Sein Rivale sitzt Seehofer schon im Nacken
Der CSU-Chef schart die Parteispitze um sich. Und doch blicken nach dem Wahldebakel alle auf einen anderen
Wann kommt Söder? Keine Frage wird öfter gestellt an diesem Morgen vor der CSU-Zentrale in München. „Er kommt kurz vor der Sitzung“, lautet die Antwort einer Mitarbeiterin. Ihr Blick verrät, dass sie die Doppeldeutigkeit der Frage sehr wohl verstanden hat. Es geht nicht nur darum, wann Bayerns Finanzminister Markus Söder, der größte Rivale von CSU-Chef Horst Seehofer, vor die Kameras tritt. Es geht auch darum, ob er aus der Deckung kommt und sich nach diesem historisch beispiellosen Wahldebakel der CSU offen um den Parteivorsitz bewirbt.
Während Seehofer am Vorabend in München die Garde der CSU um sich geschart hatte, um eine Personaldebatte gar nicht erst aufkommen zu lassen, war Söder in Nürnberg geblieben und hatte etwas getan, was sehr ungewöhnlich für ihn ist: Er hatte geschwiegen. Kein Kommentar. Kein Interview. Nix. Zur Vorstandssitzung aber muss er kommen.
Kurz vor zehn Uhr fährt sein Dienstwagen vor. Söder steht erkennbar unter Strom. Er tritt vor die Kameras und zieht einen Zettel raus. Er will ganz offensichtlich nichts Falsches sagen. „Das Wahler- hat nicht nur Deutschland verändert, sondern auch Bayern und die CSU“, sagt er. Die CSU sei nun die kleinste Partei im Bundestag. Das sei eine Herausforderung – ebenso wie die AfD in Bayern. Er sei aber gegen „Hauruck- und Schnellanalysen“. Man müsse jetzt, so Söder, „sehr genau in die Partei hineinhören, welche Stimmung an der Basis ist“. Mehr will er nicht sagen. Die Frage, ob die CSU jetzt eine personelle Neuaufstellung brauche, lässt er unbeantwortet. Er schaut zu Boden, schweigt und geht in die Sitzung des Parteivorstands.
Dort trifft er auf Parteifreundinnen und Parteifreunde, die ihn als Nachfolger mehrheitlich entweder ablehnen oder zumindest seine Zeit noch nicht für gekommen sehen. Keiner außer Ex-Parteichef Erwin Huber hat sich bis zu diesem Zeitpunkt gegen Seehofer gestellt. Das bleibt am Vormittag auch so. Landtagspräsidentin Barbara Stamm, Innenminister Joachim Herrmann, JU-Chef Hans Reichhart, Ex-Justizminister Alfred Sauter, Ex-Parteichef Edmund Stoiber, Schwabens CSU-Bezirkschef Markus Ferber – alle sagen übereinstimmend: „Keine Personaldebatte.“Seehofer sei der Richtige, um jetzt in Berlin die schwierigen Koalitionsverhandlungen zu führen. „Ich gehe davon aus, die Reihen nicht nur heute geschlossen sind. Wer etwas anderes will, der soll es sagen“, betont Landtagspräsidentin Stamm.
Auch Seehofer selbst ist erkennbar nicht gewillt, den Kopf für einen Stimmungsumschwung kurz vor der Wahl hinzuhalten, der schließlich nicht nur die CSU, sondern deutschlandweit auch die CDU getroffen habe. Jetzt im Vorstand werde es darum gehen „alle Varianten durchzudiskutieren“, sagt er und fügt nach kurzer Pause hinzu: „In der Sache.“Und wie Stamm sagt auch er zu möglichen Personaldebatten: „Wenn jemand etwas anderes will, dann soll er es sagen.“
Von zehn Uhr früh bis kurz nach 16 Uhr sitzen die CSU-Vorstände beieinander – deutlich länger als geplant. Drinnen sagt angeblich keiner etwas, das als Rücktrittsforderung an Seehofer verstanden werden könnte. Zwischendurch heißt es zwar, der frühere CSU-Generalsekretär und bayerische Wissengebnis schaftsminister Thomas Goppel habe personelle Konsequenzen gefordert. Eine Bestätigung dafür aber gibt es zunächst nicht, wohl aber ein Dementi bei der Pressekonferenz am Nachmittag mit Seehofer, Herrmann und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer.
„Ich werde nach den Erfahrungen der letzten Wochen zu Dingen, die verzerrt nach außen lanciert werden, nichts sagen“, stellt Seehofer fest. „Ich war mit jedem einzelnen Wortbeitrag, auch mit Thomas Goppel, sehr zufrieden.“Auch an Rücktritt, so versichert der CSUChef auf Nachfrage, habe er keine Sekunde gedacht. Zum Wahlergebnis sagt er: „Es ist ein schmerzlicher Vorgang, aber der Gesamttrend erstreckt sich auf ganz Deutschland.“Dieser Trend, dass viele Wähler zur AfD und zur FDP abwandern, habe sich erst in den letzten Wochen „in atemberaubender Geschwindigkeit herauskristallisiert“.
Darauf müssten CSU und CDU jetzt Antworten geben, sagt Seehofer. Noch vor den ersten Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Regierungskoalition wolle er deshalb mit der CDU in einen Diskussionsprozess eintreten, um die gemeinsamen Ziele zu konkretisieren. „Ich werde der Kanzlerin mitteilen, dass wir nicht einfach zur Tagesorddass nung übergehen können – in aller geschwisterlicher Freundschaft“, sagt Seehofer.
Dabei soll es nach seinem Willen nicht nur um die Obergrenze für die Zuwanderung gehen, die er garantiere, sondern um ein in sich geschlossenes Regelwerk. Außerdem habe der Wahlkampf gezeigt, dass die Union auch in sozialen Fragen konkretere Lösungen realisieren müsse, etwa bei der Rente und bei der Pflege. Da werde es nicht ausreichen, Arbeitsgruppen einzusetzen. Seehofer will schnelle Lösungen, weil er mit seiner Partei schon nächstes Jahr die Landtagswahl in Bayern gewinnen will. Die AfD einzudämmen, so sein Credo, „geht nur durch Problemlösung.“
Die Rückendeckung des CSUVorstands hat der Parteichef dafür offenkundig. Ob er auch die Landtagsfraktion hinter sich hat, in der viele Unterstützer Söders sitzen, wird sich am morgigen Mittwoch in der ersten Sitzung nach der Sommerpause zeigen. „Ich bin nicht davon überzeugt, dass es die richtige Lösung ist, mit Horst Seehofer in die Landtagswahl zu gehen“, ließ der oberfränkische Abgeordnete Alexander König gestern wissen. Auch aus Mittelfranken gibt es eine Rücktrittsforderung. Bisher aber sind das nur Einzelmeinungen.
„Man muss, glaube ich, jetzt sehr in die Partei hineinhorchen, die Stimmung der Basis aufnehmen.“
Markus Söder