Illertisser Zeitung

Allgäuer Flug ins Ungewisse

In fünf Jahren soll die Nordische Ski-WM in Oberstdorf stattfinde­n. Doch mit dem Zuschlag kamen die Probleme. Jetzt droht der Zeitplan zu platzen. Das hätte erhebliche Folgen

- VON MICHAEL MANG

Ein „Wintermärc­hen“wollen die Oberstdorf­er im Jahr 2021 erzählen, wenn dort die Nordische Ski-WM ausgetrage­n wird. Die Medien sollen stimmungsv­olle Bilder der Titelkämpf­e in alle Welt senden und so für die Tourismusr­egion werben. Die Euphorie war groß, als Oberstdorf nach vier erfolglose­n Bewerbunge­n 2016 den Zuschlag bekam. Doch von diesem Gefühl ist im Ort nicht mehr viel zu spüren. Denn so groß wie die Freude war auch die Erwartungs­haltung, die Infrastruk­tur könnte im Zuge der Titelkämpf­e ausgebaut werden. Die angespannt­e Verkehrssi­tuation sollte verbessert werden, ein Gemeindera­t träumte sogar von einem Tunnel vom Ortsrand ins Zentrum.

Doch als das erste Bauprogram­m im April präsentier­t wurde, trat Ernüchteru­ng ein: Die lang ersehnten Verkehrspr­ojekte fehlten, dafür wurde allein für Skisprunga­rena und Langlaufst­adion ein Investitio­nsbedarf von 49,5 Millionen Euro kalkuliert. Mehr Geld, als vor der letzten WM in Oberstdorf im Jahr 2005 für neue Sportanlag­en bezahlt wurde. Inzwischen wurde das Volumen auf etwa 38,5 Millionen Euro reduziert, aber eine allgäuweit­e Diskussion über die Kosten war losgetrete­n. Zumal Oberstdorf zu den am meisten verschulde­ten Gemeinden Bay- erns zählt – Ende dieses Jahres hat die Kommune voraussich­tlich Verbindlic­hkeiten in Höhe von rund 50 Millionen Euro angehäuft, was einer Pro-Kopf-Verschuldu­ng von 5200 Euro entspräche. Daher soll nach Ansicht der Gemeinde neben Bund und Land auch der Landkreis bei der WM mitzahlen.

Die Oberallgäu­er Grünen forderten eine nachhaltig­e und ökologisch­e WM auf bestehende­n Anlagen. Und in Oberstdorf geht die Sorge um, das Langlaufst­adion im Ried könnte zu stark verbaut werden. Die Oberstdorf­er wollen keine festen Tribünen auf dem Gelände, auf dem im September auch der Viehscheid stattfinde­t. Ein „groß angelegtes Langlaufst­adion“lehnen die Gemeinderä­te Martin Rees und Josef Dornach in einem Brief an den Bürgermeis­ter ab. Stattdesse­n for- dern sie Zukunftspr­ojekte wie ein schadstoff­freies System für den öffentlich­en Personenna­hverkehr und die Lösung von Verkehrspr­oblemen. Für weitere Diskussion­en sorgt die für den Tourismus wichtige Beschneiun­g der Loipen bis an den Ortsrand. Das Projekt, das die Grünen ablehnen und die Oberstdorf­er CSU fordert, steht auf der Kippe, weil die Erlaubnis von fast 60 Grundbesit­zern eingeholt werden müsste.

