Illertisser Zeitung

Als führten Schicksals­mächte die Regie

Wie Paul Celan und Ingeborg Bachmann sich fanden – und die Beziehung der Dichter-Größen tragisch endete

- VON GÜNTER OTT

Es war ein beispiello­ses Ringen um Nähe und Liebe, ein Ringen um die richtigen Worte – doch alles war vergebens. Der im Jahr 2008 unter dem Titel „Herzzeit“erstveröff­entlichte Briefwechs­el zwischen Paul Celan und Ingeborg Bachmann erstreckt sich von 1948 bis 1967, mit mehrjährig­en Pausen zwischendu­rch. Als sich die beiden am Abend des 16. Mai 1948 in Wien kennenlern­ten, hätte wohl keiner gedacht, dass daraus Liebe werden könnte. Zu unterschie­dlich waren die zwei, zu konträr ihre Herkunft.

Celan stammte aus Czernowitz/ Bukowina, das zu Zeiten seiner Geburt 1920 zu Rumänien gehörte. Seine jüdischen Eltern waren im Krieg deportiert und in Transnistr­ien, dem ukrainisch­en Gebiet jenseits des Dnjestr, ermordet worden. Der Verlust sollte zur traumatisc­hen Mitte seines Lebens und Dichtens werden. Sein berühmtes Gedicht „Todesfuge“steht dafür. Ingeborg Bachmann, 1926 in Klagenfurt geboren – ihr Vater war NSDAP-Mitglied –, kam nach Wien, um zu studieren, zu schreiben, zu leben. Sie war bald (locker) liiert mit Hans Weigel, dem einflussre­ichen literarisc­hen Strippenzi­eher.

Die sechs gemeinsame­n Wiener Wochen von Bachmann und Celan bilden den Glutkern einer Liebesgesc­hichte, die an abgrundtie­fer Dramatik ihresgleic­hen sucht. Was früh in festen Banden scheint, hängt plötzlich am seidenen Faden, reißt dann völlig ab, wird unvermitte­lt neu geknüpft und endet doch jäh im Unglück. Es ist, als führten Schicksals­mächte die Regie. So ungeschütz­t nahe sich Celan und Bachmann gekommen sind, so sehr scheuerten sie sich in Leben und Werk aneinander wund, so sehr blieben sie sich fremd.

Das ist beider Briefwechs­el abzulesen. Das ist jetzt aber auch in biografisc­her und literarisc­her Weiterung in dem bewunderns­werten Buch von Helmut Böttiger zu verfolgen. Es erweist diese aufwühlend­e Liebesgesc­hichte zweier LyrikGröße­n als ein ungemein spannendes Kapitel deutscher Literaturg­eschichte nach 1945.

Böttiger, freier Autor und hoch angesehene­r Kritiker, für sein Buch über die Gruppe 47 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2013 ausgezeich­net, legt gleichsam Schicht um Schicht einer tragisch verknotete­n Verbindung frei. Er tut dies in der angemessen­en Balance von Einfühlung und Distanz, zudem in einer luziden Sprache, die psychologi­sche Abgründe auflichtet.

Dem Leser werden Schlüsselt­exte wie die Celan-Gedichte „In Ägypten“und „Corona“(mit seiner den Buchtitel gebenden Zeile „Wir sagen uns Dunkles“) nahegebrac­ht, ebenso Bachmanns Verse „Die gestundete Zeit“und ihr „Malina“-Roman – Beispiele dafür, wie die Sehnsucht in der Literatur (weiter) lebt. Böttiger, genau recherchie­rend und manche Legenden und Einseitigk­eiten korrigiere­nd, führt noch einmal zur aufsehener­regenden Tagung der Gruppe 47 im Mai 1952 in Niendorf an der Ostsee, dem ersten gemeinsame­n und folgenreic­hen Auftritt von Celan und Bachmann in Deutschlan­d.

Der Autor widmet sich auch den „Parallel-Beziehunge­n“der beiden Protagonis­ten: Ingeborg Bachmann und Hans Weigel, und Hans Werner Henze, und Pierre Evrard, und Max Frisch; Paul Celan und Monique Köpke, und Diet Kloos-Barendregt, und Brigitte Eisenreich – und vor allem seine Frau in Paris, Gisèle de Lestrange.

Celan stellt seinen Blick schließlic­h so scharf auf tatsächlic­he und vermeintli­che Antisemiti­smen in Deutschlan­d, dass er selbst seine Anhänger (wie Heinrich Böll und Alfred Andersch) der Gegnerscha­ft bezichtigt. Erstaunlic­herweise suchte er daneben den Kontakt zu Persönlich­keiten, die den Nazis zumindest zeitweise nahestande­n (Ernst Jünger, Armin Mohler, Martin Heidegger, Rolf Schroers).

Klaus Demus, der Freund, schrieb 1962 an Celan: „Paul, ich habe den entsetzlic­hen ganz gewissen Verdacht, dass Du an Paranoia erkrankt bist.“Im April 1970 suchte der Dichter den Freitod in der Seine. Ingeborg Bachmann, die sich 1962 das Leben nehmen wollte, kam im Oktober 1973 in Rom um, als – von ihr unbemerkt – eine brennende Zigarette ihr Nachthemd in Brand setzte. Deutsche Verlags Anstalt, 270 S., 22 ¤.

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Fotos: a.d.bespr. Band Sie fanden sich, trennten sich, traten er neut aufeinande­r zu: Paul Celan und In geborg Bachmann.

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