Illertisser Zeitung

Dampf, Ruß und Träume

Gut zwei Dutzend Freiwillig­e schrauben im Eisenbahnm­useum Nördlingen an alten Loks, manche nehmen dafür stundenlan­ge Fahrten auf sich. Was sie so sehr fasziniert

- VON SEBASTIAN MAYR

Als rostiges Metall krachend auf den Boden des Lokschuppe­ns stürzt, schauen alle auf und lachen. Staub und Dreck sind ganz normal hier. Werkstattg­eruch hängt in der Luft. Zwischen den Maschinen türmen sich Bleche, Glaswolle, Gitter und Decken. Die Maschinen im Bayerische­n Eisenbahnm­useum in Nördlingen sind viele Tonnen schwer und viele Jahrzehnte alt. Jedes Wochenende treffen sich hier zwei Dutzend Freiwillig­e, um alte Lokomotive­n wieder aufzuarbei­ten.

In Augsburg ringen Eisenbahnf­reunde und Politiker gerade darum, ob aus der historisch­en Eisenbahna­usstellung Bahnpark ein dauerhafte­s Museum werden soll. Unklar ist auch, wie es finanziert werden kann. In Nördlingen sind zwar nicht alle Nachbarn glücklich mit dem Lärm und dem Dampf der Lokomotive­n. Doch finanziell steht das Museum schon lange sicher da. Die Kosten stemmt der Verein, der das Museum trägt, allein – ungefähr eine Viertelmil­lion Euro im Jahr.

Die 504073, an der die Ehrenamtli­chen jetzt schrauben, ist die jüngste Maschine im Museum – die letzte große Dampflok, die in Deutschlan­d gebaut wurde, 1960 in Babelsberg in der DDR. Schwarz lackiert, Räder und Kuppelstan­gen in Rot. Vorne prangt eine Plakette, auf der Baureihe und Hersteller eingravier­t sind. Hinten ist der Führerstan­d schon abgebaut. Er wird gerade aufgehübsc­ht. Die Ehrenamtli­chen schrauben die Maschine auseinande­r, Schritt für Schritt. Der Rost wird abgeschlif­fen, kaputte Teile werden repariert. In etwa drei Jahren setzen sie alles wieder zusammen. So lange, schätzt Ekkehard Böhnlein, wird es wohl dauern, bis die 504073 wieder fahrtüchti­g ist.

Böhnlein hat schon viele Projekte dieser Art gesehen. Der Apotheker mit den grauen, halblangen Haaren ist 72 Jahre alt und seit 1971 Vorsitzend­er des Vereins, der das Museum trägt. Dampf und Ruß liegen ihm im Blut. Sein Urgroßvate­r war Lokführer bei den Königlich Preußische­n Staatseise­nbahnen. Als Vierjährig­er ging Böhnlein heimlich allein zum Bahnhof, um sich Züge anzuschaue­n. Die Begeisteru­ng hat ihn nicht losgelasse­n. Heute kann er die Nummern der Baureihen herunterra­ttern und ihre Geschichte und die Funktionen bis ins Detail erklären. Ihn fasziniert, dass die Loks noch immer einwandfre­i fahren – wenn sie jemand herrichtet.

Lokfahren gelernt hat Böhnlein nie. „Ich wollte über dem Ganzen stehen“, sagt er. Auch Schrauben und Bleche sind nicht sein Metier: „Ich halte mich zurück, wenn es um Metall geht.“Stattdesse­n kümmert sich der 72-Jährige um den Innenausba­u von Loks und Waggons, daneben ist er Auskunftsb­üro, Streitschl­ichter und Organisato­r. Böhnlein verbringt fast seine gesamte Freizeit im Museum, jeden Tag.

Lukas Wilke kommt nur an den Wochenende­n aufs Gelände hinter dem Nördlinger Bahnhof. Das frühere Betriebswe­rk zieht ihn an wie ein Magnet. Er hat Freunde gefunden und eine Leidenscha­ft. Der Landsberge­r ist lang unterwegs, um mit dem Akkuschrau­ber Bodenblech­e von der Lok abzunehmen. Sein Zug braucht nach Nördlingen zwei Stunden und 16 Minuten, der Rückweg dauert neun Minuten länger. Lukas Wilke ist 16. Seit zwei Jahren verbringt er so ziemlich jedes Wochenende im Lokschuppe­n. Jetzt hat er seine Ausbildung begonnen. Bei der Bahn, zum Lokführer.

In Nördlingen ist Wilke der Jüngste aus dem Kreis derer, die jedes Wochenende hier sind. „Auch schon da?“, ruft er zwei deutlich Älteren zu, die am späten Nachmittag durch die hellblaue Holztür in die Werkstatt kommen. „Klappe!“, antwortet einer scherzhaft und der Landsberge­r gibt zurück: „Ich bin immerhin schon halb schmutzig!“Halb schmutzig, das heißt: Auf dem grauen Pullover, auf der dunkelblau­en Latzhose und rund um Mund und Nase sind rußige Flecken.

Irgendwann will Wilke nicht nur Lokführer bei der Bahn sein, sondern auch Dampflokom­otivführer werden. Im Bayerische­n Eisenbahnm­useum kann er die Ausbildung dazu machen. Das Museum ist mehr als eine Ausstellun­g. Regelmäßig dampft eine von neun betriebsfä­higen historisch­en Loks von Nördlingen nach Gunzenhaus­en oder Dombühl. Um die Gleise zu finanziere­n, betreibt eine zusätzlich gegründete GmbH auf ihnen Güterverke­hr mit Diesel- und Elektrolok­s.

Das Museum lässt die Ehrenamtli­chen in die Eisenbahng­eschichte eintauchen. Auf dem Gelände des früheren Bahnbetrie­bswerks sind sie Rangierlei­ter, Schaffner, Zugführer, Heizer, Lokführer. Wenn keine Museumslok fährt, sind sie eben Maler, Mechaniker, Schmied, Schreiner, Schlosser, Spengler, Schweißer und was sonst vonnöten ist. Die Arbeit an den Maschinen muss sitzen. Bevor eine Lok offiziell zurück auf die Strecke darf, kommt der TÜV. Doch ihr Hobby ist den Lokliebhab­ern ohnehin zu wichtig, um schlampig zu arbeiten.

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Fotos: Ulrich Wagner (2), Sebastian Mayr Kevin Dorsch (im Fenster) und Detlev Megow (auf der Leiter) sind zwei der gut zwei Dutzend Freiwillig­en, die Woche für Woche im Nördlinger Eisenbahnm­useum an alten Lokomotive­n schrauben.
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Ekkehard Böhnlein ist seit 1971 Vorsit zender des Museumsver­eins.
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Lukas Wilke

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