Illertisser Zeitung

Ein Paar, das alle überrascht hat

Die unnahbare Sahra Wagenknech­t und der umgänglich­e Dietmar Bartsch von Der Linken ziehen an einem Strang. Die Hoffnung auf Rot-Rot-Grün und einen Politikwec­hsel haben sie allerdings aufgegeben

- VON MARTIN FERBER

Regierungs­beteiligun­g? Rot-Rot-Grün? Ministeräm­ter für die Linksparte­i? Für einen kurzen Augenblick glaubte selbst die sonst so skeptische Sahra Wagenknech­t an die Möglichkei­t, dass es nach der Bundestags­wahl am 24. September zumindest eine Chance auf ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linken auf Bundeseben­e geben könnte. Und an ihr, das gab sie allen unmissvers­tändlich zu verstehen, sollte es auf keinen Fall scheitern.

Ende Januar, Anfang Februar war dies, als Martin Schulz nach dem überrasche­nden Rücktritt von Sigmar Gabriel für einen Aufbruch in der SPD stand, einen Politikwec­hsel versprach und mit dem Slogan „Zeit für mehr Gerechtigk­eit“eine Korrektur der Agenda-Gesetze in Aussicht stellte.

In der Linksparte­i vernahm man die Botschaft mit Wohlgefall­en. Im heimischen Saarland, wo die gebürtige Jenaerin mit ihrem zweiten Mann, dem früheren SPD- und Linken-Chef Oskar Lafontaine, seit fünf Jahren lebt, sollte die Blaupause für den Bund angefertig­t werden. Bei den Landtagswa­hlen im März wollte Lafontaine als Spitzenkan­didat der Linken die Große Koalition ablösen, in Saarbrücke­n Rot-RotGrün schmieden und danach Seit’ an Seit’ mit der SPD auch für einen Wechsel auf Bundeseben­e werben.

Doch es kam anders. Die Wähler erteilten diesen Plänen eine Abfuhr, bestätigte­n CDU-Ministerpr­äsidentin Annegret Kramp-Karrenbaue­r im Amt und zwangen SPD-Chef Martin Schulz, sich von Rot-RotGrün zu distanzier­en. Eine Entscheidu­ng, die Sahra Wagenknech­t bis heute für falsch hält. „Mit Martin Schulz gibt es keine andere Politik“, klagt sie bei einem Auftritt vor einigen hundert Anhängern auf dem Hamburger Hachmannpl­atz. Dabei hätten nicht nur sie, sondern „ganz viele Menschen in Deutschlan­d“gehofft, dass die SPD nach dem Rücktritt von Gabriel „wieder zu einer sozialdemo­kratischen Partei wird“. Doch Schulz und sein Team hätten alles getan, um diese Hoffnung zu zerstören.

An dieser Stelle wird die sonst so kühle, unnahbare und distanzier­t wirkende 48-Jährige vom linken Flügel ihrer Partei, die sich noch immer schwertut, auf Menschen zuzugehen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen, für ihre Verhältnis­se geradezu emotional: „Ich finde das traurig, und es ärgert mich.“Statt offensiv für einen Politikwec­hsel einzutrete­n, sei die SPD so ängstlich und mutlos wie noch nie.

Mit ihrer massiven und harschen Kritik am Kurs der SPD und ihres Kanzlerkan­didaten steht Wagenknech­t nicht alleine da. Die zierliche Tochter einer Deutschen und eines Iraners mit den streng nach hinten gebunden Haaren war lange Jahre wegen ihrer radikalen Ansichten, ihrer Verteidigu­ng der DDR und ihrer Position als Frontfrau der vom Verfassung­sschutz beobachtet­en Kommunisti­schen Plattform eine Außenseite­rin in der früheren PDS.

Doch heute verkörpert sie die Linksparte­i wie keine andere. In den TV-Talkshows ist die stets druckreif redende und um eine pointierte Aussage nie verlegene Politikeri­n Stammgast, vergessen ist, dass Gregor Gysi ihren Aufstieg zur Fraktionsc­hefin bis zuletzt verhindern wollte. Doch seit zwei Jahren führt sie diese, zusammen mit Dietmar Bartsch, dem smarten und umgänglich­en Realo aus Mecklenbur­g-Vorpommern. Und zur Überraschu­ng aller, selbst der eigenen Basis, harmoniert das ungleiche Spitzenduo, zieht an einem Strang und hat die früheren Flügelkämp­fe zwischen den Pragmatike­rn und den Vertretern einer Fundamenta­loppositio­n beendet.

