Allgäuer Flug ins Ungewisse
In fünf Jahren soll die Nordische Ski-WM in Oberstdorf stattfinden. Doch mit dem Zuschlag kamen die Probleme. Jetzt droht der Zeitplan zu platzen. Das hätte erhebliche Folgen
Ein „Wintermärchen“wollen die Oberstdorfer im Jahr 2021 erzählen, wenn dort die Nordische Ski-WM ausgetragen wird. Die Medien sollen stimmungsvolle Bilder der Titelkämpfe in alle Welt senden und so für die Tourismusregion werben. Die Euphorie war groß, als Oberstdorf nach vier erfolglosen Bewerbungen 2016 den Zuschlag bekam. Doch von diesem Gefühl ist im Ort nicht mehr viel zu spüren. Denn so groß wie die Freude war auch die Erwartungshaltung, die Infrastruktur könnte im Zuge der Titelkämpfe ausgebaut werden. Die angespannte Verkehrssituation sollte verbessert werden, ein Gemeinderat träumte sogar von einem Tunnel vom Ortsrand ins Zentrum.
Doch als das erste Bauprogramm im April präsentiert wurde, trat Ernüchterung ein: Die lang ersehnten Verkehrsprojekte fehlten, dafür wurde allein für Skisprungarena und Langlaufstadion ein Investitionsbedarf von 49,5 Millionen Euro kalkuliert. Mehr Geld, als vor der letzten WM in Oberstdorf im Jahr 2005 für neue Sportanlagen bezahlt wurde. Inzwischen wurde das Volumen auf etwa 38,5 Millionen Euro reduziert, aber eine allgäuweite Diskussion über die Kosten war losgetreten. Zumal Oberstdorf zu den am meisten verschuldeten Gemeinden Bay- erns zählt – Ende dieses Jahres hat die Kommune voraussichtlich Verbindlichkeiten in Höhe von rund 50 Millionen Euro angehäuft, was einer Pro-Kopf-Verschuldung von 5200 Euro entspräche. Daher soll nach Ansicht der Gemeinde neben Bund und Land auch der Landkreis bei der WM mitzahlen.
Die Oberallgäuer Grünen forderten eine nachhaltige und ökologische WM auf bestehenden Anlagen. Und in Oberstdorf geht die Sorge um, das Langlaufstadion im Ried könnte zu stark verbaut werden. Die Oberstdorfer wollen keine festen Tribünen auf dem Gelände, auf dem im September auch der Viehscheid stattfindet. Ein „groß angelegtes Langlaufstadion“lehnen die Gemeinderäte Martin Rees und Josef Dornach in einem Brief an den Bürgermeister ab. Stattdessen for- dern sie Zukunftsprojekte wie ein schadstofffreies System für den öffentlichen Personennahverkehr und die Lösung von Verkehrsproblemen. Für weitere Diskussionen sorgt die für den Tourismus wichtige Beschneiung der Loipen bis an den Ortsrand. Das Projekt, das die Grünen ablehnen und die Oberstdorfer CSU fordert, steht auf der Kippe, weil die Erlaubnis von fast 60 Grundbesitzern eingeholt werden müsste.
Landrat Anton Klotz hat die Geduld mit den Oberstdorfern mittlerweile verloren und fordert sie in einem Brief auf, den Prozess zur WM-Vorbereitung „aktiv und konstruktiv zu begleiten“. In dem Schreiben übt Klotz deutliche Kritik: „Die politischen Vorstellungen, welche Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der WM insbesondere im Langlaufbereich umgesetzt werden sollen, sind alles andere als erkennbar“, schreibt Klotz. „Solange sich die Marktgemeinde nicht mehrheitlich auf ein einigermaßen konkretes Konzept geeinigt hat, wird man weiter auf der Stelle treten.“Und Klotz legt nach: „Ich erkenne keine Struktur innerhalb der Gemeinde, die einigermaßen Gewähr bietet, die zeitintensiven und komplexen Verfahren termingerecht abzuwickeln.“
Was den Landrat antreibt, ist die Sorge, dass Bund und Land für das Haushaltsjahr 2018 keine Mittel bereitstellen, wenn nicht spätestens Ende September konkrete Aussagen zu den Investitionen aus Oberstdorf kommen. Dabei wäre die Gelegenheit günstig, nachdem Horst Seehofer im August Millionen vom Freistaat für die WM versprochen hat.
„Die finale Willensbildung im Gemeinderat steht noch aus“, räumt Bürgermeister Laurent Mies ein. „Aber ich bin guter Hoffnung, dass wir das bald hinbekommen.“Doch das dürfte schwierig werden. Bei einer Klausur, die für Mitte September geplant ist, dürften allerdings sehr unterschiedliche Vorstellungen aufeinanderprallen. Doch die Oberstdorfer müssen sich schnell einigen: Wenn der Umbau der Sportanlagen nicht 2018 beginnt, könnte der gesamte Zeitplan für die WM ins Wanken geraten.
Acht Jahre lang mussten sich die Oberstdorfer gedulden, bevor sie nach vier bitteren Niederlagen endlich vom internationalen Skiverband erhört wurden und 2016 wieder den Zuschlag für eine Nordische Ski-WM bekamen. Die erfolgreiche Bewerbung stellte die Stärken der Oberallgäuer heraus: langjährige Erfahrung als Sportveranstalter, bestehende Schanzen und Loipen und tausende engagierte freiwillige Helfer.
Doch mehr als ein Jahr später gibt der Ausrichter der WM 2021 kein souveränes Bild mehr ab. Die Oberstdorfer streiten sich über den Ausbau der Sportanlagen, der Landrat sieht den Zeitplan in Gefahr und die Bevölkerung ist enttäuscht, dass über die versprochenen Verkehrsprojekte nicht einmal mehr gesprochen wird.
Die Gründe liegen in der Vergangenheit. Die Oberstdorfer haben es versäumt, die lange Durststrecke der erfolglosen Bewerbungen zu nutzen, um Projekte für Straßen, Loipen und Busverbindungen zu erarbeiten und sie bei einem WMZuschlag aus der Schublade zu holen. Doch die Schublade ist leer, die Erwartungshaltung riesig und die Zeit knapp. Zu knapp, um jetzt erst in eine Meinungsbildung einzutreten, was Oberstdorf wirklich braucht. Jetzt müssen sich die Beteiligten schnell zusammenraufen, sonst werden sie sich an den Fördertöpfen hinten anstellen. Dass die WM in Gefahr gerät, ist unwahrscheinlich. Aber es bleibt der Eindruck, dass Oberstdorf mehr von der Großveranstaltung profitieren könnte, hätten sich die Verantwortlichen besser vorbereitet.
Was ist die Nordische Ski WM?