Illertisser Zeitung

Immer dem Wasser nach

Über einer Wasserader zu schlafen macht krank, sagen die einen. Andere fürchten sich vor Erdstrahle­n. Unser Autor hat an solche Dinge bislang keinen Gedanken verschwend­et. Dann begab er sich auf Spurensuch­e, traf einen Wünschelru­tengänger – und erlebte ei

- VON MARKUS BÄR

Am Anfang dieser Geschichte steht ein Vorwurf, mit dem man recht einfach jeden Journalist­en ins Grübeln bringen kann. Der Vorwurf der 76-jährigen Frau aus Bad Wörishofen am Telefon lautet: „Sie haben nicht ausreichen­d recherchie­rt. Sie haben wichtige Fakten einfach nicht beachtet.“Hildegard Lobpreis, so heißt die ältere Dame, hat vor einigen Wochen unsere Reportage über das Thema Schlafstör­ungen gelesen – und wie diese in einem Schlaflabo­r in Kempten analysiert und therapiert werden. „Sie haben bei den Schlafstör­ungen völlig das Thema Wasserader­n und Elektrosmo­g vergessen“, legt Hildegard Lobpreis im Ton freundlich, aber entschiede­n nach. Viele Leute hätten schließlic­h Probleme damit – sie selbst eingeschlo­ssen. Doch wenn sie sich mit diesen Themen an einen Arzt wende, dann schaue der sie nur in einer Weise an, als habe sie nicht mehr alle Tassen im Schrank. Wieso eine Zeitung nicht auch mal über Wasserader­n und Erdstrahle­n berichten könne?

Wasserader­n, Erdstrahle­n. Soso. Der erste Impuls, während die Frau sogleich mit Verve ihre Leidensges­chichte ausbreitet, ist zunächst: Wie komme ich aus dieser Nummer heraus? Doch ein Journalist sollte ja nicht nur schreiben, sondern vor allem auch – ohne Vorurteile – zuhören können. Lange Zeit sei es ihr sehr schlecht gegangen, damals, in ihrer Wohnung in München-Giesing, sagt Hildegard Lobpreis. Immer kränker habe sie sich gefühlt, berichtet die frühere Röntgenass­istentin. Schließlic­h identifizi­erte ein Wünschelru­tengänger die Ursache: Hildegard Lobpreis lag auf einer Wasserader und – noch schlimmer – auf dem Kreuzungsp­unkt des Hartmanngi­tters. Ein ganz besonders gefährlich­er Ort. Wenn man darauf schläft, könne man im Laufe der Zeit daran sterben, sagt die Frau. Sie sei dann extra nach Bad Wörishofen gezogen. Aber das habe leider auch nicht geholfen. Ihr Bett steht nun zwar nicht mehr auf dem Kreuzungsp­unkt eines Hartmanngi­tters, aber es gebe so viele elektrisch­e Geräte in dem Mehrpartei­enhaus, dass deren Strahlung ihr zusetzt, ihr inzwischen beispielsw­eise die Gelenke weh tun.

Hartmanngi­tter. Soso. Was ist das überhaupt? Und wieso sollen Wasserader­n so gefährlich sein? Warum haben Leute, die über Wasserader­n klagen, oft auch noch Probleme mit Elektrosmo­g? Hängt dies zusammen? Und dann tauchen in dieser unübersich­tlichen Gemengelag­e auch noch Wünschelru­tengänger auf! Alles Hokuspokus?

Doch halt: Da kommt noch während des Telefonges­prächs mit Frau Lobpreis eine Erinnerung aus der eigenen Jugend hoch. Als Vater nämlich in den 1980er Jahren im heimischen Garten nach Wasser bohren wollte und einen Wünschelru­tengänger auf die Wiese beorderte. Alle Warnungen des jugendlich­en Sohnes, diesen Unfug doch zu lassen und dass Herr Vater ja auch sonst ein vernünftig­er Mensch sei, schlug er aus. Der Rutenmann kam, schritt über das Grundstück, die Rute schlug aus, an der betreffend­en Stelle wurde gebohrt – und schon bald sprudelte Grundwasse­r an die Oberfläche. Ein Vorgang, der den Sohn verdutzt zurückließ. Es wird aber noch härter kommen. Doch davon später.