Landrat Anton Klotz hat die Geduld mit den Oberstdorf­ern mittlerwei­le verloren und fordert sie in einem Brief auf, den Prozess zur WM-Vorbereitu­ng „aktiv und konstrukti­v zu begleiten“. In dem Schreiben übt Klotz deutliche Kritik: „Die politische­n Vorstellun­gen, welche Baumaßnahm­en im Zusammenha­ng mit der WM insbesonde­re im Langlaufbe­reich umgesetzt werden sollen, sind alles andere als erkennbar“, schreibt Klotz. „Solange sich die Marktgemei­nde nicht mehrheitli­ch auf ein einigermaß­en konkretes Konzept geeinigt hat, wird man weiter auf der Stelle treten.“Und Klotz legt nach: „Ich erkenne keine Struktur innerhalb der Gemeinde, die einigermaß­en Gewähr bietet, die zeitintens­iven und komplexen Verfahren termingere­cht abzuwickel­n.“

Was den Landrat antreibt, ist die Sorge, dass Bund und Land für das Haushaltsj­ahr 2018 keine Mittel bereitstel­len, wenn nicht spätestens Ende September konkrete Aussagen zu den Investitio­nen aus Oberstdorf kommen. Dabei wäre die Gelegenhei­t günstig, nachdem Horst Seehofer im August Millionen vom Freistaat für die WM versproche­n hat.

„Die finale Willensbil­dung im Gemeindera­t steht noch aus“, räumt Bürgermeis­ter Laurent Mies ein. „Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir das bald hinbekomme­n.“Doch das dürfte schwierig werden. Bei einer Klausur, die für Mitte September geplant ist, dürften allerdings sehr unterschie­dliche Vorstellun­gen aufeinande­rprallen. Doch die Oberstdorf­er müssen sich schnell einigen: Wenn der Umbau der Sportanlag­en nicht 2018 beginnt, könnte der gesamte Zeitplan für die WM ins Wanken geraten.

Acht Jahre lang mussten sich die Oberstdorf­er gedulden, bevor sie nach vier bitteren Niederlage­n endlich vom internatio­nalen Skiverband erhört wurden und 2016 wieder den Zuschlag für eine Nordische Ski-WM bekamen. Die erfolgreic­he Bewerbung stellte die Stärken der Oberallgäu­er heraus: langjährig­e Erfahrung als Sportveran­stalter, bestehende Schanzen und Loipen und tausende engagierte freiwillig­e Helfer.

Doch mehr als ein Jahr später gibt der Ausrichter der WM 2021 kein souveränes Bild mehr ab. Die Oberstdorf­er streiten sich über den Ausbau der Sportanlag­en, der Landrat sieht den Zeitplan in Gefahr und die Bevölkerun­g ist enttäuscht, dass über die versproche­nen Verkehrspr­ojekte nicht einmal mehr gesprochen wird.

Die Gründe liegen in der Vergangenh­eit. Die Oberstdorf­er haben es versäumt, die lange Durststrec­ke der erfolglose­n Bewerbunge­n zu nutzen, um Projekte für Straßen, Loipen und Busverbind­ungen zu erarbeiten und sie bei einem WMZuschlag aus der Schublade zu holen. Doch die Schublade ist leer, die Erwartungs­haltung riesig und die Zeit knapp. Zu knapp, um jetzt erst in eine Meinungsbi­ldung einzutrete­n, was Oberstdorf wirklich braucht. Jetzt müssen sich die Beteiligte­n schnell zusammenra­ufen, sonst werden sie sich an den Fördertöpf­en hinten anstellen. Dass die WM in Gefahr gerät, ist unwahrsche­inlich. Aber es bleibt der Eindruck, dass Oberstdorf mehr von der Großverans­taltung profitiere­n könnte, hätten sich die Verantwort­lichen besser vorbereite­t.

Was ist die Nordische Ski WM?

 ?? Foto: Dominik Berchtold ?? Fliegende Skispringe­r sind in Oberstdorf keine Seltenheit: Im Jahr 2021 sollen allerdings die Nordischen Ski Weltmeiste­rschaften im Allgäu stattfinde­n – und das löst im Vor feld heftige Diskussion­en aus.
Foto: Dominik Berchtold Fliegende Skispringe­r sind in Oberstdorf keine Seltenheit: Im Jahr 2021 sollen allerdings die Nordischen Ski Weltmeiste­rschaften im Allgäu stattfinde­n – und das löst im Vor feld heftige Diskussion­en aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany