Sensationsfunde: Illertissen ist älter als gedacht
Bei den Grabungen in den Vöhlinstraße haben Archäologen Unerwartetes entdeckt: Sie stießen auf eine Badeanlage aus der Römerzeit. Das hat Folgen: So muss nun wohl die Ortschronik umgeschrieben werden
Die Chroniken der Stadt müssen wohl umgeschrieben werden: Illertissen ist älter als bislang vermutet. Das haben Archäologen bei Grabungen auf einem Grundstück an der Vöhlinstraße herausgefunden. Dabei entdeckten sie Reste einer Villa aus römischer Zeit samt einer Bäderanlage. Das bedeutet: Die Vöhlinstadt gibt es (mindestens) 400 bis 500 Jahre länger als angenommen. Denn Spuren der alten Römer waren bislang noch nicht gefunden worden: Die ältesten historischen Belege datierten aus dem frühen Mittelalter (genauer gesagt: aus der Zeit um das 6. und 7. Jahrhundert) – sind also erheblich jünger. Das alles gab das Landesamt für Denkmalpflege gestern vor Ort bekannt: Und damit eine „ziemliche Überraschung“, wie Ruth Sandner, die Gebietsreferentin der Behörde sagt. „Das ist für uns ein völlig neuer Aspekt.“
Von einer „mittleren Sensation“spricht denn auch Archäologe Fabian Hopfenzitz, der die Grabungen im Auftrag einer Spezialfirma geleitet hat. Die Untersuchungen hatten, wie berichtet, Ende Juni begonnen. Der Hintergrund: Investoren wollen auf dem Areal zwei Häuser mit 15 Wohnungen und eine Tiefgarage errichten. Das Baugebiet liegt in einem Areal, in dem nach Einschätzung des Landesamts mit Bodendenkmälern aus dem Mittelalter oder der frühen Neuzeit zu rechnen ist – weshalb vorsorglich angeordnet wurde, die Arbeiten von Archäologen begleiten zu lassen. Aus Sicht der Geschichtshüter völlig zu Recht, wie sich zeigte: So wurden die Reste des einstigen römischen Herrenhauses entdeckt. Allerdings erst nach einiger Zeit. Die Grabungen begannen im Osten des Grundstücks, die Fundstelle befindet sich im Nordwesten. Schicht für Sicht wurde der Boden abgetragen, schildert Archäologe Hopfenzitz die Vorgehensweise. „Solange bis man auf den Grund stößt, oder auf historische Befunde.“Zunächst hieß es an der Vöhlinstraße jedoch: Fehlanzeige.
Zwei Drittel des Baugeländes seien frei von historischen Spuren, so Hopfenzitz. Doch das letzte Drittel hatte es in sich: „Auf einmal ging es los“, sagt der Archäologe. Verfärbungen im Boden hätten darauf hingedeutet, dass dort einst Menschen bestattet worden sein könnten – so wie im Umfeld der heutigen Apothekerstraße, wo vor einigen Jahren jahrhundertealte Gräber entdeckt worden waren. Deshalb schauten die Experten genauer hin.
Sie hoben eine Grube mit einer Fläche von zehn mal zehn Metern aus und stießen dabei auf Anhaltspunkte für alte Baustrukturen – weitaus betagtere als der Bauernhof, der dort einst stand. Zum Vorschein kamen Ziegelsteine aus römischer Zeit, Tonscherben sowie Teile von Mauern und von einem Fußbodenbelag. Die geschulten Augen erkannten: Es handelte sich um eine Badeanlage aus römischer Zeit. Diese konnte durch warme Luft beheizt werden, über Hohlräume im Boden und in den Wänden (genannt: Hypokaustum). Das Ganze gehörte wohl zu einer „Villa Rustica“, einem Landgut. Solche wurden damals oft von altgedienten Soldaten der römischen Armee bewohnt und bewirtschaftet. Die Anlage könnte sich nach vorliegenden Erkenntnis- wohl einst über eine Fläche von drei bis vier Hektar erstreckt haben. Weitere Teile des Anwesens, das aus dem 2. oder 3. Jahrhundert (nach Christus) stammen soll, werden daher den Häusern in der Nachbarschaft vermutet, hieß es.
Es wurden lediglich Reste gefunden, betont Hopfenzitz, und nicht etwa komplette Strukturen. Denn nach den Römern hatten sich wohl frühmittelalterliche Siedler über die Gebäude hergemacht und sie Stein für Stein abgebaut. Mutmaßlich zugunsten eigener Vorhaben, sagt Hopfenzitz. Die Region sei arm an natürlichen Steinvorkommen.
Neben dem Badehaus wurden auch Spuren eines Brunnens gefunden. Jener könnte die Anlage einst mit Frischwasser gespeist haben. Und die Scherben stammen möglicherweise aus dem Tafelgeschirr der Villenbewohner.
Zudem wurden neun Bestattungsstellen offengelegt. Die Knochen kommen nun in die anthropologische Sammlung des Freistaats, Beigaben wie etwa Schmuck wurden nicht gefunden. Die Gräber könnten jünger sein, als die Villa, hieß es.
Als einmalig im Landkreis bezeichnet Kreisarchäologe Richard Ambs den Fund des alten Bades: „So etwas haben wir nicht einmal in Kellmünz“, sagt er mit Blick auf den archäologischen Park Caelius Mons. Geht es nach Ambs, dann sollen die Erkenntnisse aus den Illertisser Grasen bungen demnächst in historischen Beiträgen veröffentlicht werden. Diese Dokumentationen werden die einzigen sichtbaren Spuren der Fundstelle bleiben. Sie wird nun mit Erde bedeckt, das dort geplante Bauprojekt dann umgesetzt.
Die Investoren müssen die Grabungen laut Gesetz bezahlen – grundsätzlich bis zu einer Summe von 15 Prozent der Baukosten, war zu erfahren. Man rechne mit einem „mittleren fünfstelligen Betrag“, sagt Ralf Kropf, einer der beiden Unternehmer. Die Ausgaben seien nicht eingeplant gewesen. „Aber ändern können wir das auch nicht.“Beim Kauf des Grundstücks habe man die Information erhalten, dass „kein Denkmalschutz“bestehe. Um den Boden war es dabei offensichtlich nicht gegangen.
Siedler bauten die Villa Stein für Stein ab