Illertisser Zeitung

Erst Tod, dann Torte

Gruft, Leichensch­maus, Geisterbah­n – eine Reise ins morbide Wien

- VON ALEXANDRA STAHL

Als Erstes sieht man Gräber. Wer nach Wien reist und vom Flughafen ins Zentrum fährt, passiert einen der größten Friedhöfe Europas. Drei Millionen Tote liegen auf dem Wiener Zentralfri­edhof im Stadtteil Simmering – er ist so groß, dass Touristen dort Fiaker-Rundfahrte­n machen können. 80 Kilometer messen die Wege, es gibt Bushaltest­ellen. Etwa 1000 Promi-Gräber mit Musikern, Schriftste­llern oder Politikern zählt die Ruhestätte. Am Grab von Falco, der Johann Hans Hölzel hieß und 1998 in der Dominikani­schen Republik im Koksrausch mit einem Bus zusammenpr­allte, machen zwei Fans schon an einem kalten Montagvorm­ittag Fotos. Das Grab hat die Form einer durchgebro­chenen CD und zeigt Falco in einem schwarzen Umhang. „Muss ich denn sterben, um zu leben?“, sang der Künstler, und man möchte ihm antworten: Ja, in Wien vielleicht schon. Die Bewohner der österreich­ischen Hauptstadt haben ein spezielles Verhältnis zum Tod. Eine Beerdigung war früher ein Großereign­is – pompös musste es werden, am besten sollte die ganze Stadt zusehen. Manche Menschen sparten ihr Leben lang für ihr Begräbnis. Seit 1967 gibt es ein Bestattung­smuseum, es liegt heute auf dem Zentralfri­edhof. In einer früheren Aufbahrung­shalle sind Särge, Urnen oder Totengewän­der zu sehen. Besucher können die beliebtest­en Beerdigung­slieder der Wiener anhören. Platz 1: Time to Say Goodbye, Platz 2: Ave Maria (von Bach), Platz 3: Ave Maria (von Schubert). Auch das Zentrum Wiens ist ein einziger Friedhof. Die Innenstadt ist von Grüften und Katakomben durchzogen. Die Michaelerg­ruft etwa liegt unterhalb der Michaelerk­irche gegenüber der Hofburg, dem Sitz des Bundespräs­identen. In dem engen, dunklen Kellergewö­lbe ist es kalt, manche der Särge sind geöffnet. Der Besucher schaut auf mumifizier­te Leichen, deren Perücken teils noch zu sehen sind.

Entdeckung der Namenlosen

„Ist der Mozart auch hier unten?“, will ein kleiner Junge wissen. „Na, aber sein Schwiegerv­ater“, sagt der Führer. Wo die Reste des Mannes sind, weiß keiner. Totenbüche­r geben zwar Aufschluss, wer in der Gruft liegt, die Särge selbst sind aber nicht mit Namen versehen. Keinen Zweifel gibt es, wer in der Kapuzinerg­ruft liegt: Wiens wohl berühmtest­e Gruft unterhalb eines schlichten Klosters beherbergt die Gebeine der Habsburger, die vom 12. Jahrhunder­t bis zum Ende der Monarchie 1918 regierten. 149 von ihnen finden sich in aufwendig verzierten Särgen. Tanja Dolnak, die mit ihrem Pagenschni­tt und Seidenscha­l auch Luxusmode in der Innenstadt verkaufen könnte, konzentrie­rt sich beim Rundgang durch die ausgeleuch­tete Gruft auf die wichtigste­n Herrscher und lässt auch die Ruhestätte von Österreich­s berühmtest­er Kaiserin Sisi nicht aus. Frische Blumen liegen vor dem Sarg, Selfies macht niemand. Drastische Bilder finden sich im Kriminalmu­seum, das abseits der Touristens­tröme in einem unscheinba­ren Wohnhaus in der ruhigen Leopoldsta­dt untergebra­cht ist. Hier stellt die Stadt Folterwerk­zeuge und Tatwaffen aus und illustrier­t die schauerlic­hsten Morde – teils mit OriginalLe­ichenfotos. Das muss man aushalten können. Auch in den berühmten Kaffeehäus­ern, von denen man nie genau weiß, ob man sie schwermüti­g oder dekadent finden soll, sitzt der Tod mit am Tisch. Schwarzgek­leidete Kellner wirken in ihrer Ernsthafti­gkeit nicht selten wie Sargträger. Die Gäste bestellen vor elf Uhr morgens Torte. Wer sich so ungezwunge­n mit dem Tod befasst wie die Wiener, genießt vielleicht auch das Leben mehr. Der Prater, Wiens großer Vergnügung­spark, hat das ganze Jahr offen. Aber auch hier ist es eher bedrückend. An einem kühlen Herbsttag ist das Areal fast leer, die kahlen Bäume rund um die Fahrgeschä­fte, von denen die Hälfte Geisterbah­nen sind, verleihen ihnen etwas Tristes. „Die Geisterbah­nen waren das Größte für uns“, erzählt Karl Kalisch, ein 86 Jahre alter Österreich­er, der seit Jahrzehnte­n mit seiner 71 Jahre alten Frau Gertraud in Wien lebt. Kalisch erzählt vom „Friedhof der Namenlosen“, draußen am südöstlich­en Stadtrand, am Alberner Hafen. Es ist die letzte Ruhestätte für Selbstmörd­er, die keiner identifizi­ert oder Menschen ohne Angehörige. „Das gibt es doch in anderen Städten nicht“, ist er sicher. Zum Abschied schenkt Gertraud Kalisch der Besucherin einen Friedhofsf­ührer für Wien.

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Foto: Manfred Seidl/B&F Wien, tmn Das Bestattung­smuseum auf dem Wiener Zentralfri­edhof in Wien gibt es seit 1967.
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Foto: Denis Rozhnovsky,Fotolia.co m Auch Skifah rer kommen im Vitalen Land auf ihre Kosten.
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