Bahn Ehe weckt Sorgen in Paris
Siemens und Alstom legen ihre Zug-Sparten zusammen. Der Münchner Konzern wird knapp die Mehrheit an dem Unternehmen halten. Das schürt Ängste in Frankreich, auch wenn es zunächst eine Arbeitsplatzgarantie gibt
Siemens-Chef Joe Kaeser hat in den vergangenen Wochen hoch gepokert und gewonnen. Was lange als aussichtslos galt, ist nun unter Dach und Fach: Der Münchner Konzern kann, wenn die Kartellbehörden zustimmen, seine Bahnsparte (ICE, Trambahnen, Lokomotiven, Signaltechnik) mit dem französischen Konkurrenten Alstom (Schnellzug TGV) zusammenlegen.
Eine solche deutsch-französische Zug-Ehe hatte Kaeser schon einmal 2014 angepeilt, war jedoch gescheitert. Dass seinem Vorhaben nun im zweiten Anlauf mehr Glück vergönnt ist, geht nach Informationen unserer Zeitung aus Industriekreisen vor allem auf zwei Umstände zurück: Zum einen zahlte sich für den Bayern die Strategie aus, dass er parallel mit den Franzosen auch mit dem kanadischen Bahn-Rivalen Bombardier verhandeln konnte. So hat der Manager den Druck auf Paris erhöht, eine Allianz mit Siemens zu schmieden. Die Franzosen mussten nämlich befürchten, dass die Deutschen nach einem Nein zur Fusion aus Frankreich umgehend eine Partnerschaft mit Bombardier verkünden. Alstom wäre im international immer härter werdenden Zuggeschäft massiv zurückgefallen und in eine Krise gefahren.
Dass die Franzosen zu einer Partnerschaft mit den noch vor Jahren misstrauisch beäugten Deutschen bereit sind, hängt aber auch daran, dass sich in China vor zwei Jahren der Bahn-Riese CRRC gebildet hat. Das Kürzel steht für China Railway Rolling Stock Corporation. Dahinter steckt der Zusammenschluss der beiden führenden Zuganbieter des asiatischen Riesenreichs zu einem Unternehmen, das weitaus größer ist als die Bahn-Sparten von Siemens und Alstom zusammen.
Das allein erklärt noch nicht die plötzliche Fusionswilligkeit der Franzosen. Aber bei Alstom besteht die berechtigte Sorge, dass die Chinesen drauf und dran sind, in den europäischen Markt einzudringen und damit die Anbieter in Deutschland und Frankreich anzugreifen. Das könnte nach Recherchen des
so funktionieren: CRRC übernimmt, wie schon lange spekuliert wird, den tschechischen Bahn-Anbieter Skoda Transportation. Was dabei für die Chinesen so interessant ist: Die Tschechen wis- sen, wie in den abgeschotteten europäischen Eisenbahnmärkten Züge zugelassen werden. Das gilt als die zentrale Tür, um einen Fuß in den europäischen Markt zu bekommen.
All diese Argumente konnte Kaeser in Paris als Trumpfkarten ausspielen. So hat er Management und vor allem auch die Regierung in Paris von seinen Plänen überzeugt. Entsprechend gut gelaunt und mit einem Lächeln im Gesicht präsen-
Siemens-Chef Joe Kaeser ist ein Coup gelungen. Dass er die Franzosen überredet hat, Deutschland knapp die Mehrheit an einem gemeinsamen Bahn-Konzern zu überlassen, wirkt erstaunlich.
Ein solcher Schritt ist aber überfällig. Beide Unternehmen hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme. Beim ICE kam es zu Lieferverzögerungen, die Verantwortliche der Deutschen Bahn wütend machten. Und auch das Geschäft mit dem französischen Schnellzug TGV lief nicht immer rund. Gleichzeitig hat sich in China ein wettbewerbsfähiger und vor allem mit Dumpingpreisen lockender tierte sich der Siemens-Chef gestern bei einer Pressekonferenz mit Alstom-Boss Henri Poupart-Lafarge. Französische Journalisten teilten allerdings nicht die Begeisterung des Deutschen für das Gemeinschaftsunternehmen mit Siemens. Sie verwiesen in ihren Fragen besorgt darauf, dass die deutsche Seite mit knapp über 50 Prozent die Mehrheit an dem neuen Zug-Konzern hat. Da halfen auch Hinweise von Kaeser und Poupart-Lafarge nicht, dass der neue Bahn-Gigant seinen Hauptsitz im Großraum Paris hat und das Unternehmen in Frankreich an der Börse notiert sein wird. Selbst dass der Alstom-Chef der neue Boss des ICE-TGV-Konzerns wird, beruhigt die Gemüter in Frankreich nicht.
Denn die Unternehmer gaben auch bekannt, dass sie sich durch die Fusion jährliche Synergien von 470 Millionen Euro spätestens im vierten Jahr nach der Genehmigung des Bahn-Giganten durch Brüssel erhoffen. Es geht also vor allem in Frankreich die Angst um, dass tausende Arbeitsplätze durch Zusammenlegungen von Unternehmensbereichen gefährdet sein könnten.
Der deutsche Siemens-Aufsichtsrat und IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner versucht im Gespräch mit unserer Zeitung entsprechenden Bedenken entgegenzuwirken. Er verweist darauf, dass es für die Standorte des Unternehmens Garantien von vier Jahren gebe und auf Kündigungen für mindestens vier Jahre verzichtet werde. Wie es in Branchenkreisen heißt, sind die weitreichenden Schutzregelungen für Beschäftigte auf Druck der französischen Regierung zustande gekommen. Die Mächtigen in Paris und Berlin waren in die Verhandlungen eingebunden.
Der neue Zug-Konzern hat gut 60 000 Beschäftigte. Für Siemens arbeiten in Deutschland etwa 13500 Frauen und Männer im Bahn-Bereich, vor allem in NordrheinWestfalen, Niedersachsen und Bayern. Neben Krefeld und Braunschweig ist Siemens mit Standorten in München-Allach und Erlangen vertreten. Die Mitarbeiter in Deutschland haben zunächst einmal nichts zu befürchten. Wie es in gut vier Jahren aussieht, wenn die Garantien auslaufen und der Einspardruck steigt, wird sich zeigen.
Kerner, der früher IG-MetallChef in Augsburg war, ist jedenfalls von der industriellen Logik der deutsch-französischen Bahn-Ehe überzeugt: „Die Branche befindet sich im Umbruch und muss sich neu aufstellen.“Der Zusammenschluss von Siemens und Alstom könne ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Kaeser sieht die Allianz pathetischer. Er sagte: „Der europäische Geist lebt.“Siemens und Alstom setzten mit dem Zusammenschluss unter Gleichen den europäischen Gedanken um. Der Schritt zu einem neuen europäischen Champion in der Schienenindustrie sichere nachhaltig Arbeitsplätze ab. Der Siemens-Chef geht sogar so weit, die Allianz der beiden Unternehmen als positives Zeichen für Europa zu werten, da doch weltweit Nationalismus, Populismus und nationale politische Spannungen für Verunsicherung sorgten. Die Botschaft ist aber bei französischen Gewerkschaftern noch nicht angekommen.
Größte Zughersteller