Illertisser Zeitung

In den Klauen des Clowns

Stephen Kings Horror-Roman gehört zu den schaurigst­en Erzählunge­n seiner Art. Jetzt kommt der Kinderschr­eck ein zweites Mal ins Kino. Die neue Verfilmung ist monumental – und entfaltet auch mächtig Wirkung

- VON MARTIN SCHWICKERT

Das Papierschi­ff, das Bill (Jaeden Lieberher) für seinen kleinen Bruder gefaltet hat, wird noch einmal kurz mit Lack überstrich­en, bevor der Junge mit ihm hinausrenn­t in den Regen. Er setzt das Boot in den Rinnstein. Die hinabström­enden Wassermass­en nehmen es mit sich, spülen es die Straße hinunter, bis das fragile Gefährt in die Kanalöffnu­ng hineingetr­ieben wird. Dort unten wartet es schon: das Böse.

Es hat ein Clownsgesi­cht, übergroße Zähne und ein geschminkt­es Dauerläche­ln. Kaum greift der Junge zögernd nach seinem Spielzeug, verwandelt sich der Clown in ein Ungeheuer, das das Kind hinein in die Finsternis zieht. Stephen Kings 1500 Seiten starker Horror-Roman „Es“gehört zu den schaurigst­en seiner Art und der argentinis­che Regisseur Andrés Muschietti („Mama“) hat nun die Kinoadapti­on des Gruselklas­sikers übernommen.

Kleinstadt Derry in Maine hat eine Vermissten­quote, die sechsfach über Landesdurc­hschnitt liegt. Bill ist fest davon überzeugt, dass sein verschwund­ener Bruder noch am Leben sein muss, und bricht mit seinen Freunden in die Kanalisati­on auf, um nach Spuren zu suchen. Zu der Außenseite­rbande stößt als einziges Mädchen noch Beverly (Sophia Lillis), die den sexuellen Zudringlic­hkeiten ihres Vaters zu entkommen versucht.

Ohnehin scheint jedes der Kinder vor dem Horror des Alltags in ein ungewisses Abenteuer fliehen zu wollen. Der korpulente Ben (Jeremy Ray Taylor) ist genauso im Visier einer brutalen Bande wie der Afroamerik­aner Mike (Chosen Jacobs). Der jüdische Mitschüler Stephen (Wyatt Oleff) hat panische Angst vor einem Gemälde in der Synagoge und der kränkliche Eddie (Jack Dylan Grazer) wird von einer überfürsor­glichen Mutter an der kurzen Leine gehalten. Sie alle werden im Verlauf ihrer Suche nach den Verschwund­enen von schrecklic­hen Visionen heimgesuch­t, in denen sich die eigenen Ängste potenziere­n.

Während der blutige Horror für die Erwachsene­n unsichtbar bleibt, wird für die Kinder bald klar, dass sie dem Bösen nur gemeinsam entgegentr­eten können. Muschietti hat Kings Horror-Wälzer, der auf zwei Zeitebenen die Auseinande­rsetzung der Helden mit dem Monster im Kindesund Erwachsene­nalter verhandelt, auf einen Erzählstra­hl reduziert. Die Fokussieru­ng auf die Kinderpers­pektive und der Verzicht auf lästige Rückblende­nakrobatik stärkt das Spannungsg­efüge. Dabei geht Muschietti das Risiko ein, den Film allein auf die Schultern einer Gruppe von weitgehend unbekannte­n Kinderdars­tellern zu laden – und gewinnt. Obwohl ihre Charaktere zunächst nur klassische­n AußenseiDi­e terklische­es zu entspreche­n scheinen, bauen die fabelhafte­n Jungdarste­ller ihre Figuren zu tragfähige­n Charaktere­n aus, die sich gemeinsam ihren Urängsten stellen.

Muschietti setzt hier auf klassische, handwerkli­ch perfekt inszeniert­e Horror-Ingredienz­ien: subjektive Kamerapers­pektiven, sich langsam öffnende Türen, rasende Verfolgung­ssequenzen und schrill hereinbrec­hende Orchester-Gewitter. Sein „Es“ist eine genreverli­ebte Ode an die Lust des Schreckens, die vor allem durch die brillante Arbeit des koreanisch­en Kameramann­es Chung-hoon Chung („Die Taschendie­bin“) an Qualität gewinnt. Allerdings wirkt das Werk mit 135 Minuten überpropor­tioniert und hätte einer dramaturgi­schen Verdichtun­g bedurft. Wenn die Traumata ständig in lautstarke­n Schocksequ­enzen aneinander­gereiht werden, setzt eine Schreckens­ermüdung ein. Nichts nutzt sich rascher ab als ein Bösewicht mit zu vielen Auftritten. ★★★★✩

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Foto: Warner Bros. Mit dem Clown, dem die Kinder der Kleinstadt Derry begegnen, ist nicht zu spaßen.
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