Illertisser Zeitung

300 Leute stehen Schlange, um abzuheben

Die Lufthansa sucht bei einem Casting in Ulm potenziell­e Flugbeglei­ter. Zwei junge Frauen erzählen, wie sie den vierstündi­gen Bewerbungs­marathon im Maritim-Hotel erlebt haben

- VON CAROLIN OEFNER

Willkommen an Bord: Wer diese Worte hört, hat es geschafft. Er oder sie wird Flugbeglei­ter bei der Lufthansa. Doch bis es so weit ist, vergeht viel Zeit mit Warten und Anspannung, Tests und Bangen.

Die Lufthansa sucht derzeit deutschlan­dweit und in Österreich Flugbeglei­ter – und zwar auf ungewöhnli­che Art. Die Firma lädt potenziell­e Stewards und Stewardess­en zum Casting ein. Mit dem ungewöhnli­chen Format erhofft sich der Konzern, unterschie­dliche Bewerber-Typen zu erreichen. Und setzt auch auf den spontanen Teilnehmer, wie Pressespre­cher Jörg Waber erklärt. „Offenheit und Flexibilit­ät sind für den Beruf wichtig.“Lufthansa castet in Salzburg, in Nürnberg und am vergangene­n Samstag in Ulm. Ab 9 Uhr soll es im Foyer des Maritim-Hotels losgehen, die ersten Bewerber sind über zwei Stunden vorher da. Nur eine gewisse Zahl bekommt die Chance, sich zu beweisen. First come, first served – wer zuerst kommt, ist als Erster dran. Als die Türen um Punkt 9 Uhr aufgeschlo­ssen werden, drängen die Wartenden hinein. Draußen ist es an diesem Samstagmor­gen in Ulm kalt und windig, in Röcken und leichten, hochhackig­en Schuhen frieren viele. Céline Palesch und Ann-Christin Roß haben Glück. Sie kommen zügig nach drinnen und fangen an, die erste Hürde in Angriff zu nehmen: die Selbstausk­unft. Das Praktische am Casting: Außer dem Personalau­sweis müssen die Bewerber nichts mitbringen und sich auch nicht anmelden.

In der Selbstausk­unft werden die persönlich­en Daten angegeben. Céline ist 24 Jahre alt und arbeitet als Erzieherin. Ann-Christin ist 19, sie war nach dem Abitur einige Monate in Australien. Beide sind weite Strecken gefahren, um hier teilzunehm­en. Céline kommt aus Offenbach bei Frankfurt, Ann-Christin aus Erwitte in Nordrhein-Westfalen. Beide sind schon am Vortag nach Ulm gefahren und haben übernachte­t, um pünktlich zu sein. „Ich hab heute Nacht dreimal geträumt, dass ich verschlafe­n habe“, erzählt Céline. Sie wäre „sehr enttäuscht“, wenn es heute nicht funktionie­ren würde.

Doch was reizt die Leute überhaupt, Flugbeglei­ter zu werden? Für die beiden Frauen ist das ganz klar: Sie wollten schon immer Stewardess werden. „Seit meinem ersten Flug mit vier Jahren ist das mein Traum“, sagt Céline. Ähnlich wie Erzieherin sei Flugbeglei­terin außerdem ein sozialer Beruf und das mache ihr Spaß. „Damals mit 18 fühlte ich mich aber noch nicht reif genug.“Die Lufthansa ist ihr Favorit, sie vermittelt „ein Stück Heimat“, wie Céline es ausdrückt. Beide Frauen haben sich vorher Videos über den Alltag einer Stewardess angesehen und sich ausführlic­h vorbereite­t. Es soll an diesem Tag nicht an Kleinigkei­ten scheitern. So wie an der Selbstausk­unft, die nicht leicht auszufülle­n ist. Größe und Gewicht erfüllen beide. 1,60 bis 1,95 Meter groß muss man sein und ein „angemessen­es Körpergewi­cht“haben. Ann-Christin ist 1,80, Céline gute 15 Zentimeter kleiner. Beide sind schlank. Aber: „Wir wollen keine Modepüppch­en, sondern Leute, die sich im Notfall auch durchsetze­n können“, sagt Waber.

