Riesenwirbel vor Gericht: Wer fuhr den Baum an?
Ein Mann will nichts von dem Unfall mitbekommen haben. Ob das stimmt, soll nun geklärt werden – mit großem Aufwand
Zwei Gerichtstermine mit rund zwei Dutzend Zeugen – und das alles wegen eines beschädigten Baumes auf dem Parkplatz einer Bäckerei in Neu-Ulm. Auf der Anklagebank: ein 46-jähriger Mann aus dem südlichen Landkreis. Er ist im Mai dieses Jahres Beifahrer gewesen in dem Auto, das den Baum mutmaßlich beschädigt hat. Nun musste er sich vor dem Amtsgericht in NeuUlm verantworten. Grund: Er hatte gegenüber der Polizei angegeben, nichts von dem Unfall mitbekommen zu haben. Die Zeugenaussagen lassen aber eher anderes vermuten. Dem Mann wird daher versuchte Strafvereitelung vorgeworfen. Er habe vor der Polizei falsche Angaben gemacht, um seinen Arbeitskollegen, den Fahrer des Unfallautos, zu schützen.
Der Angeklagte hat keine Vorstrafen, ist Betriebswirt, macht eine Umschulung zum Schädlingsbekämpfer – und führte bis dato ein unbescholtenes Leben. Doch „aktenmäßig ist die Sache klar“, sagt Richter Thomas Mayer. Er schlägt dem Mann auf der Anklagebank vor: „Wir können das Verfahren einschmelzen“, die Staatsanwaltschaft den Strafprozess mit Zustimmung des Gerichts und des Angeklagten einstellen. Oft komme dieser Weg dann in Frage, wenn die Schwere der Schuld, dem öffentlichen Interesse entgegensteht. „Es war vielleicht nur eine blöde Aussage in einem Augenblick“, sagt der Richter.
Hätte der Angeklagte ein Geständnis abgelegt und eine Geldstrafe gezahlt, wäre es gar nicht zu weiteren Verhandlungen gekommen. Doch eine Einstellung des Prozesses kommt für den Angeklagten gar nicht in Frage: Er bestreitet, eine Falschaussage bei der Polizei gemacht zu haben.
Die Krux an dem Vorfall: „Keiner hat den Unfall gesehen“, sagt Verteidigerin Ulrike Mangold. Daher sollen die Aussagen mehrerer Personen helfen, der Wahrheit ein Stück näher zu kommen. Die wichtigsten Zeuginnen: zwei Mitarbeiterinnen der Bäckerei.
Direkt vor ihrem Geschäft sollen die Männer den Baum angefahren haben. Die beiden waren zu der Zeit beruflich unterwegs. Sie holten sich in der Bäckerei Kaffee, nachdem sie hinausgegangen waren, gab es wohl einen Knall. „Ich habe auf einmal einen ganz lauten Schlag gehört und dann aus dem Fenster geschaut“, sagt eine Mitarbeiterin. Doch dann sei der Wagen schon wieder gestanden. „Ich habe nur gesehen, wie der Beifahrer Richtung Kofferraum gegangen ist“, erinnert sich die 28-Jährige. Der Beifahrer, der sich vor Gericht verantworten muss, sagt nichts dazu.
Eine weitere Zeugin ist aus Kassel angereist, um eine etwa fünfminütige Aussage zu dem Fall zu machen. Die Frau wurde in dem Laden bedient, als es draußen knallte. Ob der Schlag nicht von etwas anderem hätte kommen können, fragt Rechtsanwältin Mangold. In der Nähe sei zu der Zeit eine Baustelle gewesen. Das schließt die 26-jährige Zeugin aus. „Die haben zu dem Zeitpunkt schon woanders gebaut“, ist sie sich sicher.
Von einem Unfall hat der Chef der Schädlingsbekämpfer nichts mitbekommen. Das Unfallauto sei ein Firmenfahrzeug, er habe aber
Auch der Chef hat nichts bemerkt
keinen Schaden feststellen können. „Wenn jemand etwas kaputt macht, dann sind wir versichert.“Der Unfallverursacher war ebenfalls als Zeuge geladen, wollte aber nicht aussagen. Denn gegen ihn läuft parallel ein Verfahren, es geht um den Zusammenstoß mit dem Baum. Was an jenem Tag wirklich passiert ist, bleibt zunächst unklar: Der Prozess muss daher Mitte Oktober fortgesetzt werden. Rund sieben weitere Zeugen werden für den nächsten Termin geladen – darunter ein Sachverständiger einer technischen Prüfstelle und der Polizist, der den Angeklagten verhört hat. Und der angefahrene Baum? Der stehe immer noch vor der Bäckerei, heißt es.