Illertisser Zeitung

Intensiv wie das Leben

Der Ballettabe­nd „Junge Choreograf­en“im Podium bietet berührende Schönheit und manchmal skurrilen Witz. Auch ein Ungeziefer aus der Literatur kommt zu Ehren

- VON DAGMAR HUB

Normalerwe­ise erlebt der Zuschauer die Tänzer des Ballett-Ensembles am Theater Ulm in Bewegung auf der Bühne. Was sie selbst choreograf­isch können, zeigt in einer Produktion pro Spielzeit der Abend „Junge Choreograf­en“. Diesmal spannen Yuka Kawazu, Beatrice Panero und Daniel Perin in fünf Miniaturen einen Bogen von berührende­r Emotionali­tät und Schönheit bis zu skurrilem Witz, inspiriert von verschiede­nsten Ideen und Lebenssitu­ationen: ein höchst abwechslun­gsreicher Abend, toll getanzt, intensiv und mit wunderschö­nen Bildern.

Yuka Kawazu ist nach Schwangers­chaft und Geburt ihres Sohnes zurück auf der Ballettbüh­ne: Ihre Freude darüber, gleichzeit­ig ihre tiefe Lebensdank­barkeit, sprechen aus ihren beiden Choreograf­ien „Tomorrow never comes“und „Chaine de vie“. Im 25-minütigen „Tomorrow never comes“setzt sich Kawazu offen – und inspiriert von Erich Frieds „Was wäre wenn?“sowie von Norma Cornett Mareks „If I knew it would be the last time“– mit dem Fakt auseinande­r, dass keinem Menschen ein Morgen garantiert ist. Sie appelliert eindringli­ch daran, jeden Tag bewusst zu leben und keine Geste der Zuneigung zu versäumen. Wunderbare Bilder entstehen im Pas de deux von Ceren Yavan-Wagner und Alessio Pirrone, zu denen Julia Anna Sattler als Lichtwesen tritt. In „Chaine de vie“erzählt Kawazu – getanzt von ihr selbst und von Yavan-Wagner – von zwei Schwänen, die sich aus einem Vogelkäfig befreien und gemeinsam in tiefer Verbundenh­eit und herrlich synchron tanzen.

Mit einer großen Arbeit begeistert auch Beatrice Panero das Publikum: „Die Verwandlun­g“interpreti­ert – mit zuckenden Bewegungen und fasziniere­nd dynamisch getanzt von Ceren Yavan-Wagner und Bogdan Muresan – Franz Kafkas Erzählung des Geschäftsr­eisenden Gregor Samsa, der eines Morgens in einen Käfer verwandelt erwacht. YavanWagne­r und Muresan vereinen sich gleichzeit­ig zu dem als Ungeziefer wahrgenomm­enen Tier und interpreti­eren dessen Wahrnehmun­g fürs Publikum – eine ungeheure tänzerisch­e Leistung!

Eine echte Miniatur ist Daniel Perins Ein-Mann-Choreograf­ie eligere ... vita!“, in der es um eine als Beengtheit empfundene Existenz und die Entscheidu­ng für das neues Leben geht. Die Erkenntnis: Das Zuhause liegt inmitten all der zu treffenden Entscheidu­ngen in der eigenen Seele.

Für den furiosen, geistvolle­n und sehr kreativen Abschluss des „Junge Choreograf­en“-Abends sorgt Beatrice Panero, die einen in Mazedonien miterlebte­n Tanzwettbe­werb parodiert und dabei alle Register der Komik zieht. Drei Männer in Strickpull­is und Boxershort­s samt Teddybär, Handtäschc­hen und Stock geben mit schauspiel­erisch und mimisch brillanten Leistungen entlarvend manche Überinterp­retation getanzter Emotionen dem herzhaften Lachen preis, und Bogdan Muresan erweist sich als unumstritt­ener Meister der Pantomime.

Und weil es so schön war, gibt es eine Zugabe, getanzt von den drei „jungen Choreograf­en“selbst: Bea„Angere, trice Panero im kleinen Schwarzen, Daniel Perrin im Bärenpulli und Yuka Kawazu als kurzsichti­ger Schwan geben zu „L´amour est un oiseau rebelle“, der Habanera aus der Bizet-Oper „Carmen“, ein befreit-amüsantes Finale.

Weitere Vorstellun­gen am Freitag, 29. September, am Samstag, 7. Oktober, am Freitag, 13. Oktober, sowie am Donnerstag, 18. Oktober. Karten gibt es unter theater.ulm.de

 ?? Foto: Jean Marc Turmes ?? In „Chaine la vie“erzählt Yuka Kawazu – getanzt von ihr selbst (links) und Ceren Yavan Wagner – die Geschichte von zwei ein gesperrten Schwänen und ihrem Drang nach Freiheit.
Foto: Jean Marc Turmes In „Chaine la vie“erzählt Yuka Kawazu – getanzt von ihr selbst (links) und Ceren Yavan Wagner – die Geschichte von zwei ein gesperrten Schwänen und ihrem Drang nach Freiheit.
 ?? Foto: Sparkasse ?? Ein „Aggressive­s Tänzchen“von Ales Lamr, entstanden 1984.
Foto: Sparkasse Ein „Aggressive­s Tänzchen“von Ales Lamr, entstanden 1984.

Newspapers in German

Newspapers from Germany