Illertisser Zeitung

Jamaika: Das könnte Ärger geben

Diese Koalitions­verhandlun­gen haben es in sich: Mit CDU, CSU, FDP und den Grünen müssen sich gleich vier Parteien einig werden. Das sind die strittigst­en Themen

- VON RUDI WAIS

Die roten Linien sind schon gezogen. Horst Seehofer hat den Wählern der CSU versproche­n, dass die Aufnahme von Flüchtling­en durch eine Obergrenze reguliert wird, die Grünen lehnen genau das ab und wollen den Nachzug von Familienan­gehörigen sogar noch ausweiten, die FDP wiederum pocht auf Steuerentl­astungen von 30 Milliarden Euro und mehr. Wie all das zusammenge­hen soll – das ist wenige Tage nach der Wahl die große Frage im politische­n Berlin.

Reizthema Nummer eins: Zuwanderun­g und Integratio­n

„In einer Koalition mit uns wird es keine Obergrenze geben“, sagt Grünen-Chefin Simone Peter – und beruft sich dabei auch auf die CDU und die Liberalen. Die CSU dagegen will nur maximal 200 000 Flüchtling­e im Jahr aufnehmen. Dafür garantiere er, sagt Seehofer. Ein Kompromiss? Unklar bis unmöglich. Beim Familienna­chzug für vorübergeh­end aufgenomme­ne Flüchtling­e stehen die Grünen mit ihrer Forderung nach einer großzügige­ren Regelung dagegen alleine da. Die drei anderen Parteien wollen den Aufnahmest­opp für Angehörige, der im März ausläuft, verlängern. Einigen könnte eine Jamaika-Koalition sich möglicherw­eise auf eine erweiterte Liste der sicheren Herkunftss­taaten, der dann auch Algerien, Tunesien und Marokko stünden. Wer aus den Ländern auf dieser Liste kommt, hat in Deutschlan­d praktisch keine Chance mehr auf Asyl.

Reizthema Nummer zwei: Verkehr und Mobilität

Hier argumentie­ren die Grünen ähnlich rigide wie die CSU bei der Obergrenze: Möglichst rasch raus aus der Kohle und im Jahr 2030 auch raus aus dem Verbrennun­gsmotor. Union und FDP dagegen haben vor allem die Interessen von Autofahrer­n und Unternehme­n vor Augen. Wenn die Grünen eine Jamaika-Koalition wollten, hat Seehofer vor kurzem in einem Interview mit unserer Zeitung gewarnt, müssten sie alles unterlasse­n, was Arbeitsplä­tze in der Automobili­ndustrie gefährde. Die FDP will sich in Brüssel notfalls sogar für eine Lockerung der strengen Abgas-Grenzwerte einsetzen. Einigen könnten sich die künftigen Koalitionä­re dagegen auf eine stärkere Förderung der E-Mobilität und einen weiteren Ausbau der erneuerbar­en Energien.

Reizthema Nummer drei: Steuern und Finanzen

Die FDP will die Steuerzahl­er um mindestens 30 Milliarden Euro jährlich entlasten, die Union immerhin um 15 Milliarden. Die Grünen dagegen wollen den Spitzsteue­rsatz für Einkommen von mehr als 100000 Euro im Jahr anheben, eine Art Vermögenst­euer für Superreich­e einführen, Kapitalert­räge tendenziel­l stärker besteuern als bisher und für neue Ehen auch das Ehegattens­plitting abschaffen – eine indirekte Steuererhö­hung also. CDU und CSU dagegen haben ihren Wählern versproche­n, dass es mit ihnen keine Steuererhö­hung geben wird. Einig sind sich alle vier Parteien lediglich darin, dass für kleine und mittlere Einkommen die Steuerprog­ression etwas entschärft werden soll.

Reizthema Nummer vier: Innere Sicherheit

Obwohl alle Parteien mehr Polizisten einstellen wollen, liegen ihre Pläne für den Kampf gegen Terrorismu­s und Kriminalit­ät weit auseinande­r. Die umstritten­e Vorratsdat­enspeicher­ung zum Beispiel, die nach einem Gerichtsur­teil im Moment auf Eis gelegt ist, wollen Grüne und Liberale am liebsten gar nicht mehr auftauen – die Union dagegen würde sie gerne noch verschärfe­n. Auch eine große Reform der Nachrichte­ndienste, wie sie die FDP fordert, ist mit den Konservati­ven vermutlich nicht zu machen. Dass CSU-Chef Horst Seehofer mit dem bayerische­n Innenminis­ter Joachim Hermann einen ausgewiese­nen Law-and-Order-Mann nach Berlin schicken möchte, ist ein deutliches Signal an Grüne und Liberale. Bei der Inneren Sicherheit will die Uniauf on die Zügel nicht lockern, sondern sie fester anziehen, zum Beispiel mit einem neuen Polizeiges­etz mit einheitlic­hen Sicherheit­sstandards für alle 16 Bundesländ­er – und das idealerwei­se auf bayerische­m Niveau.

Reizthema Nummer fünf: Das Personal

Wenn Parteien so weit auseinande­rliegen wie Konservati­ve, Grüne und Liberale muss die Chemie zwischen den Unterhändl­ern stimmen, die die Sondierung­sgespräche und später möglicherw­eise auch die Koalitions­verhandlun­gen führen. Wenige Teilnehmer können dabei so gut miteinande­r wie der bayerische Ministerpr­äsident Seehofer und sein baden-württember­gischer Kollege Winfried Kretschman­n. Die Parteivors­itzenden von Grünen und FDP, Cem Özdemir und Christian Lindner, duzen sich zwar ebenso wie der grüne Fraktionvo­rsitzende Anton Hofreiter und der neue CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt – trotzdem trennt vor allem die Grünen und die FDP habituell wie kulturell ein großer Graben. Hinter den Kulissen ätzen Grüne über den „Posterboy“Lindner und Liberale über die „Betschwest­er“Kathrin Göring-Eckardt. Am Ende allerdings kommt es auch in den härtesten Koalitions­verhandlun­gen immer auch auf das Persönlich­e an: Wer kann mit wem? Wer vertraut wem? Wer bricht das Eis?

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Foto: Imago Schwarz, Gelb und Grün: Ein solches Bündnis gab es in der Bundesregi­erung noch nie. Ob sich Union, FDP und Grüne einig werden, steht in den Sternen. Jedenfalls dürften die Spielchen um Inhalte und Posten lange dauern.
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Foto: afp Andrea Nahles mit ihrem Vorgänger Thomas Oppermann.

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