Schausteller aus vollem Herzen
Heute startet der Memminger Jahrmarkt. Eine Familie ist seit 100 Jahren mit dabei. Gabriele Hirschberg aus Illertissen erzählt vom Leben zwischen Lebkuchenherz und Karussell
Das Licht der Welt erblickte Gabriele Hirschberg in einem Zirkuswagen. „Und sobald man laufen konnte, war man mit dabei“, erzählt die 72-Jährige mit leuchtenden Augen. Dennoch zog es die Illertisserin weg vom Zirkus – „Wegen der Liebe“. Denn im Alter von zwölf Jahren habe sie beschlossen, Karl Hirschberg zu heiraten – den jüngsten Sohn einer Schausteller-Familie, die nachweislich seit 100 Jahren auf dem Memminger Jahrmarkt vertreten ist. Aus Erfahrung weiß sie: „Schausteller ist man mit ganzem Herzen – sonst geht so ein Leben nicht.“
Als sie mit 20 Jahren geheiratet hat und in die Welt der Schausteller kam, erlebte Gabriele Hirschberg das als harten Kontrast zum Zirkusleben. „In der Manege jubeln dir die Leute zu. Da ist der Ton auf einem Jahrmarkt schon etwas rauer“, sagt sie. „Da stehst du in der Schießbude und kannst den Besuchern gar nicht schnell genug auf die Seite gehen.“Neben dem Kettenkarussell und der Wurf- und Schießbude der Schwiegereltern betrieb Gabriele Hirschberg verschiedene Kinderkarussells, wie den Verkehrskindergarten und den Babyflug. Aktuell hat sie den Süßwarenstand „Candy Shop“. Dort verkauft sie unter anderem Lebkuchenherzen mit der Aufschrift „Memminger Jahrmarkt“.
Vor 100 Jahren nannte man Schausteller noch „Ambulante Gewerbetreibende“. Diese zogen zwischen Ostern und Ende November von Stadt zu Stadt. „Damals kam man nur mit 25 Stundenkilometer vorwärts“, sagt Hirschberg. Heutzutage sei das nicht mehr denkbar: „Denn jedem pressiert‘s.“Die Wohnwägen seien schneller und größer geworden. Und viele Schausteller würden inzwischen auch pendeln. Das verändere den Zusammenhalt untereinander. Aber auch das Gesicht des Jahrmarktes habe sich gewandelt. „Wie die sich damals immer rausgeputzt haben – die schönsten Roben“, sagt sie und zeigt auf alte Familienfotos. „Heute ziehen wir Haube und Schürze an – we- der Hygienevorschriften.“Überhaupt habe heutzutage „jede Vorschrift eine Vorschrift“.
Seit dem Jahr 1917 kommt die Schausteller-Familie Hirschberg nachweislich nach Memmingen. Damals hat Urgroßmutter Caroline Drillinge in einem Reisewagen geboren, der „Im Karpfengarten“abgestellt war. Zu dieser Zeit wurden noch Moritaten gesungen und Ringe geworfen. Im Jahr 2017 dagegen beherrschen Schnelligkeit bei den Fahrgeschäften, laute Musik und blinkende Lichter das Treiben. „So viel Strom hatte man damals gar nicht“, sagt Hirschberg und lacht.
Zugleich beklagt sie, dass es immer mehr Freizeitparks und auf jedem Fest gebrannte Mandeln gebe. Denn das merkten die Schausteller letztlich an den Umsätzen bei Jahrmärkten: Wenn das Magenbrot bei den Besuchern noch zu Hause im Schrank liegt und das Kind erst kurz zuvor in einem Vergnügungspark war, werde weniger verkauft. Doch auch wenn die Zeiten immer wieder schwierig sind: „Ich mache es gerne. Vielleicht auch, weil ich ja kein anderes Leben kenne“, sagt Hirschberg. Bei ihren Kindern und Enkeln legt sie dennoch Wert darauf, dass sie erst einen Beruf erlernen. „Mitgen helfen tun eh alle. Wer halt gerade Zeit hat“, sagt die 72-Jährige.
Mittlerweile lebt die SchaustellerFamilie in einem Drei-Generationen-Haus zusammen. Tochter Ursula hilft im „Candy Shop“. Der Sohn Lorenz hat das Kinderkarussell übernommen. „Bei meinem Enkel Rubens war von Anfang an klar, dass er weitermacht“, sagt sie. Und der 19-Jährige bestätigt: „Die Arbeit macht Spaß. Und ich möchte, dass die Familientradition weiter geht.“Indes denkt Gabriele Hirschberg noch lange nicht ans Aufhören. Im Gegenteil: Sie träumt bereits von einem neuen Wagen.