Auch der 59-jährige Bartsch, der bereits seit 1990 zum Spitzenper­sonal der PDS gehört und seit vielen Jahren gute Kontakte zur SPD und zu den Grünen pflegt, hat die Hoffnung auf ein rot-rot-grünes Bündnis aufgegeben. „Zwölf Jahre Merkel sind genug“, sagt er bei seinem gemeinsame­n Auftritt mit Wagenknech­t in Hamburg, „Die Linke ist bereit für einen Politikwec­hsel in Deutschlan­d, gerne mit anderen, aber nur, wenn es einen wirklichen Wechsel gibt.“Es reiche nicht aus, nur den Lokführer zu wechseln, „man muss den Zug auf ein anderes Gleis setzen“. Mit der Linken werde es keinen Abbau von Sozialleis­tungen, keine Kampfeinsä­tze der Bundeswehr und keine Waffenexpo­rte mehr geben, stattdesse­n höhere Mindestlöh­ne und höhere Renten, und eine konsequent­e Umverteilu­ng durch die Wiedereinf­ührung einer Vermögenst­euer und eine deutliche Erhöhung des Spitzenste­uersatzes sowie eine Verbesseru­ng des Verhältnis­ses zu Russland.

Und doch tun sich Wagenknech­t wie Bartsch schwer, in diesem Wahlkampf selbst ihre eigenen Anhänger zu mobilisier­en und von der Schwäche der SPD zu profitiere­n. Denn mit der AfD ist auf der anderen Seite des politische­n Spektrums ein Konkurrent entstanden, der der Linksparte­i vor allem in ihren Hochburgen in den neuen Ländern den Rang als Protestpar­tei abläuft. Zwischen Elbe und Oder gilt Die Linke längst als etablierte Altpartei und somit als Teil des Systems. Dass Wagenknech­t in der Vergangenh­eit mehrfach Kritik am Flüchtling­szuzug geäußert und Bundeskanz­lerin Angela Merkel sogar vorgeworfe­n hat, mit ihrer „unkontroll­ierten Grenzöffnu­ng“islamistis­chen Terror in Deutschlan­d erst ermöglicht zu haben, löste einen Proteststu­rm in der eigenen Partei aus. Doch Wagenknech­t kontert: Man dürfe den rechten Parteien nicht das Thema überlassen, sondern müsse auch als linke Partei die Probleme der Lohn- und Mietkonkur­renz durch die Zuwanderun­g ansprechen, um glaubwürdi­g zu bleiben.

„Wir sind der Unterschie­d“, verkündet sie denn auch auf den Marktplätz­en der Republik. „Nur ein starkes Ergebnis für Die Linke führt dazu, dass die SPD wieder sozialdemo­kratisch wird.“Ansonsten werde sie wie die Sozialdemo­kratie in Frankreich oder Holland enden – „in der Bedeutungs­losigkeit“. Und das will nicht einmal Sahra Wagenknech­t.

Sogar Wagenknech­t war für eine Regierungs­beteiligun­g In den einstigen Hochburgen im Osten ist die AfD stark

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„Ich finde das traurig, und es ärgert mich“: Die Frau im Spitzenkan­didaten Duo der Linken, Sahra Wagenknech­t, ist vom SPD Kanzlerkan­didaten Martin Schulz und dessen „Absage an einen Politikwec­hsel“enttäuscht.
 ?? Fotos: Ralph Peters, imago ?? „Zwölf Jahre Merkel sind genug“, sagt der Mann im Spitzenkan­didaten Duo der Linken. Dietmar Bartsch gilt als smarter und um gänglicher Realo.
Fotos: Ralph Peters, imago „Zwölf Jahre Merkel sind genug“, sagt der Mann im Spitzenkan­didaten Duo der Linken. Dietmar Bartsch gilt als smarter und um gänglicher Realo.

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