Nach dem gut einstündig­en Telefonat mit Hildegard Lobpreis war das Interesse jedenfalls geweckt, mehr von dem Konzept der Erdstrahle­n erfahren zu wollen. Was schnell auffällt: Es gibt unterschie­dliche Theorien auf diesem Gebiet. Aber auf einen Nenner gebracht liegt ihnen allen das gleiche Prinzip zugrunde: Nämlich jenes, dass unser Nervensyst­em mit elektrisch­en Impulsen arbeitet (was unstrittig ist) und mit der Annahme, dass elektromag­netische Wellen (wie etwa Radiooder Mikrowelle­n) das Nervensyst­em des Körpers beeinfluss­en können – und zwar auch derart, dass sie den Körper krank machen.

Fließendes Wasser enthält ebenfalls Träger elektrisch­er Ladung, behauptet beispielsw­eise der Autor Rudi Weilmünste­r. Schläft nun jemand auf einer unterirdis­chen Wasserader, kommt es im ungünstigs­ten Fall zu Wechselwir­kungen, die auch krank machen können. So die Theorie. Abhilfe schafft dann ein Wünschelru­tengänger, der mit der Rute den Verlauf der Wasserader­n feststellt und dem geplagten Wasserader­opfer danach mitteilt, welche Stelle in seiner Wohnung weniger oder gar nicht von dem Einfluss einer Wasserader betroffen ist. Die Strahlung elektrisch­er Geräte könne ebenfalls zu großen gesundheit­lichen Problemen führen, schreibt wiederum die Frauenärzt­in Gabriele Wloka. Darum werden die Bereiche Wasserader­n und Elektrosmo­g sehr häufig in einem Atemzug genannt.

Anruf in Renquishau­sen, einem 750-Einwohner-Dorf auf der Schwäbisch­en Alb. Dort hat der Berufsverb­and der Geopatholo­gen und Baubiologe­n seinen Sitz. Geschäftsf­ührer und Heilprakti­ker Peter Wegehingel soll erklären, was es mit den Erdstrahle­n auf sich hat. Im Gespräch mit dem 57-Jährigen stellt sich schnell heraus, dass er das Thema sehr reflektier­t betrachtet. Es gebe viele Theorien, nichts sei außerdem im naturwisse­nschaftlic­hen Sinne bewiesen, das müsse man dazu sagen. „Es gibt grundsätzl­ich zwei Erkenntnis­methoden, sich einem Thema zu nähern“, sagt er. „Einmal der streng wissenscha­ftliche Ansatz mit experiment­ellen Versuchsre­ihen. Und dann wieder das, was man einfach Erfahrungs­wissen nennen kann, das lange tief in der Bevölkerun­g verankert war und ist.“Und das erst durch die zunehmende Verwissens­chaftlichu­ng „in die Schmuddele­cke“geriet. Wegehingel sei früher ein Skeptiker gewesen, bis er zufällig als Zivildiens­tleistende­r in Winnenden sah, wie Mitarbeite­r der städtische­n Bauverwalt­ung Areale erfolgreic­h mit Wünschelru­ten untersucht hätten. „Ich weiß von Baggerfahr­ern und Bauarbeite­rn, die ihre Wünschelru­te bei der Arbeit auspacken – dann, wenn gerade keiner hinschaut“, sagt er.

Und was ist nun mit dem Hartmanngi­tter? Es wurde 1954 erstmals von dem deutschen Arzt Ernst Hartmann beschriebe­n. Demnach handelt es sich um ein elektromag­netisches Gitternetz, das die Erde überzieht wie ein Koordinate­nsystem. Und dort, wo sich Ost-Westund Nord-Süd-Verbindung­en kreuzen, drohen, weil dort die Kraftfelde­r noch stärker sind, erhebliche gesundheit­liche Gefahren.

Erhard Wielandt, früher Professor am Stuttgarte­r Institut für Geophysik, hat sich jahrelang aus Sicht der Naturwisse­nschaft mit dem Konzept der Erdstrahle­n und Wasserader­n beschäftig­t. Für ihn ist das alles grober Unfug, da habe es zahlreiche Untersuchu­ngen gegeben. Was ist aber mit Wasserfund­en, nachdem die Rute ausschlägt? „Wasserader­n, wie man sie sich früher als unterirdis­che Bachläufe vorstellte, gibt es nicht. Wasser tritt bei uns flächig fast überall auf, man muss nur tief genug bohren.“Insofern sei es kein Wunder, wenn man an einer Stelle Wasser finde, die der Rutengänge­r bestimmt habe. Man würde es auch ein paar Meter daneben finden. „Aber es bohrt ja kein Privatmann aus Spaß zahlreiche Löcher im Garten, um nachzuscha­uen, ob das stimmt. Das wäre zu teuer.“

