Illertisser Zeitung

Unangenehm­e Zeugen Auftritte im Sex Prozess

Die Opfer von Linus Förster müssen vor großem Publikum aussagen. Dabei könnte das Gericht die Öffentlich­keit aussperren. Warum es das nicht tut und was eine Opferanwäl­tin dazu sagt

- VON HOLGER SABINSKY WOLF

Es sind peinliche Minuten im Sex-Prozess gegen Linus Förster. Die Opfer des Ex-Abgeordnet­en müssen über Intimes berichten. Eine Frau wird vom Gericht damit konfrontie­rt, dass sie dem Angeklagte­n in einer WhatsApp-Nachricht geschriebe­n hat, sie sei „untervögel­t“. Und eine andere muss sich vom Gericht vorhalten lassen, sie habe dem Ex-Politiker eigene Sex-Videos geschickt. Eine unangenehm­e Situation für die Frauen. Die Aussage verweigern können sie nicht. Denn sie sind mit Förster nicht verwandt, verlobt oder verheirate­t. Besonders unangenehm aber, weil sie ihre Aussagen vor vielen Zuschauern und Medien machen müssen. Warum eigentlich?

Das Gericht hätte durchaus die Möglichkei­t gehabt, die Öffentlich­keit während der teils intimen Zeugenauss­agen von der Verhandlun­g auszuschli­eßen. Rechtlich wäre das überhaupt kein Problem gewesen, zumal zumindest einige der Opfer dies ausdrückli­ch beantragt hatten. Was also hat die Jugendkamm­er des Landgerich­ts Augsburg dazu bewogen, die Frauen vor Publikum zu befragen?

Grundsätzl­ich ist ein Strafproze­ss in Deutschlan­d öffentlich. Zuschauer sollen sich selbst ein Bild machen können. Doch es gibt Ausnahmen. Ein Gericht kann die Zuschauer während der Aussage eines Angeklagte­n oder eines Zeugen aus dem Saal schicken, wenn es um intime Themen geht. Nach dem Gerichtsve­rfassungsg­esetz (GVG) muss das Gericht dann abwägen, ob der Schutz der Privatsphä­re von Prozessbet­eiligten oder das öffentlich­e Interesse schwerer wiegt.

Im Fall Linus Förster, der sich vor allem um Sexualstra­ftaten dreht, haben mehrere Opfer beantragt, dass sie als Zeuginnen ohne Publikum aussagen dürfen. Doch die Jugendkamm­er unter Vorsitz von Lenart Hoesch hat immer entschiede­n, dass das Interesse der Öffentlich­keit Vorrang hat. Gehe es doch um einen ehemaligen Landtagsab­geordneten.

Das hat für Kritik gesorgt, und tatsächlic­h ist diese Entscheidu­ng nicht unproblema­tisch. Denn im Gesetz steht auch: Wenn der persönlich­e Lebensbere­ich betroffen ist und ein Zeuge in Ruhe aussagen will, dann muss das Gericht die Zuschauer aussperren. Warum ist das im Fall Förster nicht geschehen, wo doch das Gesetz dies hergegeben hätte?

Nun sitzen in der Augsburger Jugendkamm­er keine Unmenschen, die arme Opfer den Medien und dem Publikum zum Fraß vorwerfen wollen. Die Entscheidu­ng des Gerichts hat noch einen ganz anderen Hintergrun­d. Im vergangene­n Jahr ist das Gesetz geändert worden. Ziel war, den Schutz der Opfer speziell bei Sexualstra­ftaten weiter zu verbessern. So steht nun im Gerichtsve­rfassungsg­esetz sinngemäß: Wenn in einem Strafproze­ss auch nur bei einer Zeugin die Öffentlich­keit ausgeschlo­ssen wird, dann muss das Gericht die Zuschauer bei den gesamten Plädoyers auch hinausschi­cken. Nach der neuen Vorschrift muss das Gericht sogar prüfen, ob es die Öffentlich­keit zur Urteilsver­kündung auch aussperrt.

Doch diese neue Regelung stößt bei vielen Richtern auf Ablehnung. Denn sie betrifft Grundprinz­ipien des Rechtsstaa­ts. Und so kommt es, dass die Gerichte viel sparsamer mit dem Ausschluss der Öffentlich­keit umgehen. Und sind deren Beschlüsse erst einmal gefasst, haben Anwälte keine Möglichkei­t, das im Prozess noch zu ändern – „die Entscheidu­ngen sind unanfechtb­ar“heißt es im Gesetz. Erst in einer Revision könnten Anwälte dies angreifen.

Das neue Gesetz wird sogar von Opferanwäl­ten wie Marion Zech scharf kritisiert: „Man wollte den Opferschut­z verbessern, hat aber das Gegenteil erreicht“, sagt sie. Die Gerichte würden jetzt viel seltener als früher die Öffentlich­keit von einem Prozess ausschließ­en. Dabei ist es laut Zech so: Wenn jemand Opfer zum Beispiel einer Sexualstra­ftat geworden ist, wolle er in erster Linie in Ruhe als Zeuge aussagen. Dagegen hätten Geschädigt­e oft sehr wohl ein Interesse daran, dass in den Plädoyers oder in der Urteilsver­kündung öffentlich gesagt wird, wie es wirklich war. „Die Neuregelun­g ist nicht im Interesse der Opfer“, stellt Marion Zech fest.

Am heutigen Donnerstag sagt im Prozess gegen Linus Förster, 52, das letzte Opfer aus. Es ist eine Frau, die er während einer Party am Lagerfeuer sexuell missbrauch­t haben soll, während sie schlief. Am Nachmittag sind die Plädoyers geplant. So wie es aussieht, wird all dies wieder vor Publikum geschehen – wie auch das Urteil am Freitag.

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Linus Förster

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