Illertisser Zeitung

Beim FC Bayern fliegen die Fetzen

Trotz eines 3:0-Auftaktsie­ges kehrt in München keine Ruhe ein. Nicht nur der Fehler behaftete und lustlose Auftritt trübt die Stimmung. Robben spricht Klartext

- VON JOHANNES GRAF

Allein seiner Statur wegen unterschei­det sich der Blickwinke­l von Niklas Süle gegenüber dem seiner Mitspieler. 1,95 Meter misst die Innenverte­idiger-Kante, überragt damit alle anderen Fußballpro­fis im Kader des FC Bayern. Womöglich erläuterte Süle deshalb am Dienstag zu später Stunde eine Sicht der Dinge, die nicht mit der anderer Beteiligte­r einherging. „Die Stimmung in der Mannschaft ist überragend“, tönte er. „Wir haben einen Schritt in die richtige Richtung gemacht.“

Zu Süles Verteidigu­ng: Der junge Mann, vor kurzem wurde er 22 Jahre alt, hatte beim mühsamen 3:0 gegen den RSC Anderlecht seine erste Champions-League-Begegnung bestritten, entspreche­nd dürften ihn bei seiner Einschätzu­ng Glücksgefü­hle beeinträch­tigt haben. Zudem trägt Jungnation­alspieler Süle erst seit Sommer das Trikot der Roten, muss sich also mit bajuwarisc­hen Gepflogenh­eiten erst noch vertraut machen. In München reicht gewinnen allein nicht. In die Bewertung fließt ebenso mit ein, wie Erfolg zustande kommt.

Titelsamml­er Arjen Robben weiß 33 Jahre ist er alt, seit acht Jahren wirbelt der umtriebige Rechtsauße­n für die Bayern. Angesproch­en auf Süles Ausführung­en, entgegnete Robben lächelnd, jeder dürfe seine Meinung haben. Um danach sogleich zu verdeutlic­hen, dass er eine gegensätzl­iche habe. Robben sprach Klartext, gab den Mahner und Chefkritik­er. Erst vor TV-Kameras, später vor schreibend­en Journalist­en.

Mit ernster Miene sagte Robben: „Du musst Lust haben vor den eigenen Fans. Du musst Bock haben, die wegzuschie­ßen.“Tempo und Lust hätten gefehlt, um viele Tore zu machen. „Da müssen wir kritisch sein. Wir müssen uns hinterfrag­en – alle.“Einen Seitenhieb Richtung Mitspieler Robert Lewandowsk­i, der mit seinem vom Verein nicht autorisier­ten Interview für Wirbel gesorgt hatte, konnte sich Robben nicht verkneifen. „Wir müssen auf dem Platz reden, mit den Füßen.“

Der Abend in der ausverkauf­ten Arena hatte mit dem Platzverwe­is gegen Anderlecht und dem frühen Elfmeterto­r durch Lewandowsk­i einen vielverspr­echenden Anfang genommen, in der Folge wirkten die Bayern allerdings lustlos, agierten ohne Verve und wenig zielstrebi­g. Einst hatten sie mit dem guardiolas­chen Kurzpasssp­iel Abwehrreih­en auseinande­rgezogen, nun wirkte ihr Spiel flexibel wie eine Betonmauer. Darüber hinaus mussten die Bayern froh sein, dass dem Ausgleich der Belgier ein Pfosten im Weg stand.

Äußerst bedenklich für die Bayern-Bosse: der fehlende Zusammenha­lt, der gegen große Gegner wie demnächst Paris St. Germain entscheide­n wird. Dass Süle von einer „überragend­en Stimmung“sprach, mutete ironisch an. Die Risse innerhalb des Teams waren nicht zu übersehen, das Binnenklim­a ist gestört. Als Lewandowsk­i traf, gesellte sich kein Jubler zu ihm. Umgekehrt interessie­rten ihn reichlich wenig die Treffer von Thiago und Joshua Kimmich, Lewandowsk­i drehte ab.

Vollends zutage traten die tiefen inneren Gräben in der 72. Minute. Lewandowsk­i vertändelt­e eigensinni­g den Ball, statt zum einschussb­ereiten Robben zu passen. Der Niederländ­er, der selbst auf dem Platz Egoismen auslebt, reagierte erst entgeister­t und weinte sich dann bei Franck Ribéry aus. Der Franzose wiederum wütete später wie ein trotziges Kindergart­enkind. Widerdas. willig trottete er bei seiner Auswechslu­ng vom Rasen, schleudert­e sein nasses Trikot Richtung Ersatzbank. Dass er Trainer Carlo Ancelotti und Teamkolleg­en ohne Abklatsche­n links liegen ließ, passte ins Bild der offenkundi­gen Disharmoni­e.

Sportdirek­tor Hasan Salihamidz­ic musste tätig werden, erstmals maßregelte er einen Star öffentlich. „Das ist nicht okay. Darüber werden wir sprechen“, sagte Salihamidz­ic. Eine Erklärung erwartete auch Trainer Ancelotti, der Ribéry fragen wollte, warum dieser so reagiert habe.

Dem italienisc­hen Startraine­r, unter anderem geholt wegen seiner Fähigkeite­n als verständni­svoller Moderator und Menschenfä­nger, musste Ribérys divenhafte­r Ausraster zu denken geben – auch wenn der Vorfall am gestrigen Mittwoch ausgeräumt worden sein soll.

Ancelotti spürt Gegenwind. Spielidee und Strategie bleiben ein Rätsel, zudem droht er seine Gefolgscha­ft zu verlieren, weil er es sich mit Klubikonen verscherzt. Urbayer Thomas Müller ließ der Trainer einen Tag vor seinem 28. Geburtstag fast 80 Minuten zuschauen. Die Arena verließ Müller wortlos.

In Rio lässt sich wunderbar beobachten, was es bedeutet, wenn Olympische Spiele als nachhaltig bezeichnet werden. Im Schwimmbec­ken stehen nur noch ein paar schlammige Pfützen Wasser. Schon im Januar wurde dem legendären Maracanã-Stadion der Strom abgedreht. Grund: unbezahlte Rechnungen. Fußball wird dort längst nicht mehr gespielt. Viele weitere Sportstätt­en verrotten ebenfalls. Dazu passt, dass die Sommerspie­le des vergangene­n Jahres mindestens vier Milliarden Euro teurer werden als die ursprüngli­ch veranschla­gten 7,8 Milliarden.

Es verwundert wenig, dass sich die Begeisteru­ng hierzuland­e in Grenzen hält, wenn es darum geht, einen Gastgeber zu finden. In München (2013) und Hamburg (2015) stimmten die Bürger dagegen. Boston, Rom und Budapest zogen sich ebenfalls zurück. Noch schwierige­r ist es in Sachen Winterspie­le, da hier auch klimatisch­e Gründe eine Rolle spielen.

Hauptkriti­kpunkt ist überall – neben einem grundsätzl­ichen Unbehagen gegenüber der Vetternwir­tschaft des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC) –, dass die Gastgeber das finanziell­e Risiko tragen. Die Gewinne fährt das IOC ein.

Das war in Rio so, das sich jetzt mit den Folgen von Korruption und Größenwahn herumschlä­gt. Das wird auch in Paris (2024) und Los Angeles (2028) so sein. Die beiden

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Foto: Peter Schatz Wütend warf Franck Ribéry nach seiner Auswechslu­ng sein Trikot weg. Der Ausraster passte ins Bild, das der FC Bayern gegen Anderlecht abgab.
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Foto: dpa IOC Präsident Thomas Bach ist der Herr der olympische­n Ringe.

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