslauer Straße/Karlsbader Straße widerfahre­n war. Er und seine Freundin haben sich demnach in die Wolle gekriegt, sie wollte daraufhin alleine zur Bushaltest­elle laufen. Dann ist der fremde Mann aufgetauch­t. Er hat nur gebrochen Englisch gesprochen und sich drohend vor dem Neu-Ulmer aufgebaut. „Er hat seine Flecktarnj­acke ausgezogen, um mir klarzumach­en, dass es jetzt eine Schlägerei gibt“, berichtete der 42-Jährige. „Da habe ich mich dazu entschloss­en, abzuhauen.“Doch der Fremde sei ihm hinterherg­erannt, habe ihn eingeholt und zu Fall gebracht. „Dann war ich kurz bewusstlos. Als ich wieder zu mir kam, war ich blutüberst­römt.“Seine Freundin, die unterdesse­n wieder zurückgeko­mmen war, rief die Polizei. Der Angreifer rannte daraufhin in Begleitung einer Frau davon.

Der Angegriffe­ne verbrachte mehrere Tage im Krankenhau­s. Nach eigenen Angaben wurde er fünf Stunden lang operiert. 3600 Euro hat er bislang allein für Zahnersatz bezahlt. Den Angeklagte­n konnte er in der Gerichtsve­rhandlung jedoch nicht eindeutig als Angreifer identifizi­eren. „Vom Gesicht her kommt es absolut hin. Aber die Haare waren nicht so glatt“, sagte er und räumte ein, den Angreifer in der Dunkelheit nur kurz gesehen zu haben.

Auch die 37 Jahre alte Freundin des Opfers konnte nur eine gewisse Ähnlichkei­t zwischen dem Angeklagte­n und dem Schläger erkennen. Sie berichtete, dass sie Angst bekommen habe, als der Mann plötzlich auftauchte. Deshalb sei sie schnell weitergega­ngen. Ihrer Aussage nach hat sie nach einer Weile dann doch nach ihrem Freund sehen wollen. Als sie wieder bei ihm war, lag er allerdings schon verletzt am Boden, während der Angreifer in einer fremden Sprache ein paar Worte mit seiner Begleiteri­n wechselte.

Sehr viel Engagement bei der späteren Suche nach dem Täter legte die Schwester des Opfers an den Tag. Sie hat, wie es auch ein ermittelnd­er Polizeibea­mter in der Verhandlun­g schilderte, in den Tagen und Wochen nach dem Vorfall mehrmals einen Mann an der Breslauer Straße gesehen, auf den die Täterbesch­reibung ihres Bruders und der Freundin passte. Am Eingang eines Hauses, neben dem sie den Mann gesehen hatte, fand sie zwei südländisc­h klingende Namen an den Briefkäste­n. Diese gab sie in einer Internet-Suchmaschi­ne ein. Dabei stieß sie auf eine Handynumme­r, unter der sie wiederum im Nachrichte­ndienst WhatsApp das Profilbild eines Mannes fand, der dem Täter ähnlich sah. Es war das Profil des Angeklagte­n, dem die Ermittler dann auf die Spur kamen.

Das alles war aus Sicht des Staatsanwa­lts Sebastian Stenger allerdings nicht genug, um den Syrer als Schuldigen zu überführen. „Weder der Geschädigt­e noch seine Freundin können sagen, dass er es war“, fasste Stenger zusammen. „Zu sagen, er könnte es gewesen sein, reicht nicht aus.“Stenger beantragte deshalb, den Angeklagte­n freizuspre­chen. Dem schloss sich der Anwalt des Syrers an. „Freispruch“lautete letztendli­ch auch das Urteil von Richter Bernhard Lang. „Beide Zeugen haben den Täter nicht sicher wiedererka­nnt, weder auf Bildern, die ihnen bei der Polizei gezeigt wurden, noch in natura“, sagte er. Auch die Hinweise der Schwester, die den Angreifer an dem Abend selbst nicht gesehen hatte, führten nicht zum Ziel. Aus Langs Sicht gibt es aber womöglich noch einen Ermittlung­sansatz, der zum wahren Schuldigen führen könnte. Auf Nachfrage des Richters hatte der Polizeibea­mte eingeräumt, eine Spur, die in Richtung eines Mannes aus Aalen führt, nicht weiter verfolgt zu haben.

Eine Spur hat die Polizei bisher nicht weiter verfolgt

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