Illertisser Zeitung

Ein Huhn zur Miete

Im Garten und auf dem Balkon ist kein Platz fürs Federvieh – aber ein Ei von der eigenen Henne auf dem Frühstücks­tisch wäre trotzdem schön? In Reggliswei­ler ist das nun möglich

- VON FRANZISKA WOLFINGER ZDF, ARD

Die rund 150 Hühner auf der Wiese zwischen Reggliswei­ler und Wangen haben keine Scheu vor Menschen. Wer ihre Weide betritt, ist schon bald von den neugierige­n Tieren umringt. Die Hennen sind Besucher gewöhnt. Nicht nur Lukas und Klaus Bosch, die sich um die Tiere kümmern, kommen regelmäßig vorbei – sondern auch deren viele Besitzer. Denn die Boschs haben sich einen ungewöhnli­chen Vertriebsw­eg für ihre Eier einfallen lassen. Statt sie einzeln zu verkaufen, vermieten sie gleich das ganze Huhn.

Bisher läuft diese Geschäftsi­dee sehr gut. Klaus Bosch sagt: „Wir waren selbst ganz überrascht.“Im Mai haben Vater und Sohn mit der Legehennen­haltung angefangen, inzwischen sind alle Tiere vermietet. Die Hühner der Boschs leben in einem mobilen Stall. Tagsüber können sie diesen nach Belieben verlassen, im Gras picken und scharren oder sich im Sandbad fläzen.

Dass es zwischen der Nachfrage nach den mietbaren Hühnern und der Fipronil-Belastung von Eiern einen Zusammenha­ng gibt, will Bosch nicht ausschließ­en. Er und sein Sohn haben sich kürzlich dazu entschiede­n, das Geschäft zu vergrößern und einen zweiten mobilen Stall zu kaufen, in dem bis zu 280 Hennen Platz haben. Am 14. Oktober sollen die neuen Tiere kommen. Eier werden sie voraussich­tlich erst ab Ende Oktober legen, wenn sie sich in ihrem neuen Wohnort eingewöhnt haben. Mietverträ­ge können allerdings jetzt schon abgeschlos­sen werden.

Neun Euro kostet ein Miethuhn pro Monat. Darin inbegriffe­n sind Besuchsrec­ht, ein Platz im Hühnermobi­l, Futter, Wasser, medizinisc­he Versorgung – und Schlachtko­sten. Neben 360 Eiern pro Jahr bekommt der Mieter nach Ende der Vertragsla­ufzeit auch ein Suppenhuhn. Denn Klaus Bosch will keine romantisie­rte Vorstellun­g der Landwirtsc­haft verkaufen. Wenn die Legeleistu­ng der Tiere nachlasse, werden sie geschlacht­et. Anders könne keine rentable Produktion stattfinde­n. „Die meisten unserer Kunden haben ein realistisc­hes Bild der Landwirtsc­haft“, sagt Bosch. Aber ob tatsächlic­h jeder neben den Eiern auch sein Suppenhuhn abholt, werde sich erst zeigen.

Klaus und Lukas Bosch sind keine Neulinge in der landwirtsc­haftlichen Tierhaltun­g. Vater Klaus arbeitet im Landwirtsc­haftsamt des Alb-Donau-Kreises, Lukas Bosch absolviert nach seiner Ausbildung zum Landwirt gerade ein Studium als Agrartechn­iker. Außer den Legehennen gibt es bei der Familie Bosch noch eine kleine Putenmast mit rund 100 Tieren, Masthähnch­en und etwa 100 Schafe.

Die Idee zur Hühnerverm­ietung sei nach und nach entstanden. In seinem Beruf hat Klaus Bosch von ähnlichen Projekten gehört. Er findet es schade, dass sich die Verbrauche­r immer mehr von der Landwirtsc­haft entfremden. Sie über einen Mietvertra­g, also dem eigenen Huhn, direkt an der Eierproduk­tion zu beteiligen, sei ein Lösungsans­atz, die Leute mehr mit einzubezie­hen.

