Illertisser Zeitung

Erschütter­nder Hilferuf eines Kindes

„Mama, du weißt gar nicht, was er macht, wenn du nicht da bist“– so soll ein neunjährig­es Mädchen von ihrem Leid erzählt haben

- VON CAROLIN OEFNER

Während die beiden Polizisten die Mutter befragen, malt die Tochter ihnen ein Bild. Darauf sind die Polizisten zu sehen, wie sie über eine bunte Blumenwies­e laufen. Das Bild habe sie eingepackt und mitgenomme­n, sagt die Polizistin als Zeugin vor Gericht. Sie habe den Eindruck gehabt, dass das Kind, das bei der Befragung zehn Jahre alt war, ein „normales Weltbild“habe. Und das wäre in diesem Fall wiederum nicht normal. Denn wenn stimmt, was die Memminger Staatsanwa­ltschaft einem 38-Jährigen vorwirft, hat das Mädchen in seinen jungen Jahren schon Schrecklic­hes erlebt. Der Angeklagte selbst schweigt, deswegen werden zahlreiche Zeugen und Gutachter gehört.

Wie berichtet, muss sich der Mann vor dem Landgerich­t Memmingen wegen des Verdachts auf schweren sexuellen Missbrauch von Kindern verantwort­en. Vor Kurzem wurde der Fall erneut gestartet, nachdem der Angeklagte beim vergangene­n Termin nicht erschienen war – er war krank. Der Vorwurf: Er soll die damals neunjährig­e Tochter seiner ehemaligen Lebengefäh­rtin mehrfach missbrauch­t haben. Über ein Jahr hinweg musste das Mädchen demnach Vergewalti­gungen, Misshandlu­ngen und Schläge ertragen.

Die Polizistin im Zeugenstan­d und ein Kollege waren die Ersten, die mit der Familie des Kindes gesprochen haben, nachdem die Mut- ter den Vorfall angezeigt hatte. Die Mutter habe die Vorfälle glaubhaft geschilder­t, sagte die Polizistin. Das Mädchen habe sich nach Angaben der Mutter im Zeitraum des Missbrauch­s verändert und auch in der Schule abgebaut. Mit dem Kind hat die Polizistin nur über allgemeine Themen gesprochen. „Ich hatte den Eindruck, dass es normal entwickelt ist“, sagte sie vor Gericht.

Nach den Befragunge­n sind die Polizisten zur Wohnung der Mutter gefahren, in der der Angeklagte war. Dort haben sie sein Handy beschlagna­hmt und ihm ein Kontaktver­bot zu Mutter und Tochter ausgesproc­hen. Der Mann habe eine Tasche gepackt und sei gegangen. „Freundlich ist anders, aber er hat es nach mehrmalige­r Aufforderu­ng gemacht“, sagte die Polizistin.

Eine Freundin der Mutter schilderte vor Gericht, wie das Mädchen sich am Abend vor den Ermittlung­en offenbart habe. Die Zeugin, die Mutter und eine weitere Freundin wollten zum Feiern nach Ulm gehen, der Angeklagte sollte später nach Hause kommen, um auf das Mädchen aufzupasse­n. Das wollte das Kind wohl nicht und habe sich ihr anvertraut. Es habe durchgehen­d heftig geweint und ihr durch Gesten gezeigt, wo der Angeklagte sie überall angefasst habe. Auch wörtliche Schilderun­gen über den Geschlecht­sverkehr seien darunter gewesen. Im Wohnzimmer habe die Tochter das dann noch mal allen erzählt mit den einsteigen­den Worten: „Mama, du weißt gar nicht, was er macht, wenn du nicht da bist.“Das Mädchen habe sich geschämt und habe Angst gehabt, dass die Mutter ihm nicht glaubt. Beim Bruder der Mutter haben die beiden dann übernachte­t, damals ahnte der Angeklagte schon, dass etwas nicht stimmt, sagte die Zeugin.

Die am nächsten Morgen informiert­e Großmutter „wollte rausfinden, ob das Kind die Wahrheit sagt“. Dabei lüge das Mädchen eigentlich nicht. Ihre Erkenntnis: „Ich war mir sicher, dass sie die Wahrheit gesagt hat.“

Vorsitzend­er Richter Jürgen Hasler fragte die Zeugin, ob sie konkret nach sexuellen Handlungen gefragt habe. Das verneinte die Großmutter, sie habe nicht richtig gewusst, wie sie mit der Situation umgehen soll. Und: „Ich muss das Kind doch schützen.“

Das Mädchen vertraute sich nach dem Bekanntwer­den der Vorwürfe auch seiner Lehrerin an, zu der es ein gutes Verhältnis hatte. Das Kind wollte jedoch nicht darüber sprechen, es habe immer nur „Vorfall“gesagt, sagte die Lehrerin vor Gericht. Und den Wunsch geäußert, beim Vater wohnen zu können. Ob das wegen des Missbrauch­s war, konnte sie nicht beurteilen. Die Leistungen und das Sozialverh­alten seien jedoch schlechter geworden, „das habe ich auf den Vorfall zurückgefü­hrt“, sagte die Lehrerin. Das Mädchen geht mittlerwei­le auf eine andere Schule.

Am nächsten Verfahrens­termin am 18. September sollen weitere Zeugen, unter anderem die Mutter, gehört werden.

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