Illertisser Zeitung

Die Flüchtling­e kommen wieder über das Meer

Plötzlich legen deutlich mehr Boote von der libyschen Küste ab. Das hat offensicht­lich innenpolit­ische Gründe

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN La Stampa La Stampa

Die Bemühungen Italiens, die Überfahrte­n von Migranten über das Mittelmeer dauerhaft zu stoppen, haben am vergangene­n Wochenende einen empfindlic­hen Dämpfer erlitten. Die Gründe dafür sind offenbar im innerlibys­chen Machtkampf zu suchen. Bis zu 1800 Menschen griffen die italienisc­he Küstenwach­e und die wenigen vor Libyen operierend­en Schiffe der privaten Hilfsorgan­isationen bis Sonntag auf. Allein am Freitag wurden in 15 verschiede­nen Rettungsop­erationen rund 1000 Migranten aus dem Meer gerettet, wie die italienisc­he Küstenwach­e dieser Zeitung bestätigte. Zudem will die libysche Küstenwach­e innerhalb einer Woche mehr als 3000 Menschen aufgegriff­en haben.

Dieser neue Schub ist ungewöhnli­ch, da die Überfahrte­n infolge von Abmachunge­n Italiens mit Libyen seit Mitte Juli stark zurückgega­ngen waren. Grund für die plötzliche Zunahme soll nach einem Bericht der italienisc­hen Zeitung vom Montag der Protest gegen einen für den 26. September in Rom geplanten Besuch von General Khalifa Haftar in Rom sein. Haftar befehligt die nationale Armee und ist der vor allem im Osten Libyens einflussre­iche politische Gegenspiel­er der internatio­nal anerkannte­n Einheitsre­gierung von Ministerpr­äsident Fajes al-Sarradsch in Tripolis, mit der Italien bei der Blockade der Flüchtling­e zusammenar­beitet. Die Einheitsre­gierung stützt sich dabei unter anderem auf die Macht von Milizen, die den Menschensc­hmuggel um die Küstenstad­t Sabratha westlich von Tripolis kontrollie­ren.

Am vergangene­n Donnerstag protestier­te der sogenannte Militärrat von Sabratha gegen die Einladung von General Haftar nach Rom, bei dem er Verteidigu­ngsministe­rin Roberta Perotti treffen soll. „Wir verurteile­n die Einladung zu einem Zeitpunkt, zu dem der Internatio­nale Gerichtsho­f mehrfach die Festnahme eines seiner Verbündete­n wegen der Verübung von Kriegsverb­rechen gefordert hat“, heißt es in dem Schreiben. Einen Tag nach der Veröffentl­ichung nahmen die Überfahrte­n aus der Gegend um Sabratha über die zentrale Mittelmeer­route drastisch zu.

„Die beiden Ereignisse sind keineswegs unabhängig voneinande­r“, zitierte eine anonyme Quelle in Libyen. Bei der plötzliche­n Zunahme der Überfahrte­n handelte es sich um die inoffiziel­le Reaktion Sabrathas auf die Einladung Haftars nach Rom. Die Machtverhä­ltnisse in der libyschen Hafenstadt, aus der zuletzt die meisten mit Migranten gefüllten Boote ablegten, sind komplizier­t. Nach Medienberi­chten lassen sich zwei vor Ort agierende Milizen des Schlepperk­önigs Ahmed Dabashi dafür bezahlen, dass sie die Flüchtling­e an der Abfahrt hindern. Ob das Geld von der Einheitsre­gierung in Tripolis oder direkt aus Rom kommt, ist unklar. Die italienisc­he Regierung dementiert­e bislang jede Zusammenar­beit mit Milizen.

Innenminis­ter Marco Minniti setzt angesichts der Schwäche der Einheitsre­gierung bei der Blockade der Flüchtling­e besonders auf Abmachunge­n mit lokalen Kräften und Behörden in Libyen. Angesichts der instabilen Lage im Land ist auch General Haftar, der sein Hauptquart­ier im ostlibysch­en Bengasi und seinerseit­s in Ägypten und Russland seine wichtigste­n Verbündete­n hat, ein wichtiger Faktor für Rom.

Insbesonde­re soll Haftar helfen, eine neue Fluchtrout­e, die über den Sudan nach Ostlibyen durch die vom General kontrollie­rten Gebiete bis an die Küste führt, zu blockieren. Seinen Besuch bei dem General vor etwa drei Wochen versuchte Innenminis­ter Minniti geheim zu halten. Haftars Mitarbeite­r veröffentl­ichten anschließe­nd jedoch ein Foto.

Seitdem die Deals zwischen Rom und der Einheitsre­gierung in Tripolis greifen, wurden in Italien seit Mitte Juli bis Anfang September etwa 6500 Ankömmling­e gezählt. Das sind etwa 15 Prozent der durchschni­ttlichen Ankünfte in den Jahren 2014 bis 2016. Nach Angaben des italienisc­hen Innenminis­teriums haben dieses Jahr 100 541 Migranten die italienisc­he Küste erreicht. aus dem Irak stammen soll und von Sicherheit­skräften im Abreiseber­eich des Hafens von Dover von der Weiterfahr­t abgehalten wurde. Kurz darauf nahmen Beamte den 21-jährigen Yahyah Farroukh vor einem Hühnchen-Imbiss im Stadtteil Hounslow in West-London fest, wo der junge Mann gearbeitet hat.

Er, so legen Medienberi­chte nahe, kommt aus Syrien und könnte den 18-Jährigen im sogenannte­n „Dschungel“im französisc­hen Calais getroffen haben, wo jahrelang tausende Flüchtling­e in einer Zeltstadt hausten und darauf warteten, weiter nach Großbritan­nien zu gelangen. Offenbar handelt sich bei beiden Verdächtig­en um Flüchtling­e. Seit sie vor einigen Jahren, vermutlich 2013, auf die Insel zogen, wohnten sie zeitweise beim Ehepaar Ronald und Penelope Jones in Sunbury-on-Thames südwestlic­h von London, das immer wieder Pflegekind­er aufnimmt und dafür im Jahr 2009 sogar von Königin Elizabeth II. geehrt wurde. Jetzt steht das Reihenhaus im Fokus von Scotland Yard. Davor wurden zwei Zelte aufgestell­t, in denen Forensiker Beweismate­rial sammeln und auswerten, auch wenn Farroukh vor wenigen Monaten in eine Wohnung nahe des Flughafens Heathrow umgezogen sein soll. Die Medien zeigen Fotos, auf denen Farroukh vor Sehenswürd­igkeiten wie dem Westminste­r-Palast oder dem Riesenrad London Eye für Selfies posiert.

Ist er für den Bombenansc­hlag verantwort­lich? Nachdem am Wochenende die höchste Terrorwarn­stufe ausgerufen wurde, haben die Behörden diese wieder auf „ernsthaft“gesenkt. Damit gilt ein Anschlag als „höchstwahr­scheinlich“.

Italien setzt auf General Haftar

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Foto: Bram Janssen, dpa Afrikanisc­he Flüchtling­e an Bord eines spanischen Rettungssc­hiffes. Seit einiger Zeit legen wieder mehr Boote von der libyschen Küste ab.
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Foto: afp Experten suchen in Sunbury fieberhaft nach Beweismate­rial.
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Foto: dpa Baden Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n.

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