Bereit für den Wiesn Endspurt
Sie bringen Bier und Hendl, sorgen mit Musik für gute Stimmung oder leisten ehrenamtlich Erste Hilfe. Wie drei Menschen aus der Region das Oktoberfest 2017 erlebt haben
Am zwölften Tag kam für Vanessa Heiland der Tiefpunkt. Schlagartig verwandelte sich der Wiesn-Spaß in einen Knochenjob. Jeden Tag die gleiche Musik, die gleichen Wege, die gleichen Diskussionen, ob zehn Cent Trinkgeld wirklich angebracht sind. Das strengt an. Die 31-Jährige bedient in der Bräurosl, es ist ihr zweites Oktoberfest im Service. Morgen öffnet die Wiesn 2017 zum letzten Mal ihre Zelte – und Heilands Tiefpunkt ist längst überwunden. Die Aussicht auf den Endspurt habe die Motivation zurückgebracht.
Gut gelaunt läuft Heiland von Tisch zu Tisch, schleppt Bier, Hendl und Kässpatzen zu den Gästen und hat für die eindeutigen Angebote der männlichen Besucher immer einen frechen Spruch auf den Lippen. Die Wiesn ist für die Marketing-Spezialistin, die aus Augsburg kommt und mittlerweile in München lebt, ein willkommener Ausgleich zu ihrem Bürojob. „Ich bin schon ein bisschen Frau Zirkus“, sagt sie und lacht. Das bekommen die Gäste zu spüren: Wenn sich einer danebenbenimmt und beispielsweise im Zelt raucht, kann es schon mal passieren, dass Heiland ihn zu Liegestützen verdonnert.
Abgesehen von einer etwas belegten Stimme hat die 31-Jährige die Wiesn bisher gut überstanden. Während andere Kollegen seit Tagen eine schwere Erkältung mit sich herumschleppen oder von Rückenschmerzen geplagt sind, merkt man Heiland die Strapazen kaum an. „Ich weiß nicht, woher die Energie kommt, aber ich war selten so fit wie jetzt“, sagt sie. Aus ihrem ersten Jahr als Wiesn-Bedienung hat sie gelernt. Um den Trubel zu überstehen, verbringt sie ihre Pausen manchmal außerhalb des Geländes, statt einem Paar Laufschuhe hat sie diesmal zwei dabei, statt Bier trinkt sie tagsüber heiße Zitrone mit Ingwer.
Gesund zu bleiben ist wichtig für Heiland. Denn im Anschluss an das Oktoberfest bleibt ihr nicht viel Zeit, um sich auszuruhen. Nach zwei freien Tagen geht der Büroalltag wieder los – und am kommenden Sonntag will sie beim München-Marathon antreten.
Ulrich Thanner aus Straßberg im Landkreis Augsburg lässt es da etwas ruhiger angehen. Der 24-Jährige spielt zum dritten Mal Posaune bei den „Münchner Oktoberfest Musikanten“im Festzelt Tradition auf der Oidn Wiesn. Anders als im vergangenen Jahr war er diesmal nicht jeden Tag im Einsatz. „Ein Tag Pause tut zwischendurch gut“, sagt Thanner. So erspart er sich einen Durchhänger, das Musizieren mache ihm jeden Tag Spaß. „Auf der Oidn Wiesn ist es richtig angenehm zu spielen, zu uns kommen weniger Besoffene, im Zelt sieht man eher Familien und ältere Leute“, erzählt Thanner. Doch egal ob betrunken oder nicht, die schiere Menschenmenge strengt den Musiker manchmal an. An den Wochenenden herrsche auch auf der Oidn Wiesn ein enormer Lärmpegel. Deswegen freut sich der 24-Jährige auf die Stille, wenn der Oktoberfest-Trubel vorbei ist. Zum Ausruhen bleibt dem BWL-Student danach noch etwas Zeit – das Semester beginnt erst Mitte Oktober. Schon längst wieder im Alltag angekommen ist Markus Wörsing. Der Sanitäter aus Weißenhorn (Landkreis Neu-Ulm) ist seit mehr als 20 Jahren immer am Samstag des mittleren, sogenannten ItalienerWochenendes auf der Wiesn im Einsatz und unterstützt seine Kollegen vom Bayerischen Roten Kreuz. In dieser langen Zeit hat der 50-Jährige ziemlich alles miterlebt, was Patienten auf dem Oktoberfest zustoßen kann. Bierleichen und Menschen, die sich geprügelt haben, müssen besonders oft versorgt werden. Doch auch Kreislaufprobleme und medizinische Notfälle wie ein Herzinfarkt gehören zum Einsatzgebiet der Wiesn-Sanitäter. Was Wörsing diesmal besonders gefreut hat: Es blieb friedlich. „Es war eine schöne, entspannte Wiesn.“
Wie haben wir das früher nur überlebt? Fragen Sie sich das auch oft? Denn es gab sie, die Kindheit, in der es eine Selbstverständlichkeit war, dass man nach etlichen Probemärschen in Begleitung eines Erwachsenen allein zur Schule gelaufen, mit dem Bus oder mit dem Rad gefahren ist. Für den Nachmittag verabredete man sich beim Spielplatz oder einem anderen Fleck, wo man ungestört spielen, reden und im Kettcar, auf Rollschuhen oder sonst einem Gefährt Runde um Runde drehen konnte. Einfach so. Aus Freude an der Bewegung. Aus Freude, freizuhaben. Aus Freude, Freunde zu haben.
Und man hatte kein Smartphone! Das stelle man sich mal vor: Man bewegte sich als Kind ohne Kontrolle der Eltern – und ohne Gefahr zu laufen, sich schon im frühen Kindesalter durch permanentes Starren auf einen kleinen Computer Nackenund Schulterprobleme einzuhandeln. Von anderen Gefahren wie etwa fürs Hirn und das Sozialverhalten mal abgesehen. Besorgte Eltern treiben diese Risiken sicher um. Doch so manche trauen ihrem Nachwuchs offenbar nicht einmal mehr das Laufen zur Schule zu. Gehen ist vielleicht manches Kind gar nicht mehr gewöhnt. Länger laufen schon gar nicht. Da fährt man lieber. Mit dem Auto. Bis knapp vors Klassenzimmer. Muss ja heute alles effizient sein. So rumbummeln auf dem Schulweg, das passt nicht mehr in die Zeit.
Aber vielleicht hat sich das mit dem Elterntaxi irgendwann erledigt. Wenn es keine Schulhäuser mehr gibt, weil jeder von zu Hause aus oder von wo auch immer am Laptop lernt. Treffen und austauschen tut man sich ja längst lieber im Internet. So sinkt stetig die Gefahr, sich beim Spiel oder einer gelegentlichen Rauferei auf dem Schulweg das Knie aufzuschlagen. So schreckliche Sachen passierten nämlich damals tatsächlich öfter. Ein Wunder, dass wir es überlebt haben.