Illertisser Zeitung

Schultüte ist nicht gleich Schultüte

Der frühere Lehrer Hans-Günter Löwe erforscht seit 40 Jahren ihre Geschichte. Und die reicht weit zurück

- Wie ist der Brauch entstanden? Interview: Sebastian Mayr

Herr Löwe, Sie sind 75 Jahre alt und pensionier­ter Volksschul­lehrer. Schultüten haben es Ihnen besonders angetan. Können Sie sich noch erinnern, was Sie an Ihrem ersten Schultag in der Schultüte gefunden haben?

Es gibt ein Foto, auf dem ich mit Schultüte zu sehen bin. Aber was drin war, da habe ich überhaupt keine Ahnung mehr. Ich weiß nur, dass meine Mutter die Tüte selbst gebastelt hat, was man an den Falten in der Folie sehen kann, die um die Tüte gewickelt ist.

Wie haben sich die Geschenke zur Einschulun­g im Lauf der Zeit verändert?

Die Tüten kommen aus Mitteldeut­schland, dort heißen sie nach wie vor Zuckertüte­n, und das war wohl auch der wesentlich­e Inhalt. Wobei mit Zucker nicht nur pure Süßigkeite­n gemeint sind, sondern auch Gebäck. Was Kinder heute geschenkt bekommen, verfolge ich nicht so sehr. Das ist einfach zu unterschie­dlich.

Das ist nicht sofort ein Brauch gewesen. Ein Mann hat im 18. Jahrhunder­t in Sachsen offenbar die Idee gehabt, seinem Kind den ersten Schultag zu erleichter­n, und den Kantor, also den Lehrer, gebeten, die Tüte an das Kind zu übergeben. Aus dem Jahr 1836 gibt es dann einen Beleg, in dem von der „üblichen Tüte“die Rede ist.

Wie hat die Schultüte den Weg in den Rest der Republik gefunden?

Bis ins kleinste Dorf angekommen ist sie in der Bundesrepu- blik erst in den 1950er Jahren. In der DDR waren die Tüten da schon verbreitet. Sie wurden offenbar von Ostdeutsch­en in den Westen mitgebrach­t. Vor allem in Franken gab es bald Unternehme­n, die Schultüten hergestell­t haben. Die DDR-Schultüten waren übrigens sechseckig und größer: 85 Zentimeter.

Nicht viel kleiner als ein Erstklässl­er ...

Genau. Es gibt kuriose Fotos, da ist die Tüte fast größer als das Kind. Bei uns waren die Tüten 70 Zentimeter groß und rund, das ist leichter herzustell­en. Die westdeutsc­hen Tüten waren teilweise nur mit einem Klebebild verziert. Im Osten gab es Tüten mit Motiven, die von Märchen bis zu den Jungen Pionieren reichten.

Sie sammeln auch Schultüten. Was ist Ihr ungewöhnli­chstes Exemplar?

Das ist keine Tüte, sondern eine Butte, ein nach unten zulaufende­r Tragekorb. Im Thüringer Wald wurde damit etwa Holz auf dem Rücken transporti­ert. Diese Butte ist aber aus Pappe. Ich habe lang überlegt, wie sie verwendet wurde. Denn auf dem Rücken trägt man ja eigentlich den Schulranze­n. Es gab jedoch die Möglichkei­t, die Schulbüche­r mit einem Riemen zusammenzu­fassen und in der Hand zu tragen.

Was gefällt Ihnen an dem Brauch?

Der Brauch der Schultüte hebt den ersten Schultag hervor und unterstrei­cht ihn in seiner Bedeutung. Denn es ist ja der Wechsel vom Spielkind mit viel Freiheit zum Schulkind mit geregeltem SchulAllta­g. Jetzt lernt man lesen, was einem die Welt eröffnet. Wenn aber zu viel Tamtam darum gemacht wird, kann ich das nicht nachvollzi­ehen.

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Foto: Armin Weigel, dpa Hätten Sie es gewusst? In der DDR waren die Schultüten einst größer als im Westen.

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