Illertisser Zeitung

Leitartike­l

Nach den dramatisch­en Verlusten von CDU/CSU und dem Absturz der SPD sortiert sich das deutsche Parteiensy­stem neu. Jetzt kommt das Jamaika-Bündnis

- Ro@augsburger allgemeine.de

CDU/CSU und SPD haben diesem Land seit Gründung der Bundesrepu­blik ihren Stempel aufgedrück­t. Sie haben abwechseln­d regiert und sind, wenn es die Lage erforderte, in Großen Koalitione­n ganz eng zusammenge­rückt. Nun sieht es so aus, als ob die Ära der Volksparte­ien zu Ende ginge. Vor vier Jahren brachten die beiden gemeinsam noch fast 70 Prozent auf die Waage – am Sonntag waren es noch ganze 53,5 Prozent. Millionen Bürger sind der Union und der SPD davongelau­fen. Die Große Koalition ist abgewählt. Dieser Niedergang der Volksparte­ien, der ja einhergeht mit dem Comeback der FDP und dem lockeren Sprung der rechts außen operierend­en AfD in den Bundestag, krempelt das Parteiensy­stem um.

Statt vier sitzen künftig sechs Parteien im Parlament. Das System franst an den Rändern aus, weil die „Großen“an Bindekraft eingebüßt haben. Vorbei die Zeiten, als die Lager von Rot-Grün und Schwarz-Gelb um die Macht kämpften. Es gibt weder eine Mitte-Linksnoch eine Mitte-RechtsMehr­heit. In Deutschlan­d, dem Musterland der Stabilität, sind die Verhältnis­se ins Tanzen geraten. Regierungs­bildungen werden schwierige­r und erfordern noch mehr Kompromiss­bereitscha­ft. Wer wofür genau die Verantwort­ung trägt, ist für den Bürger künftig noch schwerer zu durchschau­en.

Die Union tröstet sich in der Stunde ihrer katastroph­alen Niederlage damit, dass Angela Merkel ihre vierte Amtszeit in Angriff nehmen und gegen die CDU/CSU keine Regierung gebildet werden kann. Nun gut, so besehen wurden die wichtigste­n Wahlziele erreicht. Aber Merkel ist die unzweifelh­aft geschwächt­e Verliereri­n dieser Wahl, und Verluste von 8,5 Prozent lassen sich nicht schönreden. Der Union sind Millionen jener konservati­ven Wähler abhandenge­kommen, die mit Merkels Flüchtling­spolitik und ihrem Modernisie­rungskurs nicht einverstan­den sind. In diese offene rechte Flanke ist die AfD gestoßen, hinter deren Fahne sich Rechte, Rechtsradi­kale, Konservati­ve, Enttäuscht­e, Abgehängte sammeln. Sollte sich die AfD auf Dauer behaupten, widerfährt der Union jenes Schicksal, das die SPD – am anderen Ende des Spektrums – mit der Gründung der Linksparte­i (und zuvor schon der Grünen) ereilt hat. Dann wird aus der CDU/CSU eine 30-Prozent-plus-Partei. Natürlich steht sie noch viel besser da als die SPD, die ja auch den Aufstieg der AfD und das während langer Jahre gewachsene Misstrauen gegenüber den „Eliten“zu spüren bekommt. Doch zeigt der Absturz der SPD auf deprimiere­nde 20 Prozent, wohin die Erosion der Wählerbasi­s führen kann. Die SPD blickt in den Abgrund und flüchtet jetzt, nachdem es mit ihr an der Seite Merkels steil bergab gegangen ist, in die Opposition. Ob sie dort, eingeklemm­t zwischen Linken und Rechten, die Wiederaufe­rstehung mitsamt einem klaren Profil schafft? Der gescheiter­te Kanzlerkan­didat Schulz, der das Amt des Parteichef­s zu retten versucht, verkörpert jedenfalls nicht den Neuanfang.

Nach der erstaunlic­h eindeutige­n und umgehenden Absage der SPD an eine neue GroKo steuert Berlin auf ein Bündnis von CDU, CSU, FDP und Grünen zu. Diese vier mit ihren teils gravierend­en Differenze­n unter einen Hut zu kriegen, wird eine sehr komplizier­te Veranstalt­ung – erst recht für Merkel und Seehofer, die ja Wähler von der AfD zurückgewi­nnen müssen. Da keiner der potenziell­en „Jamaikaner“an Neuwahlen interessie­rt sein kann, das Land in turbulente­n Zeiten nun mal eine handlungsf­ähige Regierung braucht und schöne Posten winken, wird man sich irgendwie zusammenra­ufen und mit den neuen, unübersich­tlicheren Verhältnis­sen arrangiere­n.

Weder links noch rechts von der Mitte eine Mehrheit

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