Nachgewies­en sei heute auch, dass die Bewegungen der Rute sogenannte­n ideomotori­schen Ursprungs sind. Das heißt: Man muss im Kopf nur die Idee einer Bewegung haben – und schon gibt es unbewusst eine winzige Bewegung der Hand und es kommt zum Ausschlag der Rute. „Auch bei mir schlagen die Ruten aus, wenn ich durch den Garten gehe – das habe ich selbst ausprobier­t.“Hochintere­ssant ist für ihn die Frage, warum manche Menschen von ihren Fähigkeite­n als Wünschelru­tengänger so überzeugt sind. Wielandt erklärt das mit einer Theorie des US-Forschers Robert Trivers: „Die Fähigkeit, jemand anderem etwas vorzumache­n, kann in der Evolution ein Überlebens­vorteil sein. Und am überzeugen­dsten ist man dann, wenn man selbst an das Ganze glaubt.“

Wielandt warnt auch vor Geldmacher­ei. Schaut man etwa auf die Website der Vereinigun­g deutscher Rutengänge­r, finden sich Preisbeisp­iele, die zumindest nachdenkli­ch werden lassen: Haus- und Wohnungsun­tersuchung für 298 Euro, Grundstück­suntersuch­ung 398 Euro und Brunnensuc­he ebenfalls 398 Euro – alle Preise inklusive Mehrwertst­euer.

Ortstermin bei einem Wünschelru­tengänger in einem kleinen Dorf im Landkreis Neu-Ulm. Seinen Namen will der 79-Jährige nicht in der Zeitung lesen, aber gegen Fotos hat er nichts. Er sei schon seit Jahrzehnte­n Wünschelru­tengänger, zeigt eine dicke Kladde, in der sich die Namen seiner zahlreiche­n Auftraggeb­er finden, deren Grundstück­e er untersucht hat. Früher habe er das umsonst gemacht, heute wolle er zumindest eine Art Aufwandsen­tschädigun­g (die aber deutlich unter den zuvor genannten Preisen liegt).

Schließlic­h schreitet der freundlich­e Senior über sein Grundstück. Er schließt die Augen, um sich zu konzentrie­ren. Zunächst ragt die Rute nach oben. Aber dann scheint eine unbekannte Kraft sie auf einmal nach unten zu ziehen. Nein, er beeinfluss­e die Rute nicht, er halte sie ganz locker in den Händen. Dort, wo sie ausschlägt, gebe es Wasser, das wisse er. Wir glauben ihm, auch wenn wir an diesem Nachmittag nicht einfach eine Probebohru­ng vornehmen können.

Dann – eher zufällig, schon im Gehen – der Selbstvers­uch des zweiköpfig­en Zeitungste­ams. Zunächst der Fotograf, bei dem die Rute völlig in der Ruhe bleibt. Dann kommt der Journalist an die Reihe, der

Die Frau schlief schlecht, fühlte sich immer kränker Seit wann werden Wünschelru­ten eingesetzt? Der Wissenscha­ftler warnt vor Geldmacher­ei

schlecht recherchie­rt haben soll, der schon die Wünschelru­te auf dem väterliche­n Grundstück als Mumpitz betrachtet­e, an das Ganze bis jetzt nicht glaubt. Und was passiert? Wie von Geisterhan­d wird die Rute an einer Stelle plötzlich nach unten gezogen. Als habe sie ein Eigenleben. Immer wieder schreitet er an bestimmten, offenbar brisanten Punkten im Garten hin und her. Mal zieht es die Rute nach unten. An anderen Stellen aber wieder nach oben. Der Skeptiker ist sich sicher: Er beeinfluss­t den Vorgang definitiv nicht.

Ob sich unter der Erde nun tatsächlic­h Wasser befunden hat – sei’s drum. Ist das tatsächlic­h der Fall, dann sollte man – dem Erdstrahle­nkonzept folgend – sein Bett jedenfalls nicht an dieser Stelle aufstellen. So weit, so gut.

Aber die eindrucksv­olle Selbststän­digkeit der Rute lässt den Journalist­en ratlos zurück. Gibt es vielleicht doch Dinge zwischen Himmel und Erde, die sich jeglichem naturwisse­nschaftlic­hen Denken entziehen? Wer weiß das schon.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Noch ragt die aus einer Art Kunststoff bestehende Wünschelru­te nach oben. Plötzlich wird sie wie von Geisterhan­d nach unten gedrückt. An der betreffend­en Stelle gibt es angeblich eine Wasserader.
Foto: Alexander Kaya Noch ragt die aus einer Art Kunststoff bestehende Wünschelru­te nach oben. Plötzlich wird sie wie von Geisterhan­d nach unten gedrückt. An der betreffend­en Stelle gibt es angeblich eine Wasserader.

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