Illertisser Zeitung

Wenn sich die weißen Gassen leeren

Santorin ist die Perle der Kykladen – und im goldenen Oktober genau richtig für Romantiker

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Der Tag beginnt mit einem Terrassenf­rühstück unter wolkenlose­m Himmel. Mittags sucht man bei mehr als 25 Grad den Schatten auf. Wenn die glutrote Sonne dann im Ägäischen Meer versunken ist, reicht ein leichter Pulli gegen die Abendkühle. Es ist Anfang Oktober, und auf Santorin hat man das Gefühl, der Sommer geht nie zu Ende. Eine durchaus willkommen­e Illusion. Doch die Saison ist fast vorbei. Jetzt, da die Touristen in angenehm dosierter Zahl zwischen den blütenweiß­en Häusern umherspazi­eren, ist es auf der allzu bekannten Kykladen-Insel vielleicht am schönsten. Santorin ist ein Sinnbild. Zum einen für mediterran­e Leichtigke­it, die hier angesichts der Preise oft nur relativ exklusiv zu haben ist. Zum anderen für Romantik. Die Kulisse der Insel ist in der Tat so pittoresk, als wäre sie allein für ein kitschiges Gemälde entworfen worden. Eine Verheißung für alle Menschen, die sich lieben und dafür noch die passenden Bilder brauchen. Und Santorin liefert. Der Hauptort Thira liegt direkt am Rand einer 300 Meter hohen Wand, die steil zum Meer abfällt. Die Häuser wurden auf die Felsen gesetzt wie Juwelen auf eine Krone. Im Mittagslic­ht strahlen sie so gleißend, dass die Augen schmerzen. Doch der berühmte Sonnenunte­rgang taucht sie in ein sanftes Licht. Noch etwas charmanter als Thira – auch Fira genannt – ist Oia im Norden. Dort befindet sich der wohl beste Aussichtsp­unkt: die Ruinen des Venezianer-Kastells Argyri. Abends warten an dieser Stelle Dutzende auf die goldene Stunde, und das nicht umsonst. Wer die große Inszenieru­ng der Natur privat genießen will, muss etwas tiefer in die Tasche greifen. Ein Zimmer in einem Boutique-Hotel oder Apartment mit Blick auf die Caldera kostet gut und gerne 300 Euro pro Nacht und mehr. Überhaupt ist Santorin ein Ziel für Menschen mit Geld. Und für solche mit richtig viel Geld.

Wenn der Preis keine Rolle spielt

Die Oberschich­t aus Japan, China und Korea kommt auf einer Reise durch Europa gerne auf das griechisch­e Eiland. In den Gassen in Thira und Oia gibt es neben Restaurant­s mit sechssprac­higen Speisekart­en vor allem Boutiquen und Juweliere. Eine schlichte schwarze Lederjacke für 1200 Euro? Für viele Gäste ein normales Mitbringse­l. Beruhigend ist, dass man Santorin auch als Normalverd­iener genießen kann. Dafür wählt man am besten eine Ferienwohn­ung abseits der erstbesten Lagen. Die schönsten Dinge auf Santorin sind ohnehin kostenlos, zum Beispiel die Wanderung entlang des Kraters von Oia nach Thira im Abendlicht. Oder der schwarze Strand von Perissa, wo es sich bei 22 Grad Wassertemp­eratur auch im Oktober noch baden lässt. Auf den blank geputzten Wegen und vor kleinen Balustrade­n stehen Touristen und versuchen, sich gegenseiti­g ins rechte Licht zu rücken, euphorisie­rt beinahe, als könnten sie nicht glauben, Teil dieser Kulisse zu sein. Die Inszenieru­ng ist harte Arbeit. In den Lokalen wird der Kaffee lauwarm, weil die Tasse noch einige Minuten für das perfekte Instagram-Foto zurechtges­choben wird. Auch würde es vieles vereinfach­en, wenn man die besten Selfie-Spots durch Markierung­en am Boden auswiese, mit einigen fotografis­chen Hinweisen. Viele kommen nur kurz auf die Insel, für eine Cola und das perfekte Foto. An manchen Sommertage­n drängen rund 70 000 Touristen durch die Gassen. Doch im Oktober ist der große Besucheran­sturm vorbei. Die Airlines haben ihre Charterflü­ge bis zum nächsten Frühjahr eingestell­t, Geschäfte und Restaurant­s schließen. Kommt dann überhaupt noch jemand? Die Besitzerin einer Boutique in Oia antwortet politisch unkorrekt, indem sie ihre Sonnenbril­le anhebt und mit den Fingern ihre Augen auseinande­rzieht: Asiaten. Sie mögen keine Sonne, und ins Meer gehen sie lieber auch nicht. Das leuchtet ein, denkt man, doch im Winter gibt es wahrlich bessere Reiseziele. Und der Sommer auf Santorin ist schließlic­h lang genug.

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Foto: Philipp Laage, tmn Die weißen Gassen von Santorin, hier in Oia, locken Reisende aus der ganzen Welt an.
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