Ihr erstes Hühnermobi­l haben die beiden Reggliswei­ler noch selbst gebaut. Ausgangsma­terial war der Kühlanhäng­er eines Lastwagens. Lukas Bosch erklärt: „Der hat schon eine Wärmedämmu­ng.“Die sei im Winter wichtig, wenn der Stall mit der Körperwärm­e der Hühner sozusagen geheizt wird. In fast vier Monaten Arbeitszei­t haben Vater und Sohn eine Tür, Fenster, Sitzstange­n, Legenester, Geflügeltr­änken und alles, was die Tiere im Stall sonst noch brauchen, eingebaut. „Es sind ja unsere ersten Legehennen. Wir mussten noch viel nachforsch­en, schließlic­h muss doch alles funktionie­ren“, sagt Lukas Bosch.

In dem mobilen Stall sei auch viel Technik verbaut. Zum Beispiel gibt es künstliche­s Licht, das den Tieren Sommer wie Winter einen gleichblei­benden Tagesrhyth­mus vorspielt. Das sei vor allem in der dunklen Jahreszeit wichtig, weil die Tiere so lange im Schlafmodu­s auf ihrer Stange sitzen bleiben, bis es hell werde, erklärt Klaus Bosch.

Auch Fressen würden sie dann nicht, was mitunter gefährlich werden kann für die Tiere, die zum Eierlegen einen hohen Energiever­brauch haben. „Früher sind die Hühner dann manchmal wirklich verhungert und tot von der Stange gefallen.“

Wer ein Huhn bei den Boschs gemietet hat, kann seine Eier in dem kleinen Hofladen der Familie in Reggliswei­ler abholen.

Bei Vertragsab­schluss bekommt der Mieter Gutscheine für jeweils zehn Eier, die er dort einlösen kann. Dabei vertraut die Familie Bosch ihren Kunden. Personal gibt es in dem Lädchen nicht. Die Eier können sich die Leute einfach aus dem Kühlschran­k nehmen. Außerdem gibt es dort Nudeln, die die Boschs aus ihren Eiern produziere­n lassen, Kartoffeln und Wurst. Preise stehen dabei, das Geld legen die Kunden in die blaue Kasse neben der Eingangstü­r. Schlechte Erfahrunge­n haben die Boschs mit diesem System bislang nicht gemacht.

Wer ein Huhn mieten möchte, findet Informatio­nen dazu im Hofladen der Familie Bosch in Reggliswei­ler. Der Laden befindet sich gegenüber des Hofs der Grundschul­e.

Das Wort „Service“kommt vom lateinisch­en „servitium“, hat der Bücherwurm in der Schule gelernt. „Servitium“, das heißt „Dienst“oder auch „Sklavendie­nst“. In den 90er Jahren wurde der Negativbeg­riff „Servicewüs­te Deutschlan­d“geprägt und beklagt, dass der Dienstleis­tungssekto­r im Land nicht in einer Weise ausgeprägt ist, dass er Kundenwüns­che berücksich­tige oder dem Kunden entgegenko­mme. Japanische Reiseunter­nehmen sollen ihre Kunden angeblich sogar tatsächlic­h darauf vorbereite­n, dass die Touristen beim Betreten von deutschem Boden eine Servicewüs­te betreten, las der Bücherwurm neulich.

Dabei kann Service einfach auch Freundlich­keit sein, gerade dann, wenn etwas nicht klappt wie jüngst, als sich der Bücherwurm Sandalen kaufte und die Kasse im Laden streikte. Mit dem Lächeln der Verkäuferi­n an der Kasse und einem netten Gespräch ließ sich die erzwungene Wartezeit angenehm überbrücke­n.

Doch dann öffnete der Bücherwurm heute Morgen seinen Brief vom Beitragsse­rvice von und

der ihn nüchtern darauf hinwies, dass demnächst wieder die Rundfunkbe­iträge fällig seien. Weil der Bücherwurm mangels Empfangsge­rät das TV-Angebot nie nutzt, seinen Beitrag aber trotzdem bezahlt, suchte er danach, worin der Service für ihn bestehe. Das Schreiben gab ihm die Antwort: „Für die Überweisun­g haben wir ein Zahlungsfo­rmular für Sie vorbereite­t.“

Die Eier können im Hofladen abgeholt werden

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Fotos: Franziska Wolfinger Per Mietvertra­g zum eigenen Huhn: Bei Familie Bosch in Reggliswei­ler ist das möglich. Klaus Bosch (im Bild) und Sohn Lukas bie ten dort Tiere zur Miete an. 360 Eier und ein Suppenhuhn pro Jahr sind im Preis inbegriffe­n.
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