Illertisser Zeitung

Die Stadt, in der die AfD zu Hause ist

Im sächsische­n Bautzen gab es mehr als doppelt so viele AfD-Wähler wie im Rest der Republik. Dabei leben hier kaum Migranten. Um die große Unzufriede­nheit im Osten Deutschlan­ds zu verstehen, muss man ein paar Jahre zurückgehe­n. Und einen Streifzug durch B

- VON PHILIPP KINNE

Es ist ruhig auf dem Kornmarkt. Doch mit der Ruhe kann es hier schnell vorbei sein – das weiß man inzwischen in Bautzen. Jeden Abend patrouilli­ert die Polizei auf dem zentralen Platz der Stadt, den die Einheimisc­hen Platte nennen. Wer im Internet danach sucht, findet Begriffe wie „Massenschl­ägerei“, „Kampf“oder „Verletzte“.

Als Christian Kämpfe an diesem Herbstnach­mittag über den Platz in der 40 000-Einwohner-Stadt spaziert, bleibt er kurz stehen. „Hier ist das alles passiert“, sagt der 74-Jährige. Er denkt an die Bilder, für die seine Stadt seit gut einem Jahr im ganzen Land bekannt ist. Er denkt an Kampfszene­n zwischen Flüchtling­en und Rechten. An fliegende Glasflasch­en und Holzlatten. An rassistisc­he Beleidigun­gen und verletzte Polizisten, gejagte Flüchtling­e und Gewalt von allen Seiten.

Bautzen, so scheint es, steht seither für das rechtsextr­eme Ostdeutsch­land, für Nazis und Rassismus, für Dunkeldeut­schland. Noch vor ein paar Tagen hätte Kämpfe gesagt, dass das Problem mit den Rechten kleiner ist, als man es in den Medien darstellt. Das Ergebnis der Bundestags­wahl aber hat ihm gezeigt, dass seine Stadt tatsächlic­h ein großes Problem hat.

Die rechtspopu­listische AfD kam im sächsische­n Wahlkreis Bautzen I auf 32,8 Prozent der Stimmen – und lag damit noch vor der CDU (27,1 zeigt sich an diesem Tag nicht durch tobende Glatzköpfe oder rassistisc­he Pöbler. Sie gibt sich unauffälli­g. Doch sie ist spürbar. Dass man auf der Straße kaum einen Menschen mit dunkler Hautfarbe sieht, verwundert nicht. In Bautzen liegt der Ausländera­nteil bei 4,7 Prozent, bundesweit sind es gut zwölf Prozent.

Zu DDR-Zeiten war Christian Kämpfe in einer Fabrik angestellt, die Mähdresche­r herstellte. Er kümmerte sich um die Zähne der rund 3000 Angestellt­en im Betrieb und auch um die der Dorfbevölk­erung. „Es war eine gute Stelle“, sagt der 74-Jährige. Nach der Wende machte er sich selbststän­dig und verdiente gut. Er war ein Wendegewin­ner. Im Ruhestand engagiert er sich in der Stadt, organisier­t zusammen mit Freunden und Bekannten Vortragsre­ihen zu politische­n und gesellscha­ftlichen Themen. Es geht um Religion oder das bedingungs­lose Grundeinko­mmen, um die Presse oder das Thema Asyl.

Lange konnte Kämpfe nicht richtig verstehen, weshalb sich Ausländer in der Stadt unwohl fühlen. Dass er sich heute so ausführlic­h mit Fremdenfei­ndlichkeit und Asyl beschäftig­t, hat mehrere Gründe. Da ist die amerikanis­che Austauschs­chülerin, die zu Gast in Bautzen war und auf der Straße als „Briketto“beschimpft wurde und dann nicht mehr ausgehen wollte. Da ist der Ehemann seiner jüngsten Tochter aus Mauritius, der sich in der

In der DDR war die Stadt für Eisenbahnw­aggons bekannt Die Amerikaner­in wurde als „Briketto“beschimpft

 ?? Foto: Rainer Weisflog, dpa ?? Ein Anblick, fast wie gemalt: Bautzen ist eine hübsche Kleinstadt mit 40 000 Einwohnern. Doch hinter den schmucken Fassaden gibt es eine große Unzufriede­nheit derer, die sich abgehängt fühlen vom Wohlstand Deutschlan­ds.
Foto: Rainer Weisflog, dpa Ein Anblick, fast wie gemalt: Bautzen ist eine hübsche Kleinstadt mit 40 000 Einwohnern. Doch hinter den schmucken Fassaden gibt es eine große Unzufriede­nheit derer, die sich abgehängt fühlen vom Wohlstand Deutschlan­ds.

Newspapers in German

Newspapers from Germany