Illertisser Zeitung

Welche Fehler haben die Volksparte­ien gemacht?

Der Meinungsfo­rscher Manfred Güllner hält Horst Seehofers Taktik für gescheiter­t und kritisiert Martin Schulz

- Interview: Simon Kaminski

Alle vier Jahre das Gleiche: Nach der ersten Hochrechnu­ng fragen sich SPD-Politiker, warum die Partei wieder eine Bundestags­wahl verloren hat. Droht die Bedeutungs­losigkeit?

Die Situation ist schon dramatisch. Allein zwischen 1998 und 2009 hat die Partei 50 Prozent ihrer Wähler verloren – ein Sturz von rund 20 auf zehn Millionen Wähler. Jetzt sind es nur noch 9,5 Millionen.

Sie haben schon im Wahlkampf kritisiert, dass die SPD zu stark auf das Thema Gerechtigk­eit setzt.

Wann immer die SPD voll auf das Thema soziale Gerechtigk­eit und Umverteilu­ng setzt, verliert sie die Wahlen. Die Partei hat diejenigen verloren, denen sie vor Jahrzehnte­n geholfen hat, nach oben zu kommen: Facharbeit­er, höhere Angestellt­e, aber auch Selbststän­dige. Die Leute, die früher die Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder gewählt haben, sind weg.

Sind diese Schichten endgültig verloren?

Nein. Immer wenn wir fragen, ob die SPD nicht überflüssi­g ist, sagt eine Mehrheit, dass eine solche Partei braucht. Viele würden sie wählen, wenn die SPD es ihnen nicht so schwer machen würde. Martin Schulz wurde überschätz­t. Einfach immer nur zu sagen, „Ich bin einer von Euch“und den Menschen tief in die Augen zu schauen, das reicht nicht aus.

War es klug von Schulz, nach der Prognose um 18 Uhr zu erklären, die Große Koalition nicht fortzuführ­en?

Nein. Es hat mich gestört, dass Schulz nach der Wahl in der SPD-Zentrale ausgerechn­et in dem Moment frenetisch gefeiert wurde, als er sagte, die SPD würde für die Große Koalition definitiv nicht zur Verfügung stellen. So etwas muss man doch erst einmal ausloten.

Nun haben die Wähler auch der CDU in Scharen den Rücken gekehrt. Liegt das nicht daran, dass rechts von der Union zuviel Platz entstanden ist?

Dass Merkel durch ihre ,Sozialdemo­kratisieru­ng’ der CDU für das Vakuum am rechten Rand verantwort­lich ist, ist eine Unterstell­ung. Die Zahlen bewiesen, dass das bürgerlich­e Lager aus Union und FDP seit 20 Jahren stabil bei gut 20 Millionen Wählern steht – das hat sich trotz des Aufkommens der AfD auch bei dieser Wahl nicht geändert.

Noch dramatisch­er hat es die CSU erwischt. Hat Horst Seehofer taktische Fehler gemacht?

Auf jeden Fall. Nirgendwo außerhalb der neuen Bundesländ­er hat die AfD derartige Zuwächse wie in Bayern. Die Taktik der CSU, selber rechte Themen zu besetzen, um die AfD – eine in weiten Teilen rechtsradi­kale Bewegung also – klein zu halten, ist gescheiter­t.

In der CSU sieht man das ganz anders. Aus München kommt die Forderung, in Zukunft alles daranzuset­zen, die rechte Flanke dichtzumac­hen.

Das ist absolut falsch. Die Analyse der Wahlen zeigt seit vielen Jahren, dass die Menschen dann lieber gleich das Original – in diesem Fall die AfD – wählen. Wenn man versucht, eine solche Rechtspart­ei noch zu übertrumpf­en, muss das schief gehen.

Was wäre, wenn Seehofer tatsächlic­h eines Tages die Fraktionsg­emeinschaf­t mit der CDU kündigen würde?

Auch diese Andeutung SeeDeutsch­land hofers war unklug. Denn wir wissen aus unseren Befragunge­n, dass es in Bayern auch viele Menschen gibt, die lieber CDU als CSU wählen würden.

Müssen wir uns an die AfD als fester Bestandtei­l der Parteienla­ndschaft gewöhnen?

Auf jeden Fall wird die AfD jetzt viel Geld bekommen. Damit könnte sie einen größeren, profession­ellen Partei-Apparat aufbauen. Anderersei­ts zeigt die Geschichte der Bundesrepu­blik, dass sich rechte und rechtsradi­kale Parteien durch interne Konflikte früher oder später immer selber zerlegt haben.

Jetzt läuft alles auf Jamaika zu. Glauben Sie an ein Bündnis zwischen Union, FDP und Grünen?

Die Verhandlun­gen werden sicher nicht einfach. Anderersei­ts hat ja auch kaum jemand für möglich gehalten, dass die in Hessen traditione­ll konservati­ve CDU mit den Grünen eine funktionie­rende Regierung bilden könnte. Immerhin scheint es ja so, dass die Grünen grundsätzl­ich bereit sind für Jamaika. Die FDP ist etwas zögerliche­r, wird aber in die Verhandlun­gen einsteigen.

Könnte die Sache am Ende an der CSU scheitern?

Zumindest scheint es aktuell so, dass die Vorbehalte in der CSU recht groß sind.

„Einfach immer zu sagen, ,Ich bin einer von Euch‘, das reicht nicht aus.“Manfred Güllner über

Martin Schulz

Kann sich die SPD verweigern, wenn sich der Jamaika-Traum in Rauch auflöst?

Wenn sich die SPD dann sperrt, wird es für sie noch schwierige­r. Drohen Neuwahlen, müsste sie Verantwort­ung zeigen und mit der Union verhandeln.

65, ist einer der bekanntest­en deutschen Demoskopen. Der gebürtige Remscheide­r (Nordrhein Westfalen) gründete 1984 das Meinungsfo­rschungsin­stitut Forsa.

 ?? Fotos: Maja Hitij, Sean Gallup, Getty Images ?? Tristesse der Volksparte­ien: Sowohl die Sozialdemo­kraten unter Martin Schulz als auch die Union verloren bei der Bundestags­wahl dramatisch an Zuspruch. Doch der Trend ist nicht neu, seit Jahren verlieren die vormals prägenden politische­n Strömungen im...
Fotos: Maja Hitij, Sean Gallup, Getty Images Tristesse der Volksparte­ien: Sowohl die Sozialdemo­kraten unter Martin Schulz als auch die Union verloren bei der Bundestags­wahl dramatisch an Zuspruch. Doch der Trend ist nicht neu, seit Jahren verlieren die vormals prägenden politische­n Strömungen im...
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