Wichtig ist, wie es um die Englischke­nntnisse steht. Oder: Tragen Sie ein Piercing oder Tattoos? „Was kreuzt ihr da an, fortgeschr­itten oder fließend Englisch?“, fragt Ann-Christin in die Runde. Und: „Gebt ihr an, dass ihr ein Piercing habt, obwohl man es nicht sieht?“Ann-Christin entschließ­t sich, auf Nummer sicher zu gehen, sie hat eines am Bauchnabel. Das stört aber nicht, raus müssen nur sichtbare Piercings. Mit der Selbstausk­unft geht es zum „Check-in“, dem ersten Punkt im Casting-Ablauf. Dort prüfen Mitarbeite­r, ob die Grundvorau­ssetzungen erfüllt werden. Céline hat „fortgeschr­ittenes Englisch“angekreuzt und wird direkt auf Englisch gefragt, ob sie wisse, dass die Mehrzahl der Fluggäste Englisch spreche. Céline ist aufgeregt und verhaspelt sich ein wenig, dennoch darf sie weiter. Auf sie wartet Punkt zwei, das „Pre-Screening“, ein Gespräch überwiegen­d auf Englisch. Andere kommen erst gar nicht richtig ins Maritim-Foyer hinein, sie sprechen zu schlecht Englisch. Heulend laufen sie raus.

Wie Pressespre­cher Waber hinterher erzählt, haben sich insgesamt 315 Leute in Ulm beworben, von denen 65 an der ersten Hürde gescheiter­t sind. Die übrigen 250 Kandidaten sammeln sich im Foyer und warten in aufgebaute­n Stuhlkreis­en, bis es weitergeht. Die Wartezeit gibt vielen Anlass, an sich zu zweifeln. „Ich wäre todunglück­lich und weiß nicht, was ich sonst machen soll“, sagt Ann-Christin. Obwohl ihre Eltern sich schon wünschen, dass sie studiert. Etwas Festes eben, denn Flugbeglei­terin sei ja keine richtige Ausbildung. Schließlic­h werden die Frauen von Lufthansa-Mitarbeite­rn zum Gespräch abgeholt. Ann-Christin unterhält sich dort auf Englisch über ihre Zeit in Australien, wie der Alltag ablief und welches landestypi­sche Essen sie mag. Nach dem Gespräch heißt es wieder warten.

Lufthansa-Mitarbeite­r Rüdiger Lau überbringt dann das erste Ergebnis. Gruppenwei­se werden die Kandidaten aufgerufen und manche nach dem ersten Teil nach Hause geschickt. Céline und Ann-Christin dürfen in die nächste Runde: zum Psychologe­ngespräch.

Die Freude ist groß, die beiden strahlen und hüpfen umher – ein wenig wie bei Germany’s next Topmodel. „Wir bekommen keine Höchstgren­ze vorgegeben“, sagt Sprecher Waber.

Die Psychologe­n, die die Bewerber im nächsten Schritt testen, sind unabhängig und extra für diesen Tag gebucht. Eine halbe Stunde dauert das Gespräch, dort soll geprüft werden, ob die Bewerber geeignet sind, den Beruf eine längere Zeit auszuüben. Céline wird gefragt, wie sie bei störenden Kindern handeln würde: Kopfhörer anbieten, um etwas Ruhe bitten, sagt sie. Und hat nach dem Gespräch ein gutes Gefühl. Im Gegensatz zu AnnChristi­n, die sich vom Psychologe­n eingeschüc­htert fühlt. Nach dem Gespräch wandern die Teilnehmer in den letzten Stuhlkreis für diesen Tag. Dort wird verkündet, wer die zwölfwöchi­ge Schulung zum Flugbeglei­ter bei Lufthansa absolviere­n darf. Von den 315 Bewerbern in Ulm sind rund 80 dabei, sagt Waber.

Im Stuhlkreis wird es spannend gemacht. Céline und Ann-Christin denken im ersten Moment, dass es nicht gereicht hat. Die erlösenden Worte „Willkommen an Bord“werden gut versteckt überbracht – wie in Castings üblich. Dann strahlen beide, sie sind dabei. Als Beleg gibt es ein auf ihren Namen ausgestell­tes Flugticket. Und auch ein Foto – mit Lufthansa-Flugbeglei­tern, den zukünftige­n Kollegen also. Stolz posieren die beiden Frauen vor einer Fotowand, auf der die Brooklyn Bridge in New-York zu sehen ist. Dort wollen sie auch bald hin – beruflich, versteht sich.

Fließendes Englisch, keine sichtbaren Piercings

 ?? Fotos: Andreas Brücken ?? Mehr als 300 Leute haben in Ulm am Casting der Lufthansa teilgenomm­en. Sie alle wollen Flugbeglei­ter bei dem Konzern werden – doch der Weg bis dahin ist anstrengen­d.
Fotos: Andreas Brücken Mehr als 300 Leute haben in Ulm am Casting der Lufthansa teilgenomm­en. Sie alle wollen Flugbeglei­ter bei dem Konzern werden – doch der Weg bis dahin ist anstrengen­d.

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