Dampf, Ruß und Träume
Gut zwei Dutzend Freiwillige schrauben im Eisenbahnmuseum Nördlingen an alten Loks, manche nehmen dafür stundenlange Fahrten auf sich. Was sie so sehr fasziniert
Als rostiges Metall krachend auf den Boden des Lokschuppens stürzt, schauen alle auf und lachen. Staub und Dreck sind ganz normal hier. Werkstattgeruch hängt in der Luft. Zwischen den Maschinen türmen sich Bleche, Glaswolle, Gitter und Decken. Die Maschinen im Bayerischen Eisenbahnmuseum in Nördlingen sind viele Tonnen schwer und viele Jahrzehnte alt. Jedes Wochenende treffen sich hier zwei Dutzend Freiwillige, um alte Lokomotiven wieder aufzuarbeiten.
In Augsburg ringen Eisenbahnfreunde und Politiker gerade darum, ob aus der historischen Eisenbahnausstellung Bahnpark ein dauerhaftes Museum werden soll. Unklar ist auch, wie es finanziert werden kann. In Nördlingen sind zwar nicht alle Nachbarn glücklich mit dem Lärm und dem Dampf der Lokomotiven. Doch finanziell steht das Museum schon lange sicher da. Die Kosten stemmt der Verein, der das Museum trägt, allein – ungefähr eine Viertelmillion Euro im Jahr.
Die 504073, an der die Ehrenamtlichen jetzt schrauben, ist die jüngste Maschine im Museum – die letzte große Dampflok, die in Deutschland gebaut wurde, 1960 in Babelsberg in der DDR. Schwarz lackiert, Räder und Kuppelstangen in Rot. Vorne prangt eine Plakette, auf der Baureihe und Hersteller eingraviert sind. Hinten ist der Führerstand schon abgebaut. Er wird gerade aufgehübscht. Die Ehrenamtlichen schrauben die Maschine auseinander, Schritt für Schritt. Der Rost wird abgeschliffen, kaputte Teile werden repariert. In etwa drei Jahren setzen sie alles wieder zusammen. So lange, schätzt Ekkehard Böhnlein, wird es wohl dauern, bis die 504073 wieder fahrtüchtig ist.
Böhnlein hat schon viele Projekte dieser Art gesehen. Der Apotheker mit den grauen, halblangen Haaren ist 72 Jahre alt und seit 1971 Vorsitzender des Vereins, der das Museum trägt. Dampf und Ruß liegen ihm im Blut. Sein Urgroßvater war Lokführer bei den Königlich Preußischen Staatseisenbahnen. Als Vierjähriger ging Böhnlein heimlich allein zum Bahnhof, um sich Züge anzuschauen. Die Begeisterung hat ihn nicht losgelassen. Heute kann er die Nummern der Baureihen herunterrattern und ihre Geschichte und die Funktionen bis ins Detail erklären. Ihn fasziniert, dass die Loks noch immer einwandfrei fahren – wenn sie jemand herrichtet.
Lokfahren gelernt hat Böhnlein nie. „Ich wollte über dem Ganzen stehen“, sagt er. Auch Schrauben und Bleche sind nicht sein Metier: „Ich halte mich zurück, wenn es um Metall geht.“Stattdessen kümmert sich der 72-Jährige um den Innenausbau von Loks und Waggons, daneben ist er Auskunftsbüro, Streitschlichter und Organisator. Böhnlein verbringt fast seine gesamte Freizeit im Museum, jeden Tag.
Lukas Wilke kommt nur an den Wochenenden aufs Gelände hinter dem Nördlinger Bahnhof. Das frühere Betriebswerk zieht ihn an wie ein Magnet. Er hat Freunde gefunden und eine Leidenschaft. Der Landsberger ist lang unterwegs, um mit dem Akkuschrauber Bodenbleche von der Lok abzunehmen. Sein Zug braucht nach Nördlingen zwei Stunden und 16 Minuten, der Rückweg dauert neun Minuten länger. Lukas Wilke ist 16. Seit zwei Jahren verbringt er so ziemlich jedes Wochenende im Lokschuppen. Jetzt hat er seine Ausbildung begonnen. Bei der Bahn, zum Lokführer.
In Nördlingen ist Wilke der Jüngste aus dem Kreis derer, die jedes Wochenende hier sind. „Auch schon da?“, ruft er zwei deutlich Älteren zu, die am späten Nachmittag durch die hellblaue Holztür in die Werkstatt kommen. „Klappe!“, antwortet einer scherzhaft und der Landsberger gibt zurück: „Ich bin immerhin schon halb schmutzig!“Halb schmutzig, das heißt: Auf dem grauen Pullover, auf der dunkelblauen Latzhose und rund um Mund und Nase sind rußige Flecken.
Irgendwann will Wilke nicht nur Lokführer bei der Bahn sein, sondern auch Dampflokomotivführer werden. Im Bayerischen Eisenbahnmuseum kann er die Ausbildung dazu machen. Das Museum ist mehr als eine Ausstellung. Regelmäßig dampft eine von neun betriebsfähigen historischen Loks von Nördlingen nach Gunzenhausen oder Dombühl. Um die Gleise zu finanzieren, betreibt eine zusätzlich gegründete GmbH auf ihnen Güterverkehr mit Diesel- und Elektroloks.
Das Museum lässt die Ehrenamtlichen in die Eisenbahngeschichte eintauchen. Auf dem Gelände des früheren Bahnbetriebswerks sind sie Rangierleiter, Schaffner, Zugführer, Heizer, Lokführer. Wenn keine Museumslok fährt, sind sie eben Maler, Mechaniker, Schmied, Schreiner, Schlosser, Spengler, Schweißer und was sonst vonnöten ist. Die Arbeit an den Maschinen muss sitzen. Bevor eine Lok offiziell zurück auf die Strecke darf, kommt der TÜV. Doch ihr Hobby ist den Lokliebhabern ohnehin zu wichtig, um schlampig zu arbeiten.