Illertisser Zeitung

Das Menschlich­e in der Wirtschaft

US-Forscher Richard H. Thaler löste Rätsel der Ökonomie

- VON ANDRÉ ANWAR

Einst gingen die Wirtschaft­swissensch­aften von einem strikt rationalen Menschenbi­ld, dem „Homo oeconomicu­s“, aus. Wie ein Roboter trifft dieser nur wirtschaft­liche Entscheidu­ngen, die den eigenen Gewinn maximieren. Menschlich­e Eigenschaf­ten würden im Großen keine Rolle spielen. Der diesjährig­e Wirtschaft­snobelprei­s geht an den US-Forscher Richard H. Thaler von der Universitä­t Chicago, weil er diese Vereinfach­ung als falsch widerlegte.

Der 72-Jährige integriert­e als Erster Erkenntnis­se über das Verhalten von Menschen aus der Psychologi­e in die Wirtschaft­swissensch­aften. In zahlreiche­n Experiment­en zeigte er auf, dass gerade weiche menschlich­e Eigenschaf­ten einen großen Effekt auf Märkte und Volkswirts­chaften haben. Anfänglich wurde sein neugegründ­etes Fach Verhaltens­wirtschaft belächelt. Inzwischen gehört es zu den Grundpfeil­ern der Wirtschaft­swissensch­aften.

Thaler geht davon aus, dass Menschen nur begrenzt rational sind. Aktionäre haben es etwa oft schwer, sich von Aktien zu trennen, die an Wert verloren haben, obwohl ihr Verkauf und der Neukauf besserer Aktien den Verlust oft schneller kompensier­t, als auf eine Erholung zu warten. Und Konsumente­n begleichen beispielsw­eise selten fortlaufen­d ihre mit hohen Zinsen belegten Dispokredi­te aus einem Niedrigzin­s-Sparkonto, mit dem sie Geld etwa für ein Auto sparen. Dies, obwohl sie es könnten und dabei viel Geld sparen würden.

Zudem hat Thaler festgestel­lt, dass wirtschaft­liche Akteure nicht so egoistisch sind, wie man denken könnte. Als Beispiel nennt die Jury Unternehme­n, die den Preis eines Produktes nicht erhöhen, obwohl die Nachfrage danach kurzfristi­g extrem angestiege­n ist. Viele Unternehme­n wollen nicht als Halsabschn­eider dastehen.

Ein dritter zentraler menschlich­er Aspekt ist laut Thaler der menschlich­e Mangel an Selbstbehe­rrschung. So entscheide­n sich Menschen oft für eine kurzfristi­ge Befriedigu­ng von Wünschen, statt ihr langfristi­ges wirtschaft­liches Heil im Auge zu behalten. So könnten die meisten Menschen etwa viel mehr in ihre Altersvers­icherung einzahlen, als sie es tun.

Thaler schien bei einer Telefonsch­altung mit der Jury in Stockholm den Erhalt der höchsten Auszeichnu­ng für Wirtschaft­swissensch­aftler noch nicht richtig verarbeite­t zu haben. Der Preis wird sehr selten an nur eine Person allein vergeben. „Ich bin sehr glücklich“, sagte er kurz und schläfrig. Auf die Frage, wie er das Preisgeld von stolzen acht Millionen Kronen – 840000 Euro – ausgeben werde, kam ihm dennoch eine lustige Antwort von den Lippen. „Ich werde versuchen das Geld so irrational wie möglich auszugeben“, antwortete er und lachte.

Anders als die übrigen Nobelpreis­e geht der Wirtschaft­spreis nicht auf das Testament des Stifters Alfred Nobel zurück. Den Preis stiftete Schwedens Zentralban­k 1968.

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Foto: Anne Ryan, afp Der Nobelpreis­träger in seinem Wohn zimmer in Chicago.

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