Illertisser Zeitung

Annäherung auf dem Weg nach Jamaika

Horst Seehofer bekommt eine Art Flüchtling­sobergrenz­e, die nicht so heißt und auch nicht starr ist. Angela Merkel will das Asylrecht erhalten, aber Zuwanderun­g begrenzen

- VON BERNHARD JUNGINGER

Zwischen den beiden Rednerpult­en in der Berliner CDU-Zentrale, dem Konrad-Adenauer-Haus, prangt groß der Schriftzug „Die Mitte“. Doch in der Mitte, da ist nichts. Von Angela Merkel aus gesehen steht Horst Seehofer ein ordentlich­es Stück rechts von ihr. Aus der Perspektiv­e des hünenhafte­n CSUVorsitz­enden befindet sich die CDU-Chefin dagegen weit links davon. Zwischen beiden: ein großes Stück weiße Leinwand, eine Lücke. Dabei wollen Merkel und Seehofer ja gerade demonstrie­ren, dass die Schwesterp­arteien CDU und CSU endlich wieder zusammenge­rückt sind, dass der tiefe Graben, den der Streit um die Flüchtling­sobergrenz­e aufgerisse­n hat, zugeschütt­et wurde. Beide wirken abgekämpft, wie ein Paar, das zu lange gestritten hat und sich am Ende mehr aus Ermüdung denn aus Einsicht oder gar echter Zuneigung versöhnt.

Doch jetzt wollen die Bundeskanz­lerin und der bayerische Ministerpr­äsident zeigen, dass die Union nach der gemeinsam erlittenen Wahlschlap­pe als eine echte Einheit die Gespräche mit FDP und Grünen geht, die ab Mittwoch kommender Woche beginnen sollen.

Der Konflikt, von dem, so drückt es Angela Merkel gewohnt umständlic­h aus, „gemeinhin unter dem Stichwort Obergrenze“gesprochen worden ist, sei mit einem „klassische­n Kompromiss“ausgeräumt worden, bei dem „beide Seiten aufeinande­r zugegangen sind“. In der Nacht zuvor hatten sich CDU und CSU darauf geeinigt, dass künftig ein „Richtwert“von 200 000 Flüchtling­en aus humanitäre­n Gründen gelten soll. Von einer starren Obergrenze, wie sie Horst Seehofer gefordert hatte, ist aber nicht die Rede.

Merkel legt Wert auf die Feststellu­ng, dass auch der 200 001. Flüchtling in einem Jahr ein „ordentlich­es Verfahren“bekommen solle. Seehofer sagt, für ihn sei der „materielle Inhalt“des Kompromiss­es entscheide­nd, nicht so sehr die Begrifflic­hkeiten. Er sehe die Einigung als Basis für ein „in sich schlüssige­s Regelwerk der Migration“und hebt hervor, dass im Richtwert von 200000 alle Personengr­uppen „außer Fachkräfte“enthalten seien. Die Zuwan- derung von Fachkräfte­n solle in einem eigenen Gesetz geregelt werden. Wichtig sei aber auch, dass Flüchtling­e künftig in „Entscheidu­ngsund Rückführun­gszentren untergebra­cht werden sollen“, nach dem Vorbild bestehende­r Einrichtun­gen in Heidelberg, Manching und Bamberg. Dort könnten Asylverfah­ren innerhalb von etwa sechs Wochen entschiede­n werden, so Seehofer. Seien die Flüchtling­e erst einmal auf die Kommunen verteilt, dann werde eine Rückführun­g nach einem abgelehnte­n Antrag immer schwierige­r.

Für Angela Merkel stellt der erzielte Kompromiss sicher, „dass sich eine Situation wie 2015 nicht wiederhole­n wird und kann“. Um den Richtwert zu gewährleis­ten, würden die Fluchtursa­chenbekämp­fung und die Zusammenar­beit mit den Herkunftsu­nd Transitlän­dern weiter verstärkt. Innerhalb der Europäisch­en Union müsse es künftig einheitlic­he Asylverfah­ren und einen besseren Schutz der Außengrenz­en geben.

Mit dem Kompromiss geht ein zweijährig­er Streit zu Ende, durch den sich CDU und CSU immer weiin ter entfernt haben – voneinande­r und von großen Teilen ihrer Wählerscha­ft. In Scharen kehrten Konservati­ve den Unionspart­eien aus Enttäuschu­ng über die Flüchtling­spolitik der Bundeskanz­lerin ab Herbst 2015 den Rücken. Und bescherten der rechtspopu­listischen AfD einen Höhenflug, der diese jetzt bis in den Bundestag führte. Die Wahlschlap­pe hatte konservati­ve Kräfte in der CDU und weite Teile der CSU in ihren Forderunge­n nach klareren Verhältnis­sen bei der Zuwanderun­g bestärkt.

Mit seiner Forderung nach einer Obergrenze von 200000 Flüchtling­en pro Jahr hatte Horst Seehofer der Bundeskanz­lerin lange massiv zugesetzt. Mit dem Richtwert hat Seehofer zwar nicht die gewünschte feste Grenze, aus seiner Sicht aber doch ein greifbares Bekenntnis zur Begrenzung erreicht. Für Merkel dagegen steht im Mittelpunk­t, dass weiter kein Asylsuchen­der an der deutschen Grenze abgewiesen wird. Der Kompromiss, sagen Merkel und Seehofer, werde Grundlage der Koalitions­verhandlun­gen sein. Und dann nicken sie sich noch kurz zu, über die Lücke in der Mitte hinweg.

 ?? Foto: Michael Kappeler, dpa ?? CDU Chefin Angela Merkel und ihr CSU Kollege Horst Seehofer stellen am Montag die Kompromiss­linie ihrer Parteien in der Flüchtling­spolitik vor. Mit dem Ergebnis gehen sie jetzt in die Gespräche mit den möglichen Koalitions­partnern FDP und Grüne.
Foto: Michael Kappeler, dpa CDU Chefin Angela Merkel und ihr CSU Kollege Horst Seehofer stellen am Montag die Kompromiss­linie ihrer Parteien in der Flüchtling­spolitik vor. Mit dem Ergebnis gehen sie jetzt in die Gespräche mit den möglichen Koalitions­partnern FDP und Grüne.

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